Wien ist anders
Während in anderen Bundesländern auch lange um neue Arbeitszeitregelungen für Spitalsärzte gerungen wurde, halten die erzielten Kompromisslösungen dann aber weitgehend – nicht so in Wien.

Ein Punkt der Vereinbarung sieht die Umstrukturierung der Dienstzeiten sowie eine Reduktion der Nachtdienste um ein Drittel vor. Foto: fotolia

Für den Wiener Ärztekammer-Präsidenten Dr. Thomas Szekeres kam die Ablehnung des Verhandlungsergebnisses nicht überraschend, obwohl er selbst am Verhandlungstisch saß: „Die Vereinbarung wurde konterkariert und gebrochen.“ Foto: Pflügl

Dr. Johannes Steinhart, Vizepräsident der Wiener Ärztekammer und Obmann der Kurie der niedergelassenen Ärzte, fordert ein „Kriseninterventionspaket“ für den niedergelassenen Bereich mit mindestens 300 zusätzlichen Kassenstellen für Wien. Foto: Christian Jungwirth

Dr. Peter Niedermoser, Präsident der Ärztekammer Oberösterreich, ist zuversichtlich, dass das vorliegende Verhandlungsergebnis von den oberösterreichischen Ärzten nach Ostern bestätigt wird und das Gesetz mit 1. Juli in Kraft treten kann. Foto: Laresser
Wien ist anders! Darüber wird man spätestens in Kenntnis gesetzt, wenn man über die Südautobahn in die Bundeshauptstadt einfährt. Aber eigentlich wissen das gelernte Österreicher auch ohne aufwendig gestaltete Werbesujets. Den Wahrheitsgehalt dieses Werbeslogans haben die Ereignisse rund um die Verhandlungen um eine Neugestaltung der Gehälter und Arbeitsbedingungen für die 3.250 angestellten Ärzte der Wiener Gemeindespitäler zwischen der Stadt Wien, Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV), der Ärztekammer und der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten einmal mehr eindrucksvoll bestätigt. Denn in Wien bedeutet ein von allen Verhandlungspartnern unterzeichnetes Verhandlungsergebnis offenbar noch lange nicht das Ende der Geschichte. Im Gegenteil, selten zuvor waren der Ausgang des schwelenden Konflikts und seine Folgen für die Betroffenen – die Spitalsärzte, aber auch die niedergelassenen Ärzte und vor allem die Patienten – so ungewiss wie derzeit (zumindest zu Redaktionsschlusses dieser Ausgabe!)
Die im Jänner erzielte Einigung sieht unter anderem ein Vorziehen der ursprünglich für 2017 geplanten Besoldungsreform vor, im Zuge derer die Grundgehälter asymmetrisch angehoben werden, wodurch sich die Gehaltskurve deutlich abflachen sollte. Die höchste prozentuelle Steigerung betrifft also die Turnusärzte mit plus 25 bis 29 Prozent beim Grundgehalt. Weitere Punkte der Vereinbarung sehen zudem die Umstrukturierung der Dienstzeiten sowie eine Reduktion der Nachtdienste um ein Drittel vor.
Der letzte Punkt werde auch Auswirkungen auf den Personalstand haben, verkündete im Anschluss an die Vertragsunterzeichnung Gesundheitsstadträtin Mag. Sonja Wehsely. Der Plan sieht eine Einsparung von 382 Ärzten bis 2018 vor, das sind mehr als zehn Prozent aller beim KAV angestellten Ärzte. Durch die Umschichtung von Arbeitsleistung aus der Nacht in den Nachmittag sollen demnach „modernere und zeitgemäßere Arbeitsbedingungen“ erreicht werden. Mit reduzierten Kapazitäten rechne man im KAV dadurch nicht: „Die Leistung bleibt gleich“, sagte ein KAV-Sprecher gegenüber der APA.
Die Ärztekammer legte das Ergebnis anschließend den Ärzten zur Abstimmung vor. Das Ergebnis war für die Verhandler desaströs: 87,44 Prozent stimmten gegen die neue Regelung. Daraufhin forderte die Kammer Nachverhandlungen ein – und erntete dafür viel Kritik. Der Vorsitzende der Gewerkschaft für Gemeindebedienstete - Kunst, Medien, Sport und freie Berufe, Christian Meidlinger, selbst am Verhandlungstisch dabei, bedauert, dass es der Kammer offensichtlich nicht gelungen sei, ein „herzeigbares und gutes Ergebnis gut zu verkaufen“ und spricht von einem „bitteren Nachgeschmack“. Für SPÖ-Gesundheitssprecher Kurt Wagner wiederum ist es nicht nachvollziehbar, dass man manche Dinge jetzt noch einmal einzeln verhandeln will, nachdem ein Ergebnis vorliegt.
Die Ärztevertretung bleibt aber ungeachtet der Kritik bei ihrer Forderung. Präsident Dr. Thomas Szekeres kann sich jedenfalls nicht vorstellen, dass die Stadt so ein eindeutiges Votum ignorieren und gegen die Ärzte agieren werde. Das Ergebnis sei für ihn letztendlich gar nicht überraschend gekommen, erläutert Szekeres, habe doch der KAV „nicht einmal im Ansatz begonnen“, die vereinbarten Strukturmaßnahmen durchzuführen. Stattdessen sei nur überlegt worden, wo und wie man Dienstzeiten und Personal einsparen könne. „Damit wird die Vereinbarung konterkariert und gebrochen.“
Erste informelle Gespräche zwischen Stadt und Ärztekammer – durch Vizepräsident Dr. Hermann Leitner – haben inzwischen auch schon stattgefunden, auch wenn der Begriff „Nachverhandlungen“ seitens der Stadträtin tunlichst vermieden wird. Fortschritte waren dabei bisher aber nicht absehbar.
Kriseninterventionspaket
Gleichzeitig wird von der Ärztekammer eine weitere Front in der Auseinandersetzung eröffnet. Nicht nur in den Krankenhäusern könnte es nach der Ablehnung des Verhandlungsergebnisses durch die Wiener Spitalsärzte demnächst eng werden, sondern auch in den Ordinationen, warnt Dr. Johannes Steinhart und verlangt ein sofortiges „Kriseninterventionspaket“. Der Vizepräsident der Wiener Ärztekammer und Obmann der Kurie der niedergelassenen Ärzte fordert einen sofortigen Ausbau des Kassensystems mit zumindest 300 neuen Kassenstellen in Wien, eine sofortige Aufhebung sämtlicher Deckelungen in den Kassenordinationen sowie die Abschaffung der Chefarztpflicht. Nur so könne der zu erwartende „Ansturm der Patienten“ vom niedergelassenen Bereich bewältigt werden. Auch der Ärztefunkdienst sollte weiter ausgebaut werden, wünscht sich Steinhart von Stadt und Wiener Gebietskrankenkasse.
Während bei den gemeindeangestellten Ärzten zumindest über Ergebnisse gestritten wird, gibt es solche für die Ärzte am AKH – wie übrigens auch an allen Unikliniken bundesweit – sowie für die Ärzte der Ordensspitäler noch gar nicht. Die vom Rektorat bislang vorgelegten Angebote wurden vom AKH-Betriebsrat als unzureichend zurückgewiesen, für die acht Wiener Ordensspitäler beginnen die Verhandlungen überhaupt erst in diesen Tagen. Laut OA Dr. Ernest Zulus, MBA, Ärztevertreter im Betriebsrat des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern in Wien, kämpfen die Ordensspitäler schon seit Jahren um eine Angleichung der Ärztegehälter an das Niveau der KAV-Häuser. „Wir sind bei den Verhandlungen quasi das Schlusslicht und die Geduld der Ärzte ist dementsprechend schon überstrapaziert. Wir brauchen daher eine rasche Lösung. Ziel ist ein Kollektivertrag für alle Ordenskrankenhäuser bis Juni 2015.“
Der Status quo ist seit 1.1.2015 ohnehin nur mehr aufrechtzuerhalten, weil Betriebsvereinbarungen befristet verlängert wurden und viele Kollegen noch bereit waren, das Opt-out zu unterschreiben und vorübergehend weiterhin bis zu 60 Wochenstunden zu arbeiten. Diese Bereitschaft besteht aber nur noch bis Ende Juni, sofern ernsthafte KV-Verhandlungen geführt werden.
Bundesweiter Rundblick
Besser als in Wien sieht es in vielen Bundesländern inzwischen aus. Während im Burgenland noch verhandelt wird, liegen für Tirol und Vorarlberg zumindest befristete bzw. Übergangslösungen für 2015 vor, die von den Ärzten akzeptiert werden. Von den Ärzten abgesegnete Abschlüsse gibt es in Salzburg und Kärnten, in Niederösterreich ist eine Neuregelung bereits in Kraft. In Oberösterreich liegt seit Mitte Februar ein Verhandlungsergebnis am Tisch. Das neue Gehaltsmodell, das mit 1. Juli 2015 starten soll, sieht eine Erhöhung der Grundgehälter um 15 (Turnusärzte) bis 20 Prozent (Fachärzte) vor. Die in Oberösterreich einzigartigen Ambulanzgebührenanteile fallen im Gegenzug weg. Für alle neu eintretenden Ärzte wird das neue Modell verpflichtend, alle anderen können zwischen altem und neuem Schema wählen.
Die Ärztekammer macht ihre finale Zustimmung allerdings vom Ergebnis einer Ärztebefragung abhängig. „Wir fahren mit dem erzielten Verhandlungsergebnis jetzt von Krankenhaus zu Krankenhaus, um die Auswirkungen auf die Kollegen darzustellen“, erläutert Kammerpräsident Dr. Peter Niedermoser. Zudem wurde in jedem Krankenhaus ein Gehaltsrechner installiert, der den Ärzten helfen soll, die individuellen Unterschiede zwischen altem und neuem Schema zu berechnen. Auf dieser Basis könne jeder Arzt die für sich beste Entscheidung treffen, welche Option er letztendlich wählt.
Die Abstimmung findet nach Ostern statt. Eine Zustimmung vorausgesetzt, soll das neue Gesetz mit 1. Juli in Kraft treten. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass der Vorschlag angenommen werden wird“, gibt sich Niedermoser zuversichtlich. In sehr harten Verhandlungen sei ein guter Kompromiss gefunden worden, den „wir den Kollegen guten Gewissens zur Befragung vorlegen können“.
Als Musterschüler in Sachen Spitalsärztearbeitszeitgesetz gilt aber die Steiermark. Sie war als erstes Bundesland mit den Verhandlungen fertig – und beide Seiten sind mit dem Ergebnis zufrieden. „Da ist uns sozialpartnerschaftlich etwas Großes gelungen“, sagte etwa der steirische Ärztekammer-Präsident Dr. Herwig Lindner bei der Präsentation des Ergebnisses im Oktober 2014. KAGes-Zentralbetriebsrat Dr. Michael Tripolt sprach von einem „signifikanten Schub nach vorne“. Bisher sei die Steiermark österreichweit bei den Ärzteeinkommen in Landesspitälern im hinteren Drittel gelegen, auf Basis der neuen Vereinbarungen werde ein Sprung ins vordere Drittel gelingen. vw