Wenn reden hilft ...
Studien belegen, dass die psychologische Vorbereitung auf chirurgische Eingriffe – neben der medizinischen Aufklärung – einen erheblichen Einfluss auf den Narkose-verlauf und den physischen Heilungsprozess hat.
Auf dem Gebiet der OP-Vorbereitung hat sich für klinische Psychologen zunehmend ein neuer Tätigkeitsbereich eröffnet, denn Patienten leiden in einer präoperativen Phase häufig an diffusen Ängsten und ambivalenten Aggressionen, ausgelöst durch die Wartezeit vor der OP und der Ungewissheit über den Ausgang des Eingriffs. Grundsätzlich ist eine Operation für jeden Menschen als kritisches Lebensereignis einzustufen. Das gilt nicht nur für jene Eingriffe, bei denen der Tod, der Verlust von Organen oder Körperfunktionen drohen. Jeder Krankenhausaufenthalt ist eine Stresssituation, denn meist zeigt schon allein die Krankenhausarchitektur dem Patienten deutlich auf, dass auf individuelle Bedürfnisse nur unzureichend reagiert werden kann. Der Raum für die Unterschiedlichkeit der menschlichen Bedürfnisse ist naturgemäß aufgrund der ökonomischen und medizinischen Erfordernisse beschränkt und die erzwungene soziale Nähe mit anderen Patienten und ihren Schicksalen prägte schon in den 70er-Jahren den Begriff der „veranstalteten Depressivität“. Die Patienten-Patienten-Interaktion ist dabei ein nicht zu unterschätzender Faktor, wie etwa das gegenseitige Beobachten der Kranken, das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Persönlichkeits- und Bildungsniveaus, die Konfrontation mit „nicht Operierten“, „neu Operierten“ oder ähnlichen Krankheitsbildern. Knappe Ressourcen – vor allem fehlendes Personal und damit auch fehlende Zeit für einen längeren Patientenkontakt, aber auch überfüllte Spitäler und die aktuelle Diskussion um Gangbetten – verschärfen die Situation.
Akzeptanz von Medikamenten
Ältere Studien (Mason 1965 oder Tolksdorf 1982) belegen deutlich, dass bereits allein beim Betreten eines Krankenhauses Stresskennwerte wie Serumkortisol oder freie Fettsäuren im Blut steigen. Auch Sympathikusaktivitäten wie Blutdruck oder Herzfrequenz sind nachweislich am Tag vor Operationen verändert. Zusätzliche Paramater wie Alter und Angstbewältigungsstrategien korrelieren mit den Stresskennwerten. Meist wird daher am Vorabend einer Operation bereits mit der pharmakologischen Beeinflussung von physiologischer Stressaktivität begonnen, doch nicht jeder Patient ist bereit für eine Prämedikation am Vorabend der Operation. Mangelnde Aufklärung und mögliche Nebenwirkungen erhöhen die negativen Reaktionen der Patienten. Zunehmend wird erkannt, dass ein psychologischer Zugang zum Patienten erforderlich ist, um seine Ängste, Sorgen und Bewältigungsstrategien zu analysieren und passend zu reagieren. Nur so ist es möglich, den Patienten auch zu einer aktiven Mitarbeit zu bewegen und mit einer positiven Grundhaltung die Wirksamkeit medizinischer Interventionen und den Krankenhausaufenthalt komplikationsärmer zu gestalten.
Die meisten Untersuchungen zum präoperativen Prozess beziehen sich nach wie vor auf Angst und ihre Bewältigung, andere Gefühle wie Ärger, Hoffnung oder Depression stehen selten im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der komplexe Anpassungsprozess im Hinblick auf die Gefühlslage der Patienten an das Krankenhausgeschehen kann aber nicht nur auf kognitive Prozesse reduziert werden und spielt sich mitunter sehr unstrukturiert ab. Während der medizinische Prozess bis zur OP und auch danach klaren Vorgaben und Strukturen unterliegt und von einem eingespielten Team an Ärzten und Pflegern nach bestimmten Regeln abgewickelt wird, wirkt der Umgang mit der psychischen Komponente meist unstrukturiert. Der Stellenwert, den die Erkrankung auf den gesamten Lebenskontext hat, weist möglicherweise einen großen Einfluss auch auf den Spitalsaufenthalt und die Geschehnisse rund um die OP auf, doch diese soziale Dimension kommt in „Stressuntersuchungen“ selten vor. rh
Einstellung zur Krankheit als Bewältigungsstrategie
- Krankheit als Herausforderung: Aktive und adaptive Coping-Strategien führen dazu, dass die Erkrankung als veränderte Lebenssituation mit eigenen Anforderungen und Aufgaben verstanden wird, die bewältigt werden müssen.
- Krankheit als Feind: Furcht, Wut und Angst begleiten den Patienten; Abwehr, Verleugnung und Projektion treten auf.
- Krankheit als Strafe: Die Strafe kann als gerecht oder ungerecht empfunden werden: Je nachdem nimmt sie der Patient an oder sieht sie als Anlass für einen Neubeginn.
Quelle: Z. J. Lipowski, Physical Illness, the Individual and the Coping Processes, Int J Psychiatry Med June 1970 vol. 1 no. 2 91-102
Nachgefragt bei ...
... Mag. Katharina Ebenberger, Klinische und Gesundheitspsychologin, Universitätsklinik für Chirurgie Wien, Klinische Abteilung für Herzchirurgie, katharina.ebenbergerakhwien.at
Was konkret ist Ihre Rolle in der OP-Vorbereitung?
Ich arbeite in der Aufklärung von Patienten mit Kunstherzen bzw. Herztransplantationen mit. Neben der ärztlichen Aufklärung übernehme ich den psychologischen Bereich, der bei jedem dieser Patienten sehr individuell ist. Die Situation, ein neues Herz zu bekommen, ist eine sehr einschneidende und wohl einzigartige im Leben eines Menschen. In diesem Zusammenhang informieren wir zum Beispiel, welche Emotionen auftreten können, vor allem auch nach dem Eingriff und mit welchen psychischen Belastungen man konfrontiert sein kann. Diese Gespräche bieten die Möglichkeit des Beziehungs- und Vertrauensaufbaues – welcher äußerst notwendig vor einer Operation ist.
Was erwarten Patienten?
Das ist sehr unterschiedlich. Manche wollen abgelenkt werden und sich möglichst wenig damit beschäftigen, andere brauchen sehr detaillierte Hintergrundinformationen über den Eingriff und mögliche Risiken. Manchen kann es eine Stütze sein, wenn sie vor der OP zu Hause alles regeln können. Die Möglichkeiten und Erwartungen sind genauso individuell wie die Menschen selbst.
Was bieten Sie konkret an?
In erster Linie geht es darum, die notwendige Unterstützung zu geben, mit den vielen Gefühlen, wie Angst, Nervosität, Scham, Hilflosigkeit umzugehen. Oft ist es für die Betroffenen und die Angehörigen auch wichtig, eine Bezugsperson, ein bekanntes Gesicht im Umfeld zu haben. Wichtig ist, die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen.
Was ist an einem präoperativen Patienten so besonders?
Ich denke, dass die Grundangst vor einer OP bei beinahe allen Menschen vorhanden ist. Viele haben unangenehme Gefühle, wenn sie daran denken, dass sie in der Zeit während der OP keine „Kontrolle“ über das Geschehen haben, dass jemand von außen in den Körper eindringt und man selbst keine Grenze ziehen kann.
Gibt es besondere Herausforderungen, mit denen Sie konfrontiert sind?
Die größte ist wohl, dass es bei unseren Patienten um ein sehr zentrales Organ des Menschen geht – das Herz. Es ist symbolisch stark behaftet, für viele der Sitz der Seele, der Liebe oder der Mittelpunkt des Menschen.
Ist die Möglichkeit zum Gespräch für alle präoperativen Patienten offen?
Ja. Auf unserer Station und insbesondere in der Ambulanz erhält aufgrund der sehr besonderen Umstände jeder Patient einen Gesprächstermin, danach kann individuell entschieden werden, ob es noch mehr braucht. Es muss auch nicht immer ein Psychologe sein, der hier Ansprechpartner ist. Manche Patienten verlangen auch nach einem Seelsorger, der ihnen zur Seite gestellt werden soll.