Wiener Schmuckszene
Der Titel „Kulturmetropole“ bezieht sich nicht nur auf darstellende und bildnerische Künste, sondern auch auf traditionelles Kunsthandwerk. Diesmal begab sich Ines B. Kasparek auf einen Streifzug durch Wiens Schmuck-Werkstätten.
Wie in der Mode gibt es auch in der Welt des Schmucks stets mehrere unterschiedliche, parallel laufende Strömungen, die entweder als Ergänzung oder als Kontrastprogramm zur aktuellen Mode fungieren. Atelierschmuck jedoch unterliegt ganz eigenen Regeln. Im Zentrum des Interesses stehen hier nicht Trendqualitäten, sondern der Kunsthandwerk-Charakter und die Individualität der Kreation. Was gibt es Schöneres als ein nach Maß angefertigtes Schmuckstück, das es nur einmal auf der Welt gibt? Unnötig zu erwähnen, dass Weihnachten naht und Einzelanfertigungen natürlich einige Zeit in Anspruch nehmen können. Also, Wünsche definieren und auf zum nächsten Goldschmied!
Als Kontrastprogramm zum Monobrand Store Boom mit internationaler Einheitsware erleben Wiens Goldschmiede wieder ein steigendes Interesse für handgefertigte Unikate. Wenn es mal schnell gehen muss, bieten sich auch Stücke aus kleinen, vorgefertigten Serien an, deren Schmuckstücke aufgrund der verwendeten Edelsteine einen individuellen Charakter aufweisen. Juwelen aus dem eigenen Atelier besitzen immer etwas, das in Zeiten der Globalisierung von unschätzbarer Bedeutung ist: eine unverwechselbare Handschrift.
Traditionsreich
Das Schmuckhandwerk hat in Wien schon seit der Monarchie große Tradition. Das Kaiserhaus und dessen Umfeld schufen den idealen Nährboden für jede Form des exklusiven Kunsthandwerks. Manche Betriebe, die in jener Zeit gegründet wurden, existieren bis heute. Sie spannen den Bogen von einer lang gepflegten Tradition hin zu modernen Anforderungen stilistischer oder verarbeitungstechnischer Art. So findet man zum Beispiel unweit des Stephansdoms, am Neuen Markt, Wiens traditionsreichsten Juwelier. Schon das Interieur von A. E. Köchert – einst vom Ringstraßenarchitekten Theophil Hansen entworfen, der auch das Parlament und den Musikverein gestaltet hat – ist einen Besuch wert. Als k. u. k. Hof- und Kammerjuweliere waren die Vorfahren der jetzigen Inhaber die persönlichen Juweliere der österreichischen Kaiser. Für internationales Ansehen sorgten damals unter anderem die berühmten Sterne der Kaiserin Elisabeth, die inzwischen wieder produziert werden und sich größter Beliebtheit erfreuen. Das Unternehmen wurde 1814 zur Zeit des Wiener Kongresses gegründet und feierte daher im Vorjahr sein 200-jähriges Bestehen.
Spaziert man vorbei am Stephansdom und danach in Richtung Dreifaltigkeitssäule findet man einen weiteren ehemaligen k. u. k. Hoflieferanten, der seit 1902 auf Wiens nobler Einlaufsmeile, dem Graben, zu Hause ist. Juwelier Heldwein wird bereits in der vierten Generation als Familienunternehmen geführt. 1991 übernahm Goldschmiedemeister und Gemmologe Anton Heldwein, der sich weder traditionellen Werten noch innovativen Ideen verschließt, das Geschäft. So wurden im Sommer 2008 die Räumlichkeiten in der Rekordzeit von nur vier Wochen komplett neu gestaltet. Prädikat sehenswert, denn das über 200 Jahre alte Haus mit denkmalgeschützter Fassade wurde dabei innen komplett von Altlasten befreit und die schöne Gewölbedecke herausgearbeitet, um eine neue, stilvoll-moderne Atmosphäre entstehen zu lassen. „Wir wollten kein hypermodernes, für kurze Zeit trendiges Geschäft schaffen, sondern einen Klassiker von morgen. Dabei ließen wir uns stark von der Ästhetik der klassischen Wiener Geschäftsarchitektur der Jahrhundertwende beeinflussen.“ Das hauseigene Atelier, das damals wie heute zur Erfüllung von speziellen Kundenwünschen eingerichtet wurde, rückte durch den Umbau noch mehr in den Fokus.
Neben dem unverwechselbaren Stil des Hauses verfügt jedes Schmuckstück von Heldwein noch über ein weiteres Erkennungsmerkmal und Qualitätssiegel: die 1946 entworfene Heldwein-Punze, für welche die Dreifaltigkeitssäule, eine der schönsten Barocksäulen Wiens, als Vorbild diente.
Visionär & kreativ
Ganz ohne historischen Background, dafür mit viel Herzblut und Kreativität hat sich Reinhard Köck – sein Geschäft befindet sich am Graben 22 – einen Kultstatus erarbeitet, der seinesgleichen sucht. Vor allem die „neue“ Generation prominenter Wiener und Wienerinnen – von Schauspielern, TV- und Radiomoderatoren über Sportler und Künstler bis hin zur Agenturszene konsultiert gerne Reini Köck nicht nur in Sachen Uhren, sondern auch in Schmuckfragen. Sein mediterran inspirierter Stil lässt sich schon in den Auslagen erkennen, die zu den einladensten Wiens zählen. Und Schwellenangst gibt es bei Köck sowieso nicht.
Schmuck als Designobjekt
Als besonders interessante Adresse in Sachen Wiener Schmuckhandwerk gilt Herbert Schullins Store im berühmten Looshaus am Kohlmarkt. Die Charakteristik: ein echtes Familienunternehmen mit großer Affinität zu Design. Wie Köchert nahm auch Schullin bei der zehnten Ausgabe des Metier-übergreifenden Projekts „Wien Product“ teil. Wiener Unternehmen mit Designern zusammenzuführen, ist das Kernthema dieser Initiative der Wirtschaftskammer Wien. Die enge Verbindung von Handwerk, Design und Wirtschaft, wie sie gerade in Wien auf eine lange Geschichte zurückblickt, wird um neue Traditionen bereichert und belebt. Herbert Schullin hat diesmal gleich drei Designerinnen ins Boot geholt, die jeweils ein Schmuckstück für die diesjährige „Wien Products“ Kollektion entworfen haben. Dank konkreter Vorgaben – wie Kombination unterschiedlicher Materialien, Formwiederholung und Addition von Geometrien – ist ein roter Faden erkennbar. Dennoch spiegelt jedes Stück die Handschrift seiner jungen Designerin wider.
Ob progressives Design oder klassisches Juwel, jede Frau verdient, eines Tages das Schmuckstück ihrer Träume in Händen zu halten – am besten als speziell angefertigtes Unikat. ibk