„Wie viel Medizin überlebt der Mensch?“
Je länger die Lebenszeit des Patienten, umso länger lassen sich gewinnträchtige medizinische Anwendungen ins Spiel bringen.
Medizin als umfassende Geschäftsidee, der Mensch als lebenslanger Patient: Während in Österreich pro Jahr mehr als 30 Milliarden Euro in den Sektor der „Gesundheitsdienstleistungen“ fließen, steigt zugleich die Zahl der „Kranken“ laufend an. Wie eine den Marktgesetzen folgende und politisch beeinflusste Hightech-Medizin spektakulär daran scheitert, einer kranken Gesellschaft die ersehnte Erlösung zu bringen, zeigt Arzt und Schriftsteller Dr. Günther Loewit in einem brandaktuellen Sachbuch auf: „Wie viel Medizin überlebt der Mensch?“, lautet die provokante Frage. Autor Dr. Günther Loewit, gebürtiger Tiroler und seit vielen Jahren Gemeindearzt in Marchegg, Niederösterreich, dokumentiert in seinem ebenso engagiert wie scharfzüngig geschriebenen Buch anhand vieler authentischer Beispiele die Absurditäten unseres Gesundheitssystems.
Gegen alles hilft eine Tablette
Die Erwartungshaltung einer ganzen Gesellschaft laute mittlerweile: „Medizinische Behandlung bedeutet, dass stets die geeignete Tablette oder Operation verfügbar ist“, so Loewit. Um Ursachen oder Nebenwirkungen müsse man sich dabei nicht mehr kümmern. „Eine Win-win-Situation für alle“, meint Loewit, „außer den Steuerzahler“. Die Pharmaindustrie könne ungeniert ihren Profit maximieren, Spitäler werden ausgelastet, Ärzte minimieren ihr Risiko, die Politik hält alles unter Kontrolle. Und der Patient erfreut sich der scheinbaren Gewissheit, immer die „beste“ medizinische Versorgung zu erhalten, ohne etwa seinen Lebensstil hinterfragen zu müssen. Beispiele ökonomisch „gepushter“ Krankheiten zeigt Löwit jede Menge auf: Von ADHS bis Alzheimer, vom Burn-out bis zur Schönheitschirurgie, medikamentöse Rückenschmerz-Bekämpfung, serienweise Anwendung von Blutverdünnungsmitteln, unzählige Hüftgelenksoperationen und Magensonden bei Menschen, die kaum noch lange zu leben haben. Immer häufiger sterben dabei Menschen an der Therapie, nicht an der Krankheit.
Sterben an der Medizin?
Aber auch die Medizin selbst wird bisweilen zur Bedrohung. Jährlich gibt es in Europa mehr als 50.000 Tote durch multiresistente Keime, die sich Patienten in einem Krankenhaus zuziehen. Vier bis neun Prozent aller Spitalspatienten in Österreich, so wird geschätzt, werden mit therapieresistenten Keimen infiziert. Rückstände und Abbauprodukte von Medikamenten und Röntgenkontrastmittel im Grundwasser, Entsorgung alter Tabletten über die Toilette, Tonnen an Plastikverpackungen im Müll. „Wie viel Medizin wird die Menschheit unter diesem Gesichtspunkt vertragen können?“, fragt Loewit und dokumentiert in seinem Buch die dramatischsten pharmakologischen Skandale der letzten Jahrzehnte – vom Contergan-Desaster bis zu den minderwertigen Silikon-Brustimplantaten.
Drei Forderungen an eine ethische Medizin von Dr. Günther Loewit
- Menschen müssen sterben dürfen
„Die Medizin als gesellschaftliche Institution muss aufhören, das Sterben der Menschen als medizinisches Versagen zu sehen. Kranke und alte Menschen brauchen nicht nur eine Berührung durch die ärztliche Hand, sondern auch eine Berührung der Seele durch das ärztliche Wort – beides sind besondere Arzneimittelspezialitäten. Damit verbunden ist auch die Notwendigkeit, den Tod zuzulassen und nicht durch immer weitere medizinische Behandlungen hinauszuzögern. Doch nicht nur die Medizin muss den Tod wieder als ganzheitliches Ereignis erkennen und annehmen, sondern die Gesellschaft an sich.“ - Kinder brauchen ein gesünderes Lebensumfeld
„Eine gesunde Kindheit bedeutet weit mehr als ausreichend viele Untersuchungen, Therapien und Impfungen im Kindesalter. Analog zu den notwendigen Impfungen für den Körper müsste auch an ‚Impfungen‘ für die Seele gedacht werden. Und dabei kommt man um die Auseinandersetzung mit sozialen Strukturen, insbesondere der sogenannten ‚intakten Familie‘, nicht herum. Angenommene und geliebte Kinder mit höherem Selbstwertgefühl werden später weniger leicht ‚ausbrennen‘, leistungsfähiger sein und seltener krank werden und dadurch dem Gesundheitssystem Kosten ersparen.“ - Medizinische Versorgung muss neu verstanden werden
„Die Politik glaubt, durch die Stärkung des medizinischen Vorsorgegedankens die Entstehung von Krankheiten schon im Keim verhindern zu können. Dem steht schon allein die Unterschiedlichkeit der Menschen im Weg, auf die die heutige Form der Vorsorgeuntersuchung keine Rücksicht nimmt. Sie ignoriert die Bedeutung der Psyche und des sozialen Umfeldes für die Gesundheit vollkommen. Zugleich führen Vorsorgeuntersuchungen zu einer Flut von neuen Patienten und fehlerhaften Befunden. Als Alternative zu dieser Vorsorgemedizin bietet sich eine Stärkung bzw. Wiedereinführung des klassischen Hausarztmodells an. Denn der jahrzehntelange Begleiter und Berater in Gesundheits- und Lebensstilfragen steht dem Patienten emotional weit näher als jeder Politiker. Und ein Hausarzt braucht keine elektronischen Vorsorgeuntersuchungsformulare, um seinem Patienten sinnvolle medizinische Ratschläge geben zu können.“