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„Versicherungsnotstand“ für niedergelassene Ärzte?

Die Prämien für Ärztehaftpflichtversicherungen steigen auch in Österreich zusehends, wenn es überhaupt noch entsprechende Angebote am Markt gibt.


Gerhard Ulmer, Geschäftsführer, Ärzteservice

Andreas Reinthaler, Ärzteberater und Geschäftsführer der reinthalerfinanz

Die Österreichische Gesellschaft für Medizinrecht beschäftigt sich in ihren Foren und im Rahmen ihrer Informations- und Diskussionsveranstaltungen immer wieder mit aktuellen Aspekten rund um juristische, aber auch versicherungstechnische Fragestellungen. Im Rahmen des 17. Medizinrecht-Anwalt-Cercle referierte der Versicherungsexperte Andreas Reinthaler, langjähriges Mitglied der Gesellschaft, Ärzteberater und Geschäftsführer der reinthalerfinanz, über die neuesten Entwicklungen bei der Ärztehaftpflichtversicherung und die Herausforderungen, die sich daraus speziell für die niedergelassenen Ärzte ergeben.
Auch wenn es für Österreich kaum repräsentatives Datenmaterial gibt, so lässt sich doch mit einiger Sicherheit vermuten, dass die Entwicklung der Schadensfälle aufgrund von (mutmaßlichen) medizinischen Diagnose- oder Therapiefehlern einen ähnlichen Verlauf nimmt wie dies etwa in Deutschland schon seit Jahren zu beobachten ist. Der Vergleich bezieht sich dabei natürlich nicht auf absolute Fallzahlen, aber auf die Tendenz – und diese ist eindeutig: Innerhalb der letzten 30 Jahre kam es nicht nur zu einer kontinuierlichen Zunahme der Schadensfälle, sondern vielmehr zu deren Potenzierung. In Bayern und Rheinland-Pfalz zum Beispiel wurden Mitte der 1980er-Jahre gerade einmal drei Dutzend Fälle registriert, zwei Jahrzehnte später waren es weit über 1.400.
Der Trend dürfte auch für Österreich zutreffen, ist Reinthaler überzeugt: „Mir geht es bei meinen Vorträgen darum, die Ärzte für diese zunehmende Problematik zu sensibilisieren, ein Bewusstsein für die sich ändernden Bedingungen zu schaffen, mit denen es sich dringend auseinanderzusetzen gilt.“

Selbstbewusstere Patienten

Die Gründe für den massiven Anstieg der Schadensfallzahlen im Bereich der vorgeworfenen Behandlungsfehler sind vielschichtig. Einen großen Anteil macht aber das geänderte Patientenverhalten aus. Das Anspruchsdenken der Patienten ist über die Jahre erheblich gestiegen, sie sind deutlich selbstbewusster und kritischer geworden. Unterstützt wird diese Entwicklung nicht zuletzt durch die Möglichkeiten der modernen sozialen Medien, durch den stattfindenden Austausch über diverse Internetforen. Dr. Google lässt grüßen. Es handelt sich dabei laut Reinthaler allerdings um kein medizinspezifisches Phänomen, sondern um eine gesellschaftliche Entwicklung: „Insgesamt ist schon zu erkennen, dass viele Kunden deutlich aggressiver geworden sind, weil sie sich selbst als aufgeklärter sehen.“

Schuldfrage ist oft irrelevant

Die Entscheidung der Haftpflichtversicherungen, ob Schadenersatzforderungen freiwillig, also ohne gerichtliches Urteil, ausbezahlt werden, fällt in vielen Fällen unabhängig von der Frage, ob tatsächlich ein ärztliches Fehlverhalten vorliegt. Sie folgt oft ausschließlich wirtschaftlichen Überlegungen, erläutert Reinthaler: „Versicherungen zahlen oft auch dann, wenn gar kein schuldhaftes Verhalten vorliegt, rein aus ökonomischen Gründen, weil der Streitwert unter den zu erwartenden Gerichts- und Anwaltskosten liegt. Was Ärzte oft nicht erkennen: Es geht in vielen Fällen nicht um Recht und Gerechtigkeit, sondern um rein wirtschaftliche Interessen.“
Das trifft natürlich in besonderem Maße auf finanziell eher geringe Schadenersatzforderungen zu, die von Patienten gestellt werden. Weil die Streitsummen solcher Kleinstforderungen sehr oft unterhalb der 1.000-Euro-Grenze liegen, also im Preisbereich von modernen Haushaltsgeräten, spricht man im Branchenjargon in diesem Zusammenhang auch vom sogenannten „Waschmaschinengeld“. Hier einigen sich die Konfliktgegner meist auf einen außergerichtlichen Vergleich. Den ursprünglichen Forderungen der Patienten wird ein Gegenangebot der Versicherung unterbreitet, man trifft sich dann irgendwo dazwischen.
Ein solcher Lösungsansatz ist aus Sicht der Versicherungen im konkreten Einzelfall durchaus nachvollziehbar, er birgt aber langfristig auch Gefahren. Die Chance, ohne Schuldnachweis zu Schadenersatz zu kommen, spricht sich natürlich auch unter den Patienten herum, viel mehr aber noch unter deren Anwälten. Die Konsequenz: Je häufiger solche außergerichtlichen Einigungen erzielt werden, desto häufiger werden Anwälte entsprechende Schadensforderungen einbringen.
Das hat in der Zwischenzeit zu einer regelrechten Spezialisierung der Anwaltschaft geführt, erzählt Reinthaler. Diese reiche inzwischen teilweise schon bis weit in die medizinischen Fachrichtungen hinein. Da gibt es Anwälte, die sich auf chirurgische Schadensfälle fokussiert haben, ebenso wie solche, die überwiegend vermeintlich geschädigte Patienten von Hausärzten vertreten.

Versicherungsprämien steigen

Das gestiegene Anspruchsdenken der Patienten spiegelt sich einerseits in steigenden Versicherungsprämien und andererseits in einem sinkenden Angebot an potenziellen Versicherern wider. Für die betroffenen Ärzte beinhaltet diese Entwicklung durchaus Bedrohungspotenzial.
Wohin es bei den Prämien langfristig gehen könnte, verdeutlicht ein Blick über die Landesgrenzen, zum Beispiel wieder nach Deutschland. Reinthaler hat die jährlichen Versicherungsprämien in einzelnen Fächern verglichen und dabei erhebliche Unterschiede festgestellt: „Während bei uns ein Allgemeinmediziner bisher mit einer vergleichsweise geringen Jahresprämie von etwas über 200 Euro noch sehr billig davonkommt, zahlt sein deutscher Kollege bei geringerem Versicherungsschutz knapp 3.000 Euro, also mehr als das Zehnfache.“ Ähnlich sei die Situation etwa in der Orthopädie oder der Chirurgie, noch dramatischer sieht es in der Gynäkologie aus, wo die Prämien in Deutschland dreißigmal über dem heimischen Niveau liegen. „Die Tendenz geht auch bei uns eindeutig in Richtung Deutschland, das ist unbestritten“, lässt Reinthaler keine Zweifel über die weitere Prämienentwicklung aufkommen. Das heiße nicht, dass man das deutsche Niveau erreichen werde, aber selbst, um etwa die Hälfte der dort heute schon üblichen Prämien zu erreichen, müssten die Prämien hierzulande durchschnittlich um mehr als das Doppelte steigen. „Da wird es zum großen Aufschrei kommen.“ Andererseits dürfe es aber auch niemanden verwundern, dass eine Jahresprämie von rund 200 Euro, wie sie ein praktischer Arzt heute bezahlt, mit den gestiegenen Schadensforderungen und -verlauf nicht mehr zusammenpassen kann.

Alternativen schwinden

In einzelnen Fächern finden sich zudem immer weniger Versicherer, die aufgrund des hohen Risikos überhaupt noch Angebote an die Ärzte machen. Als Beispiel nennt Reinthaler die Plastische Chirurgie, wo heute nur mehr zwei der sechs großen Versicherungsanbieter vertreten sind.
Die explosive Mischung aus steigenden Prämien und gleichzeitig schwindenden Alternativen – Reinthaler benützt in diesem Zusammenhang den Begriff eines drohenden „Versicherungsnotstandes“ – ist für viele Ärzte nicht nur finanziell belastend, sondern in einzelnen Fällen sogar existenzbedrohend. Der Experte erzählt von zwei konkreten Fällen, wo Ärzte tatsächlich ihre Praxis aufgeben mussten und in ein Angestelltenverhältnis zurückkehrten, weil sie sich die Prämien nicht mehr leisten konnten. Er erinnert auch daran, wie im Vorjahr die marktführende Versicherung bei den Plastischen Chirurgen sämtliche Verträge kündigte, um anschließend allen ein neues Angebot zu machen, das allerdings massiv gestiegene Prämien vorsah. Weil aber die Betroffenen auf der Suche nach Alternativen nicht fündig wurden, blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als auf diesen für sie nachteiligen Deal einzugehen. „Die Situation hat sich massiv geändert“, sagt Reinthaler. „Ich suche mir aus, wohin ich gehe – das gibt es immer seltener.“
Apropos fehlende Alternativen: Letztendlich haben niedergelassene Ärzte keine Möglichkeit, der Entwicklung zu entkommen. Dafür sorgt schon das Ärztegesetz, dass zwar im Paragraf 52d einen Versicherungszwang für niedergelassene Ärzte vorschreibt, auf einen Kündigungsschutz, wie es ihn etwa bei der Kfz-Haftpflicht gibt, verzichtet. „Das hat die Ärztekammer beim Ausverhandeln des Gesetzes wohl übersehen“, vermutet Reinthaler.                         vw