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Zu wenig Eiweiß im Alter?

Es ist bekanntlich der wichtigste Baustoff des Körpers und wer sich ausgewogen ernährt, nimmt auch genügend Proteine zu sich. Allein: Bei älteren Menschen besteht durchaus die Gefahr einer Unterversorgung.


Ernährungsgesellschaften empfehlen eine tägliche Eiweißaufnahme von 0,8 g pro kg Körpergewicht, mindestens aber zwischen 54 und 60 g bei Männern sowie zwischen 44 und 48 g bei Frauen. Ein Mehrbedarf von wenigstens 58 g ist ab dem vierten Schwangerschaftsmonat gegeben und stillende Mütter benötigen sogar mindestens 63 g täglich. Wie viel auch immer, das Eiweiß sollte über den ganzen Tag verteilt aufgenommen werden. Der Organismus kann nämlich auf einmal nur eine gewisse Menge an Proteinen resorbieren – konkret sind das 30 g pro Mahlzeit. Wer also beispielsweise seinen Tag mit Marmeladebrot und Kaffee beginnt, vertut schon die erste Chance, Proteine zu sich zu nehmen. Zu Mittag folgt dann das Schnitzel mit Kartoffeln, wodurch 30 g meist mehr als abgedeckt werden. Wer dann aber abends etwa eine Schüssel Salat oder ein Brot mit Aufstrich isst, nimmt nicht nur erneut zu wenig Eiweiß zu sich, sondern kommt auch insgesamt nicht auf den empfohlenen Wert. Im Interview erklärt die Leitende Diätologin an der Salzburger Universitätsklinik Maria Anna Benedikt unter anderem, wie eine Woche mit ausreichend Eiweißaufnahme ausschauen sollte.

Genügend Proteine

Bei einem erwachsenen Menschen, der sich durch eine ausgewogene Mischkost mit tierischen Lebensmitteln (Fleisch, Fisch, Eier, Milch, Milchprodukte) sowie pflanzlichen Nahrungsmitteln (Soja, Hülsenfrüchte) ernährt, besteht keine Gefahr der Unterversorgung an Eiweißstoffen. Im Gegenteil: In Zeiten des Junk-Foods sind zumindest in unseren Breiten in Bezug auf Makronährstoffe viele überernährt. Freilich gibt es die Regel bestätigende Ausnahmen: „Neben anorektischen Frauen und vermehrt auch Männern besteht insbesondere bei älteren Menschen, die oft wenig essen, mitunter die Gefahr einer Eiweißunterversorgung“, so Univ.-Prof. Dr. Regina Roller-Wirnsberger von der Medizinischen Universität Graz.
Um herauszufinden, ob der Mensch hinreichend mit Eiweißstoffen versorgt ist, stehen unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung: Zu allererst gilt es, die Grundkonstellation zu betrachten und zwar durch eine Messung des Body-Mass-Index (BMI). „Bei Jüngeren liegt der Cut-off bei 18,5, bei älteren Menschen, die teils unter mehreren Erkrankungen gleichzeitig leiden, liegt dieser bei 21“, erklärt Internistin Roller-Wirnsberger. Der zweite Punkt ist die Anthropometrie. Der Körper besteht nicht nur aus Eiweiß bzw. Muskelmasse, sondern auch aus Fett und Wasser. Im Laufe des Lebenszyklus verändert sich allerdings die Körperzusammensetzung. Allein: Sie verändert sich meist nur nach innen. Eine Person kann also nach außen hin immer (noch) gleich ausschauen und auch über die Jahre ein annährend gleichbleibendes Gewicht auf die Waage bringen. Relativ betrachtet, hat ein alter Mensch jedoch einen geringeren Muskelanteil. Da die Muskelmasse den Grundumsatz bestimmt, benötigen wir im Alter zwar weniger Proteine, dabei darf es aber freilich nie so weit kommen, dass ältere Menschen noch weniger Eiweiß zu sich nehmen, als sie ihrem Körper sowieso aufgrund der schon geringeren Nahrungsaufnahme zuführen. Auch hier gibt der BMI Aufschluss, jedoch nicht hinlänglich, schließlich verändert sich das Gewicht, wie erwähnt, mitunter gar nicht.
Um die Anthropometrie genauer zu überprüfen und mehr noch herauszufinden, ob hinsichtlich des Eiweißhaushaltes Gefahr in Verzug ist, gibt es verschiedenste Parameter, erklärt Roller-Wirnsberger: „Da wäre beispielsweise der Wadenumfang. Misst dieser weniger als 31 cm, könnte möglicherweise irgendetwas nicht stimmen. Das Zweite ist der Gewichtsverlauf. Es ist normal, dass der Mensch einmal zu- und dann wieder abnimmt. Bei alten und insbesondere multimorbiden Menschen ist eine ungewollte Gewichtsabnahme jedoch als Alarmsignal zu werten. Hier gibt es ebenso bestimmte Cut-offs: Hat die Person mehr als fünf Prozent in den letzten 30 Tagen oder mehr als zehn Prozent in den letzten 180 Tagen verloren, so müssen Ärzte aufhorchen.“

Essen wie damals

Es gibt noch einen weiteren Parameter, den ein Arzt allerdings nur selten zu Gesicht bekommt. Es ist nämlich so, dass ältere Menschen nicht nur weniger essen, sondern bisweilen sogar gänzlich aufhören zu essen. Hier sind Angehörige, Betreuer und Pflegepersonal gefragt, da nur sie beobachten können, ob der Teller leer gegessen wird oder eben nicht. Prinzipiell sollten wir eine tägliche Kalorienmenge gemäß den DACH-Kriterien (in Deutschland, Österreich, Schweiz) zu uns nehmen. Diese beträgt bei hochaltrigen, sehr aktiven Patienten in Abhängigkeit vom Geschlecht zwischen 1.800 und 2.000 kcal pro Tag. Bei abnehmender Aktivität sinkt der Bedarf entsprechend. Lassen indes ältere Personen über eine Woche lang ein Viertel der Mahlzeiten über, so ist dies ein „Warnhinweis“, denn sie nehmen nicht nur zu wenig Proteine, sondern insgesamt zu wenig Makronährstoffe zu sich. Wenngleich sie aufgrund der abnehmenden Muskelmasse auch weniger Eiweiß benötigen, darf jener kritische Punkt nicht übersehen werden, wo der Bedarf nicht mehr über die Nahrungszufuhr gedeckt wird.
Ob Nährstoffe in einem reduzierten Ausmaß aufgenommen werden, kann anhand einer Essbiografie festgestellt werden. Bei dieser ernährungsmedizinischen Analyse stellen Diätologen verschiedenste Fragen, die sich weniger auf das derzeitige Essverhalten beziehen als vielmehr auf den – nomen est omen – biografischen Background. Schließlich wird der Grundstein für unser Essverhalten bereits im Kindes- und Jugendalter gelegt. Umso besser, dass mittlerweile bereits in vielen Kindergärten und Schulen Projekte laufen, die darauf abzielen, Kindern und Jugendlichen die Wichtigkeit einer gesunden, bewussten und insbesondere einer ausgewogenen Ernährung näherzubringen.
Doch zurück zur Essbiografie: Nachdem eine solche erstellt wurde, wird in erster Linie versucht, die normale Nahrung derart zu verändern, dass der Betroffene in dieser Form wieder ausreichend Eiweißstoffe zu sich nimmt. Funktioniert das nicht, was einerseits aufgrund des „antrainierten“ Essverhaltens leider oft der Fall ist, andererseits aber auch daher rührt, dass ältere Menschen im Laufe der Zeit gegen bestimmte Speisen gelegentlich eine Abneigung entwickeln, folgt die zweite Stufe: die gemeinhin als Astronautennahrung bekannten Supplemente, wobei freilich jene Sorten ausgewählt werden, die die fehlenden Stoffe beinhalten. Kommt es wiederum zu keiner Besserung, werden Patienten mittels Sonde ernährt. Als vierte bzw. letzte Stufe erfolgt eine intravenöse Ernährung. „In jedem Fall sollten die Betroffenen aber stets auch ein klein wenig Nahrung auf dem normalen Weg zu sich nehmen. Nur so bleibt der Darm in Bewegung. Und gerade bei älteren Menschen ist es entscheidend, dass das wichtigste Immunsystem des Körpers funktionstüchtig bleibt. Zudem ist es rechtlich erforderlich, dass jegliche ernährungsmedizinische Intervention der Anweisung eines Arztes bedarf“, betont die Grazer Internistin. Apropos Bewegung: Ein alter Mensch resorbiert Eiweißstoffe genauso wie ein junger Mensch. Auch funktioniert hinsichtlich der Proteinbiosynthese alles gleich gut. Das Problem bestehe, laut Roller-Wirnsberger, darin, dass der Körper Proteine nur dann verstoffwechseln kann, wenn wir uns bewegen. Und so nimmt der Teufelskreis seinen Lauf: „Ältere Menschen bewegen sich nicht, liegen nur mehr im Bett, bauen Muskelmaße ab und haben folglich weniger Hunger. Wird diesen Menschen Eiweiß zugeführt, macht das nur wenig Sinn, weil es aufgrund des Bewegungsmangels nicht umgebaut werden kann. Wird der Betroffene überdies ausschließlich über Sonde oder intravenös ernährt, hört auch der Darm auf, seine wichtige Arbeit zu leisten.“

Es muss nicht nur schmecken

Die Gründe, warum ältere Menschen weniger oder nichts mehr essen, sind vielfältig. Gewiss ist – wie bereits angeführt –, wir werden schon in unserer Kindheit bzw. Jugend darauf „getrimmt“, was wir gerne essen und was nicht. Senioren von heute sind im Krieg aufgewachsen und mussten während der Nachkriegszeit schauen, dass überhaupt etwas auf den Tisch kam. Ihr Essverhalten wurde somit in einer Zeit geprägt, als beispielsweise Fisch, bekanntermaßen reich an Eiweißstoffen, so gut wie gar nicht auf den Tellern landete. Und so essen ältere Menschen auch heute nur wenig bis keinen Fisch. Abgesehen davon fehlt es älteren Menschen oft an der Eiweißquelle Fleisch, weil sie dieses oft nicht mehr beißen können, außerdem ist es teuer und häufig schmeckt es ihnen schlicht und ergreifend nicht (mehr). Milchprodukte sind ein weiterer wichtiger und guter Eiweißlieferant, doch viele entwickeln im Alter eine Laktoseintoleranz. So werden ältere Personen selbst dann nicht zu Milch, Käse und Co. greifen, wenn ihnen Arzt, Pfleger oder Familienmitglieder dazu raten.
Das Problem ist: Hat ein alter Mensch – warum auch immer – erst einmal aufgehört zu essen, wird es umso schwieriger, ihn dazu zu bringen wieder damit anzufangen. Vielmehr gewöhnt er sich daran, zudem wird sein Metabolismus hinuntergeschraubt.
Wie gelingt es nun aber, ältere Personen zum Essen zu motivieren und damit eine ausreichende Eiweißzufuhr zu gewährleisten? Suppen sind gewiss eine gute Möglichkeit, allerdings befinden sich darin nur wenige Makronährstoffe und so müssen sie mit eben diesen angereichert werden (mehr im Interview mit Diätologin Benedikt). Im Übrigen ist wohl Kreativität gefragt: Letztendlich isst das Auge auch im Alter mit und sind es noch dazu mehrere Augenpaare, kann Essen hoffentlich älteren Menschen wieder Freude bereiten.              cm

Foto: bildagentur waldhäusl