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Wenn Vernunft zur Leidenschaft wird

Häuser in Passivbauweise zu errichten, geht in vielen Regionen der Welt auf eine lange Tradition zurück. In Österreich zeigen Pioniere, was vernünftig ist.


Umbau in Passivhausstandard: Tageslichtordination mit Ausblick auf grüne Dachterrassen.

Architekt DI Heinrich Schuller, ATOS Architekten. Foto: atos

Ing. Günter Lang, Leiter Passivhaus Austria

Dipl.-Ing. Laszlo Lepp, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Passivhaus Institut – Standort Innsbruck

Passivhäuser sind keine Produkte von der Stange und gerade die Vielzahl an Möglichkeiten und Angeboten macht die Wahl zur Qual, denn nicht jeder Architekt kennt die Feinheiten genau, sodass der Traum vom energieeffizienten Wohnen oder Arbeiten auch Wirklichkeit wird. Oft werden Häuser mit guter Dämmung und alternativen Energiesystemen schon als „Passivhaus“ verkauft – die Enttäuschung ist dann mitunter groß, wenn im Betrieb nicht alles so klappt wie erwartet. Denn nicht überall, wo Passivhaus drauf steht, ist auch ein solches drinnen und noch viel wichtiger ist, dass Passivhäuser kein Markenzeichen sind, sondern ein gut bewährtes Baukonzept beschreiben, das energieeffizient, komfortabel, wirtschaftlich und umweltfreundlich zugleich ist. Daher hängt es nicht davon ab, ob neu gebaut oder renoviert wird, von einem Alt- oder Neubau, einer Wohnung oder Ordination die Rede ist  – alles kann im Passivhausstandard realisiert werden ... oder eben auch nicht.

Bestechende Fakten

Nach Angaben der „Passipedia“ – der größten Wissensdatenbank über Passivhäuser – verbrauchen Passivhäuser 90 Prozent weniger Heizwärme als herkömmliche Bauten. Der Heizenergieverbrauch liegt mit etwa 1,5 l Heizölgleichwert pro Quadratmeter Wohnfläche pro Jahr um ein Vielfaches unter dem eines Niedrigenergiehauses. Zudem bieten Passivhäuser – glaubt man den Angaben von Architekten und Bauherren – einen unschlagbaren Wohnkomfort, denn die im Inneren vorhandenen Energiequellen wie Körperwärme von Personen oder einfallende Sonnenwärme werden gleich wieder zum Heizen genutzt. Spezielle Fenster und eine Hülle aus hochwirksamer Wärmedämmung in Außenwänden, Dach und Bodenplatte halten die Wärme im Haus. Eine Lüftungsanlage sorgt ohne offene oder zugige Fenster für gleichbleibend frische Luft in den Innenräumen. Durch hocheffiziente Wärmerückgewinnungen wird die Wärme der Abluft wieder verfügbar gemacht.
Einig sind sich Experten, dass der Passivhausstandard dann erreicht ist, wenn höchste Behaglichkeit auf sehr geringen Heizenergiebedarf trifft. Präzise definiert heißt das: „Ein Passivhaus ist ein Gebäude, in welchem die thermische Behaglichkeit (ISO 7730) allein durch Nachheizen oder Nachkühlen des Frischluftvolumenstroms, der für ausreichende Luftqualität (DIN 1946) erforderlich ist, gewährleistet werden kann – ohne dazu zusätzlich Umluft zu verwenden.“ Die Definition zeigt zumindest deutlich, dass willkürliche Grenzwerte nicht als Standard angenommen werden, sondern dass Passivhaus ein grundlegendes Konzept, viel mehr wohl schon eine Lebensphilosophie ist.

Wo Energie ein Thema ist

Bei den Stichworten „wenig heizen“, „gut kühlen“ und „hohe Luftqualität“ müssten die Herzen der Gesundheitsdienstleister höher schlagen, denn gerade Ordinationen, Ärztezentren und Spitäler zählen zu den Spitzenreitern, wenn es um den Energieverbrauch geht, da die moderne Medizintechnik immer höhere Ansprüche an die Ausstattung stellt. Ein Sektor also, der viele Chancen im Bau und bei der Sanierung von Nutzflächen eröffnen kann – hoher Komfort für Patienten und Mitarbeiter mit geringeren Energiekosten scheinen durchaus attraktiv, aber doch nicht Anreiz genug, denn erst jetzt wird in Deutschland das erste Krankenhaus in Passivhausbauweise errichtet.
Wenn viele energieintensive Geräte im Einsatz sind, wird auch entsprechend Abwärme erzeugt. Im günstigen Fall kann diese gleich zum Heizen genutzt werden. Wichtig ist es daher, schon in der Planungsphase die nutzungsspezifischen Randbedingungen zu klären – also wird das Haus zum Wohnen, als Ordination oder Bürogemeinschaft genutzt?  

Alles ist möglich

Warum ein Passivhaus in jedem Fall funktioniert, ist einfach erklärt und liegt im Herzstück, der Lüftungsanlage, begründet: Mit der frischen Außenluft kommt Luft in jeden Wohnraum, die auch gleich die Heizaufgabe übernimmt. Das klappt aber nur, wenn die Wärmeverluste durch entsprechende Dämmung und Fenster gering gehalten werden. Viele Mythen ranken sich nun um diese Lüftungstechnik. Von „es zieht“ bis zu „es klappert“ und „Fenster dürfen nicht geöffnet werden“ reichen die unangenehmen Vorstellungen. Tatsache ist, dass die moderne Technik – vorausgesetzt sie ist professionell eingebaut – längst kein Klappern oder Scheppern zulässt und Fenster jederzeit geöffnet werden können, aber nicht müssen.
Auf individuelle Vorlieben in puncto Baustoffe muss auch nicht verzichtet werden, denn ein guter Wärmeschutz ist heutzutage bei allen Bauweisen möglich, sodass die Errichtung in Massiv-, Holz-, Fertig-, Stahlbau oder allen Formen von Mischbau möglich ist und auch bei bestehenden Gebäuden nachträglich ergänzt werden kann. Muss die Fassade ohnehin saniert werden oder steht ein Neubau an, dann ist damit zu rechnen, dass die Wärmeschutzmaßnahme mindestens 40 Jahre hält und nur gestrichen werden muss – so wie bei einer ungedämmten Wand auch. Die Dämmung schafft aber über diesen Zeitraum Energiekosteneinsparungen, sodass sich sogar meist die Finanzierung der Fassadendämmung über einen Kredit rechnet. rh

Infopoints rund um das Passivhaus

Nachgefragt bei ...

... Architekt DI Heinrich Schuller, ATOS Architekten, www.atos.at

Sie haben kürzlich ein Bauprojekt einer Ordination in Kritzendorf, nahe Wien, abgeschlossen. Was waren die Besonderheiten?
Die Ordination wurde von 69 auf 184 m2 erweitert. Der baubiologisch hochwertige Innenausbau mit Naturfarben und Lehmspachtelung sowie die ökologische Holzbauweise mit einer Dämmung aus Zellulose schaffen ein einzigartiges Wohlfühlklima. Das Raumklima ist ja nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch der Oberflächen und Materialien.

Wie lange war die Bauzeit?
Wände und Dach wurden vorgefertigt auf die Baustelle gebracht und in zwei Wochen montiert. Dadurch konnte bereits nach nur vier Monaten die umgebaute Ordination neu eröffnet werden.

Die Ordination ist mit modernster Medizintechnik ausgestattet. Wie sieht es hier mit dem Stromverbrauch aus?
Im Gegensatz zu einem Wohnobjekt verbraucht die Ordination den Strom tagsüber, also dann, wenn er von der Fotovoltaikanlage auch produziert wird. Wir haben eine Fläche von 56 m2 damit ausgestattet und produzieren etwa 10.000 Kilowattstunden, das deckt sich etwa mit dem Verbrauch.

Wo liegen Ihrer Ansicht nach die Gründe für die Skepsis gegenüber Passivhauskonzepten?
Weil es viele Gerüchte gibt, die aber nicht haltbar sind: Die Kosten seien zu hoch, die Fenster dürfen nicht geöffnet werden, Schimmel bildet sich. Hier ist Aufklärung und Beratung notwendig, dann können die Vorurteile rasch entkräftet werden. Niemand würde sich doch heute ein Auto oder eine Waschmaschine kaufen, die nicht den modernsten Standards entsprechen. Das Passivhauskonzept ist der modernste Baustandard, den wir haben – warum also darauf verzichten?

Ist das Kostenargument tatsächlich nicht haltbar?
Ja, weil der Fehler begangen wird, dass Äpfel mit Birnen verglichen werden. Sie können kein Haus in Mindeststandardqualität – das vielleicht ein wenig günstiger ist – mit einem Passivhaus vergleichen, das allein so viel mehr Wohnkomfort bietet, der kaum in Zahlen ausgedrückt werden kann.

Nachgefragt bei ...

... Ing. Günter Lang, Leiter Passivhaus Austria, www.passivhaus-austria.org

Gibt es im Gesundheitswesen noch Potenzial für die Errichtung von Gebäuden im Passivhausstandard?
Tatsächlich ist das Baukonzept in diesem Sektor noch nicht so verbreitet. Wir führen eine Datenbank mit Projekten und haben dazu erst eine Tierpraxis in Schwanenstadt, eine Zahnarztpraxis in Neusiedl an der Zaya und eine Sanierung auf Niedrigenergiehausstandard in Krems erfasst. Derzeit ist das erste Krankenhaus in Passivhausstandard in Frankfurt am Mai in Bau, das direkt vom Passivhaus Institut in Darmstadt wissenschaftlich begleitet wird. Auch in Brüssel sind derzeit Krankenhäuser in Passivhausstandard in Planung bzw. in Bau.

Ist das Thema nicht längst überfällig?
Natürlich! Österreich war lange Zeit der Vorreiter im Bereich energieeffizientes Bauen, mittlerweile haben wir es geschafft, in Europa an die vorletzte Stelle zurückzufallen. Bis 2020 sollen laut EU-Gebäuderichtlinie „Fast-Nullenergie-Gebäude” auch hierzulande zum Standard werden, dorthin bewegen wir uns aber in der Realität nicht. So wollte etwa die Stadt Wels bis 2008 sämtliche öffentliche Gebäude auf den Stand bringen, leider wurden alle Initiativen eingestellt.
Fakt ist, dass mit dem Datum alle neuen Gebäude – auch im privaten Wohnbau – nahezu energieautark sein müssen. Öffentliche Gebäude von Bund, Land und Gemeinden müssen diese Vorgabe bereits ab 2018 erfüllen. Die Richtlinie greift auch bei Sanierungen, die mehr als 25 Prozent der Gebäudehülle betreffen. Der Standard muss durch das Zusammenspiel von erhöhter Energieeffizienz und dezentraler Energiegewinnung erreicht werden. Wie die Gebäuderichtlinie umgesetzt wird, ist bislang aber nicht geregelt. Die EU-Staaten haben jetzt ihre nationalen Planungen vorgelegt, die sich aber in vielen Punkten massiv unterscheiden, so zum Beispiel ob der Energieverbrauch auch den Strombedarf von Anwendungen wie EDV umfasst, oder ob er sich nur auf Aufwände bezieht, die das Gebäude betreffen, also Heizen, Kühlen, Warmwasser oder Beleuchtung.

Sind die Kosten ein Grund für die schleppende Durchsetzung des Passivhausstandards?
Unter dem Deckmantel des „leistbaren Wohnens“ werden viele Standards dann ganz schnell zurückgeschraubt, obwohl das aber gar nicht so ist. Ich habe vor 16 Jahren das erste zertifizierte Passivhaus errichtet und das hatte den gleichen Preis wie der Mindeststandard. Auch in der Seestadt Aspern zeigt sich, dass das Studentenheim, das in Passivhausstandard errichtet wird, auf die Dauer um 16 % günstiger betrieben werden kann als in herkömmlicher Bauweise. In der Regel belaufen sich die höheren Investitionskosten auf 3 bis 4 %. Das sind Skontodimensionen, die schon eingespart werden können, wenn man durch eine effiziente Planung und Abwicklung die Baukostensteigerungen abfängt.

Warum erkennt der „Otto-Normal-Bauherr“ dann die Vorteile nicht?
Weil Passivhäuser über Energieeinsparungen argumentiert werden. Die sind zwar fein, aber das ist nicht der wirkliche Vorteil. Einen echten Mehrwert bieten sie im Bereich des Wohnkomforts, der gerade im Bereich von Ordinationen oder Gesundheitseinrichtungen ein überzeugendes Argument ist. Warum soll ich bauen, was der Gesundheit nicht gut tut, wenn ich auch das Gegenteil haben kann? Es gibt in Passivhäusern keinen Schimmel, keine Hausstaubmilben sowie praktisch keine Schadstoffbelastung im Innenraum. Bei geschlossenen Fenstern ist das Raumklima dennoch optimal – und eine hohe Belastungsquelle, nämlich der Lärm, bleibt draußen! Dazu gibt es bereits ausreichende Studien, wie etwa vom Institut für Baubiologie oder von DI Dr. med. Hans-Peter Hutter vom Institut für Umwelthygiene an der Medizinischen Universität Wien.

Sind die Passivhausstandards auch in Krankenhäusern haltbar?
Grundsätzlich spricht nichts dagegen. Es gibt natürlich Bereiche, wie vielleicht den OP, wo Anforderungen herrschen.

Nachgefragt bei ...

... Dipl.-Ing. Laszlo Lepp, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Passivhaus Institut – Standort Innsbruck, www.phi-ibk.at

Gibt es im Gesundheitswesen noch Potenzial für die Errichtung von Gebäuden im Passivhausstandard?
Der Bau von Passivhäusern ist ein Konzept, keine branchenspezifische Nutzungsart. Zurzeit stehen Wohngebäude noch sehr im Vordergrund, aber andere Nutzungen ziehen schon nach. Ordinationen stehen üblicherweise nicht allein auf der grünen Wiese, sondern werden im Verbund mit Wohnhäusern, Einkaufszentren oder Bürogebäuden errichtet. Daher sind einzelne Passivhaus-Ordinationen an sich nur schwer auszumachen.

Erfordert es Umdenken, Leidenschaft oder Pionierwesen?
Natürlich muss man offen für Neues sein und sich überhaupt für fortschrittliche Technologien oder Themen interessieren. Meiner Erfahrung nach ist das aber bei Medizinern schon sehr ausgeprägt und keine Frage von Trends oder Lifestyle-Konzepten.

Wo liegen dann noch die großen Hürden?
An der Information, denn meist sind die Passivhauslösungen einfacher als Standardprojekte, das erfordert aber Know-how. Das Bestechende am Konzept ist, dass wir strikt Lösungen suchen, die kosteneffizient sind. Natürlich muss in bestimmten Bereichen investiert werden, wie etwa bei Fenstern oder der Dämmung, und das verursacht Mehrkosten. Dafür haben wir dann andere Bereiche, in denen gespart werden kann. Die Mehrkosten im mehrgeschoßigen Wohnbau liegen derzeit bei drei bis fünf Prozent, über die Lebensdauer betrachtet ist das dennoch die günstigste Bauform.

Wo liegt dann immer noch die Hemmschwelle?
Die meisten Bauentscheidungen werden anhand der Investitionskosten getroffen und nicht über den Lebenszyklus betrachtet, das ist ein zentraler Denkfehler. Auch bei der Kreditvergabe herrscht dieser Denkfehler vor, denn wenn ich günstigere laufende Kosten habe, steigt die Liquidität und die Rückzahlungen werden einfacher. In Österreich haben wir zusätzlich das Problem, dass viele Behörden und Förderstellen den Energieausweis als Basis heranziehen, was streng genommen kein Nachweis für einen Passivhausstandard ist.

Was konkret bietet Passivhaus Austria an?
Zurzeit heftet sich jeder im Bauwesen an die Fahnen, dass er über Passivhäuser Bescheid weiß. In der Praxis ist das aber leider noch nicht so. Daher versuchen wir die Partner zu vernetzen, die wirklich Know-how in dem Bereich haben. Bei uns findet man Architekten, Bauträger, Hersteller und ausführende Firmen, die echte Experten sind.

Wie lautet nun ihre wichtige Botschaft an den interessierten Bauherren?
Das Passivhauskonzept ist wirtschaftlich, wenn man es über die Lebensdauer eines Gebäudes betrachtet. Zudem ist gerade für Ärzte das Thema Komfort und Behaglichkeit ganz zentral und das bietet keine andere Bauform in diesem Ausmaß. Wir haben keine Zugluft, keine Kondenswasserbildung und eine konstant gute Luftqualität ohne den typischen „Krankenhausgeruch“. Das Thema Hygiene spielt bei Lüftungen im Ordinationsbereich immer eine große Rolle und auch hier punktet das Passivhaus, denn die verbrauchte und die neue Luft kommen nicht miteinander in Berührung. Es wird lediglich die Wärme getauscht und so nebenbei auch Energie gespart.