Zeitenwende
Der 21. Dezember 2012 markiert wegen der Unisex-Richtlinie und Absenkung des Garantiezinses in der klassischen Lebensversicherung ein magisches Datum in der Versicherungsbranche. Der Abschluss einer neuen Polizze nach dieser Deadline ist zumeist teurer.
In den Produktschmieden der Versicherungen herrscht derzeit Hochbetrieb. Denn die Zeit drängt. Bis 21. Dezember muss sämtliches Tarifwerk an die neuen Bedingungen angepasst sein. Der Druck ist diesmal besonders groß, weil gleich zwei große Veränderungen für das Neugeschäft zu berücksichtigen sind: Zum einen muss gemäß der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 1. März 2011 die Prämiengestaltung auf Unisex, also auf geschlechtsneutrale Tarife umgestellt werden. Zum anderen hat die Finanzmarktaufsicht verordnet, dass der höchstzulässige Garantiezins in der klassischen Lebensversicherung von derzeit zwei Prozent mit gleichem Datum auf 1,75 Prozent zu reduzieren ist.
Unisex-Tarife galten in der Versicherungsbranche bislang als undenkbar. Denn die unterschiedlichen Prämien für Mann und Frau bei gleichem Alter und unter sonst gleichen Bedingungen waren vor allem deshalb unterschiedlich hoch, weil der Versicherer sie traditionellerweise und aus gutem Grund nach Risikogesichtspunkten kalkulierte.
Biometrische Messungen
Schon allein der Blick auf die statistischen Daten zeigt die klaren Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Frauen haben eine längere Lebenserwartung als Männer. Nach den aktuellen Sterbetafeln 2000/2002 beträgt die Lebenserwartung bei der Geburt für Mädchen 81,5 Jahre und für Buben 75,5 Jahre, eine Differenz von sechs Jahren. Bis zum Alter von 60 Jahren hat sich dieser Unterschied auf vier Jahre reduziert. Die fernere Lebenserwartung beträgt 20 Jahre für den Mann und 24 Jahre für die Frau. Der Grund dafür ist rasch erklärt: Männer leben meist gefährlicher als Frauen und haben eine höhere Unfallwahrscheinlichkeit. Genau diese Unterschiede werden derzeit in der Prämienberechnung widergespiegelt: Rentenversicherungen sind wegen der höheren Lebenserwartung für Frauen um rund zehn Prozent teurer, Ablebensversicherungen dagegen um rund 40 Prozent und Unfallversicherungen um bis zu 50 Prozent billiger als für Männer. Kurzum: Bislang waren Sterblichkeit und unterschiedliches Leistungsverhalten für die Prämie maßgeblich. Ab 21. Dezember gelten diese Unterschiede nicht mehr. Die Versicherungsbranche hat diese Erkenntnis zähneknirschend zur Kenntnis genommen. Pikanterie am Rande: Die Unisex-Regel gilt nur für private Versicherungen. In der betrieblichen Vorsorge wird künftig weiterhin zwischen Mann und Frau unterschieden.
Wenn das Geschlecht keine Rolle mehr spielt, müssten für Frauen Rentenversicherungen um die Hälfte billiger und Risiko- und Unfallversicherungen um die Hälfte teurer werden. Für den Mann wäre es umgekehrt, damit die Prämie für beide Geschlechter unter gleichen Bedingungen tatsächlich gleich hoch ist.
Doch so einfach ist das in der Praxis nicht, weil in den Deckungsstöcken der Versicherungsgesellschaften nicht genau gleich viele Männer wie Frauen versichert sind. Schon allein aus dem Bestand wird der neue Preis dann ober- oder unterhalb der Mitte liegen. „Aber auch die Einschätzung, ob in Zukunft mehr Frauen oder Männer das jeweilige Produkt abschließen werden, wird von der Assekuranz bei den neuen Tarifen berücksichtigt werden“, erklärt S-Versicherung-Vorstand Heinz Schuster.
Gleiche Leistung, höhere Premie
Die bisherige Faustregel, dass Männer eine neue Polizze noch vor dem 21. Dezember und Frauen erst danach abschließen sollten, muss unter dem Blickwinkel, dass der höchstzulässige Garantiezins gleichzeitig von aktuell zwei auf 1,75 Prozent sinkt, unter einem neuen Licht gesehen werden. Diese Veränderung schlägt vor allem in der klassischen Erlebens-, Er- und Ablebens- und Rentenversicherung durch, weil für gleiche Leistung mehr Prämie auf den Tisch gelegt werden muss.
Noch halten sich die meisten Versicherer aus Konkurrenzgründen bedeckt, wie sich die beiden neuen Parameter in Zahlen konkret auf die Prämiengestaltung auswirken werden. Aber schon heute ist klar, dass es die großen Veränderungen für den Abschluss neuer Polizzen (bestehende sind nicht betroffen) vor allem im Bereich Ablebensversicherung und Rentenversicherung geben wird. „Ablebensversicherungen werden für Frauen mit steigendem Alter um bis zu 35 Prozent teurer und für Männer mit steigendem Alter um bis zu 23 Prozent billiger“, verrät S-Versicherung-Vorstand Heinz Schuster. „Rentenversicherungen werden für Männer um rund zehn Prozent und für Frauen zwischen drei und fünf Prozent teurer.“ Weitaus weniger drastisch werden die Veränderungen in der Krankenversicherung sein, „weil das Risiko von Schwangerschaft und Mutterschaft bereits 2007 auf beide Geschlechter verteilt wurde“, erklärt Peter Kranz, Leiter der Krankenversicherung in der Wiener Städtischen Versicherung. Die neuen Tarife werden sich im Bereich von zehn Prozent auf oder ab bewegen, wobei die Ausschläge bei der jüngeren Klientel höher ausfallen werden als bei der älteren ab 45 Jahre. Auch in der Unfall- und Autoversicherung werden die Anpassungen nicht dramatisch ausfallen, erläutert Mathias Frisch, Leiter der Lebensversicherung in der Wiener Städtischen Versicherung. „Im Bereich Unfall geht es meist um eine Familienversicherung, bei der sich die Risiken zwischen Mann und Frau ausgleichen.“ Bei der Autoversicherung hätten die früher gängigen Lady-Rabatte inzwischen Exotencharakter. „Heutzutage geht es eher um einen Rabatt für das Zweitfahrzeug“.
Fazit: In den meisten Fällen ist es sinnvoll, noch vor dem 21. Dezember seine Versicherungsbedürfnisse in Ordnung zu bringen. Nur in ganz wenigen Fällen sollten man den 21. Dezember verstreichen lassen – konkret: Männer können sich für den Abschluss einer Risikoversicherung und Frauen für den Abschluss einer Krankenversicherung und Pflegevorsorge ruhig Zeit lassen (siehe Grafik der s Versicherung „Unisex-Tarife & Garantieverzinsung“ und „Die Auswirkung von Unisex und Garantiezins ab 21.12 .2012“). emb