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Kinderseelenstütze

Univ.-Prof. Dr. Max H. Friedrich, Vorstand der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, im Kurzinterview


Ich habe mich für die Kinder- und Jugendpsychiatrie entschieden, weil …
… ich seit meinem 15. Lebensjahr wusste, dass ich in diese Richtung gehen werde. Ich stamme aus einer Arztfamilie und hatte immer ein hohes kollektives Bewusstsein für Kinder.

Die Kinder von heute sind …
… früher reif. In den letzten hundert Jahren hat sich viel verändert. Zunächst war die autoritäre Erziehung Thema, dann folgte das Gegenpendel zur antiautoritären Erziehung, danach kamen der demokratische und dann der liberale Stil. Heute, seit etwa 12, 13 Jahren, hat die Peer-Group-Erziehung Platz gegriffen. Kinder erziehen sich sozusagen untereinander, sie sind stark medienbewusst, -verführt, -süchtig – mit all den damit verbundenen Gefahren.

Was wir Erwachsene verstärkt für unsere Kinder tun sollten, ist …

… ihre Dialogfähigkeit zu fördern. Ohne Dialog gibt es keine Erziehung! Wir sollten sie ermutigen selbstbewusst aufzutreten, ohne präpotent zu werden.

Was Ärzte von Kindern und Jugendlichen lernen könnten, ist …
… die neue Welt der Kommunikation. Ärzte sollten die Sicht auf den ganzen Menschen lernen – einschließlich Seele und Gemüt – und jede Frage beantworten, auch wenn sie manchmal eingestehen, die Antwort nicht zu wissen.

Gewalt unter Jugendlichen hat …
… leider stark zugenommen – verbal, selbstbeschädigend, fremdbeschädigend bis hin zum Vandalismus. Möglicherweise sind die Hemm-, Brems- und Steuermechanismen zu schwach. Es könnte helfen, wenn wir unseren Kindern schon früh beibringen, ihre Emotionen auszudrücken.

Die Gründung der Roten Nasen war mir ein Anliegen, weil …
… wir viel von unserem Humor verloren haben. Wenn man früher eine Schule betrat, hörte man Lachen, Singen, Kinderstimmen. Heute ist es meistens still. Wir sind mit all unserer Technisierung und Rationalisierung „verernstlicht“ worden. Diese Humorlosigkeit macht mir zu schaffen.

Das Lachen vergeht mir, wenn …
… ich all das Leid sehe, das Kindern widerfährt. Wenn die Verbrechen aus dem Dritten Reich aufgearbeitet werden, die von Ärzten begangen wurden, dann wünsche ich mir, dass wir niemals vergessen. Es ist mir ein großes Anliegen, Eltern und Kindern Geschichtsbewusstsein zu vermitteln.

Für Österreichs Kinder- und Jugendpsychiater wünsche ich mir, …
… dass wir die Schwierigkeiten mit Ärztekammer und Politik überwinden. Wir haben um 80 bis 100 Kinder- und Jugendpsychiater zu wenig. Bei einem Ausbildungsmuster von 1:1 ist das auch kein Wunder. Für den Minister sind wir ein „Mangelfach“.

Für mich würde ich mir wünschen, dass …
… ich für mich persönlich Leonardo da Vincis Proportionsstudie durch einen fünfzackigen Stern, ein Pentagramm ergänzen kann. Das steht für mich für Reife, die sich aus Selbstverantwortung, Fremdverantwortung, Glücksfähigkeit, Liebesfähigkeit und Toleranzfähigkeit zusammensetzt. An dieser Reife sollten wir Erwachsene immer arbeiten, um sie den Kindern weitergeben zu können.

1945 in Klosterneuburg geboren, studierte Max Friedrich Medizin und promovierte 1971. Auf die Facharztausbildung in Psychiatrie und Neurologie folgten die Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie eine Ausbildung als individualpsychologischer Psychotherapeut. Max Friedrich ist seit 1984 als gerichtlich beeideter und zertifizierter Sachverständiger für Psychiatrie, Neurologie, Kinder- und Neuropsychiatrie und Psychotherapie tätig. Seit 1995 leitet er als Vorstand die heutige Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Er war und ist Lehrbeauftragter an mehreren Universitäten. Zudem war bzw. ist er in den Bereichen Musiktherapie, Alkoholikerberatung, als Gründer der Psychagogischen Betreuerausbildung, als Mitglied des Obersten Sanitätsrats, als Ärztlicher Leiter der Akutkriseninterventionsstelle „die boje“, als Leiter der Ombudsstelle für Missbrauchsfragen in der Erzdiözese Wien und als Präsident der Roten Nasen Clown Doctors tätig.
Max Friedrich sagt von sich selbst, dass er ein „schlimmes und schwieriges“ Kind war.
Er weiß, was Kinder in Krisen erleben. Er selbst hat vier Kinder.


Foto: Ernst Kainerstorfer