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Zwischen Realität und Soap Opera

Dr. Walther Jungwirth, der neue Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie, über Verbesserungen und Versäumnisse im neuen ÄsthOP-Gesetz, heimische Errungenschaften und falsche Vorstellungen über ein vielfältiges Berufsbild.


Dr. Walther Jungwirth, Facharzt für Plastische Chirurgie, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie.

Sie sind seit Anfang Oktober Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie. Was beinhalten die einzelnen Felder und wo grenzen sie sich voneinander ab?
Plastische Chirurgie ist sozusagen der Überbegriff. Plastisch heißt formbar, beschäftigt sich mit der äußeren Form. Die Rekonstruktive Chirurgie stellt wieder her, nach Operationen oder Unfällen zum Beispiel. Dazu zählen unter anderem Hand- oder Gesichtstransplantationen oder auch die Nervenchirurgie. Aus der Rekonstruktiven Chirurgie hat sich Anfang des vorigen Jahrhunderts dann die Ästhetische Chirurgie entwickelt, in den 1910er-Jahren von Berlin aus. Im Zuge des Ersten und Zweiten Weltkrieges hat die Bedeutung beider Disziplinen massiv zugenommen und deren Entwicklung wurde von Europa ausgehend vorangetrieben. Erst viel später hat dann die USA eine Führungsrolle übernommen. USA und Europa unterscheiden sich aber bis heute sehr deutlich, was das ästhetische Erscheinungsbild betrifft. Wir in Europa sind eher zurückhaltend und operieren nicht so extrem, wie das oft über Celebrities in den USA medial vermittelt wird.

Seit Beginn dieses Jahres gilt ein neues Gesetz für Schönheits-OPs, Ihr Urteil?
Grundsätzlich begrüßen wir als Gesellschaft das neue ÄsthOP-Gesetz, vor allem im Hinblick auf den Schutz von Jugendlichen. Es bietet den Patienten aber nicht nur Vorteile. Der bürokratische Aufwand ist mit dem verpflichtenden Patientenpass erheblich größer geworden, die Überschaubarkeit an Anbietern von ästhetischen Leistungen dafür nicht besser. Da der Begriff der ästhetischen Medizin als Zusatz für jede Fachrichtung ermöglicht wurde, können Patienten den Unterschied zwischen ästhetischer Chirurgie und Medizin oft nicht erkennen. Auch im Bereich der Hygiene sind notwendige Verbesserungen leider ausgeblieben: Standards und bauliche Voraussetzungen für chirurgische Eingriffe sind nach wie vor nicht gesetzlich geregelt, Kontrollen finden nicht statt. Nicht nachvollziehbar ist auch, dass In- und Ausländer unterschiedlich lange Bedenkzeiten haben. Können ausländische Patienten etwa schneller denken? Das lässt sich jedenfalls mit Patientensicherheit nicht erklären.

Sie kritisieren auch, dass das Brustimplantatregister nicht gesetzlich festgeschrieben wurde.
Mit dem Implantatregister zur Qualitätskontrolle von Brustimplantaten geht die Gesellschaft bereits seit 1996 einen innovativen und vorbildlichen Weg. Österreich war das erste europäische Land mit einem funktionierenden Register und hat heute die größte Anzahl an Patienten. Mittlerweile wurden über 20.000 Implantate registriert. Sinn des Implantatregisters ist die Qualitätskontrolle: Durch eine zentrale Registrierung können Fehlentwicklungen bei neuen Implantaten oder fehlerhafte Implantatchargen am schnellsten erkannt werden. Das Register steht Ärzten aller Fachrichtungen offen, wird aber nur von Plastischen Chirurgen genutzt. Und weil es nicht verpflichtend ist, gibt es Operateure, die nicht an das Register melden. Auch Implantate, die im Ausland eingesetzt werden, sind nicht eingetragen. Nur eine gesetzliche Verpflichtung zur zentralen Dokumentation aller eingesetzten Implantate würde die Sicherheit der Patientinnen nachhaltig erhöhen und die derzeitigen Lücken schließen.

Neben dem fachlichen Handwerk braucht der Ästhetische Chirurg auch Kommunikations- und psychologisches Einfühlungsvermögen. Wird darauf in der Ausbildung entsprechend Bezug genommen?
Ästhetische Chirurgen sind hier in der Tat sehr gefordert. Kommunikationseigenschaften kann man allerdings nur teilweise schulen, es braucht dazu einen ganz speziellen Typ von Mediziner. Wir beraten und begleiten unsere Patienten oft über Jahre oder Jahrzehnte, was ihr Erscheinungsbild betrifft. Man muss sie auf die optischen Veränderungen und ihre Folgen vorbereiten, Angst vor der Operation nehmen, Sicherheit geben ohne zu bagatellisieren, die Sicherheit, dass sie ihr persönliches Ziel auch erreichen werden. Realismus und Ehrlichkeit sind dabei wichtig. Man muss also auch bereit sein Patienten abzulehnen, deren Erwartungen nicht erfüllbar erscheinen.

Wie definieren Sie vor dem Hintergrund subjektiver Erwartungen Ihren persönlichen Qualitätsanspruch?
Ästhetische Chirurgie rechtfertigt sich nur, wenn sie in höchster Qualität erfolgt. Daher ist es wesentlich für uns Fachärzte für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie, dass wir die potenzielle Komplikationsrate so gering wie möglich halten. Ethisches Handeln heißt für mich, die bestmögliche Patientenzufriedenheit zu erzielen. Deshalb ist eine externe ISO 9002 Zertifizierung, wie ich sie seit 18 Jahren selbst habe, wesentlich.

Viele medizinische Disziplinen klagen über akuten Nachwuchsmangel. Die Ästhetischen Chirurgen sind in aller Munde – und auch in allen Medien. Wirkt sich das positiv auf das Angebot aus?
Viele Jungärzte wollen den Beruf ausüben. Wir laden alle dazu ein, eine entsprechende Facharztausbildung zu machen. Ich würde gerne eine Hospitalisierungspflicht auch für niedergelassene Ärzte in das neue Ausbildungscurriculum einführen, das gerade erarbeitet wird. Leider werden gerade zwei Abteilungen in Wels und Wien geschlossen. Dadurch fallen auch Ausbildungsplätze weg.

In der öffentlichen Wahrnehmung reduziert sich die Plastische oft auf die Ästhetische Chirurgie, zu Unrecht, oder?
Völlig zu Unrecht, ja, die Rekonstruktive Chirurgie ist ein zentrales, sehr umfassendes Feld. Es reicht von der Versorgung von Verbrennungen über eine Brustwiederherstellung bis zur adipösen Chirurgie. Überall dort muss aber immer auch die ästhetische Dimension der Wiederherstellung mitgedacht werden, womit sich der Kreis wieder schließt. Deshalb macht es durchaus Sinn, die beiden Felder gemeinsam zu betrachten.

Wie schneiden Österreichs Plastische Chirurgen im internationalen Vergleich ab?

Österreich ist seit jeher international gut positioniert. In Innsbruck wurde die erste Universitätsklinik für Plastische Chirurgie im deutschsprachigen Raum aufgebaut, der Facharzt wurde deutlich früher etabliert als in Deutschland und die Gesellschaft hat ebenfalls einige Jahre Vorsprung. Auch in den Methoden haben wir immer wieder Maßstäbe gesetzt. Ich habe zum Beispiel erst vor Kurzem eine erweiterte Methode des Faceliftings entwickelt, das Fächer-Facelifting, und sie am Deutschen Chirurgenkongress mit großem Erfolg als „Live-Operation“ präsentiert. Aber auch bei Themen wie Qualitätssicherung, Stichwort Implantatregister, Aus- und Weiterbildungscurriculum oder Serviceprojekten sind wir gut aufgestellt. Die Gesellschaft bietet etwa schon seit 2003 verunsicherten Patienten nach bereits erfolgten ästhetischen Eingriffen die Möglichkeit an, kostenlos eine kompetente Meinung einzuholen. 70 Patienten wenden sich jedes Jahr an diese Hotline unter der Nummer 820 820 600.

Was sind die wesentlichen Themen, welchen Sie in den kommenden zwei Jahren als Präsident Ihre Aufmerksamkeit schenken werden?

Ich möchte die Ästhetische Chirurgie vom Geruch der Soap-Serien befreien und den Menschen die Realität näherbringen. Ich will die Qualität weiter verbessern, von der Ausbildungs-, über die Forschungs- bis hin zur Behandlungsqualität. Und ich will die großartigen Leistungen der Rekonstruktiven Chirurgie stärker in den Mittelpunkt stellen. Auch der Ärzteschaft muss erst klar gemacht werden, was sie zu leisten imstande ist und welcher Schaden angerichtet wird, wenn an falscher Stelle gespart wird.                                                  vw

Biobox: Dr. Walther Jungwirth studierte und assistierte an der Universitätsklinik Innsbruck. Mehrere Studienaufenthalte führten ihn in die USA, 1991 ein humanitärerer Interplast-Einsatz für Afghanische Kriegsverletzte nach Peshawar, Pakistan, wo er Operationen an Verbrennungsopfern und Schussverletzten durchführte. 1991 Leiter der Abteilung für Plastische Ästhetische Chirurgie der EMCO Privatklinik, 2002 eröffnete er das Kompetenzzentrum für Ästhetische Plastische Chirurgie und Kosmetische Medizin, 2012 eine neue Praxiskooperation in Wien. Seit 2005 ist Jungwirth Mitglied des Vorstandes der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie und auch ihr Qualitätsbeauftragter. Im Gegensatz zu Deutschland oder der Schweiz deckt die Gesellschaft beide Disziplinen ab. Sie vereint rund 200 Ärzte, jeweils zu etwa 50 Prozent aus dem klinischen und niedergelassenen Bereich.