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Terror und Psyche

Europa wurde in den beiden letzten Jahren von islamistischen Terroranschlägen getroffen, die das Gefühl für Sicherheit nachhaltig erschütterten und großen Einfluss auf die Flüchtlingsdebatte haben. Aus diesem aktuellen Anlass hat sich die 10. Frühjahrstagung für Forensische Psychiatrie in Wien des Themas „Terrorismus und Radikalisierung“ angenommen.


Foto: fotolia

Als besonders problematisch wird der Umstand empfunden, dass die Zahl radikaler Migranten der zweiten Generation deutlich angestiegen ist. Ahmed Mansour, ein palästinensischer Psychologe, der in Deutschland an der Deradikalisierung dieser Jugendlichen arbeitet, spricht in seinem kürzlich erschienenen Buch bereits von der „Generation Allah“. Diese Entwicklung führt zu einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft. Xenophobe rechtspopulistische Parteien finden vermehrt Zuspruch aus der Mitte der Gesellschaft, Menschenrechte werden medial in Zweifel gezogen und relativiert. Die Organisatoren haben zum zehnjährigen Jubiläum der Wiener Frühjahrstagung für Forensische Psychiatrie diesen gesellschaftlich relevanten Themenbereich aufgegriffen, um im interdisziplinären Gespräch ernsthaft und unaufgeregt über diese Phänomene zu diskutieren.
„Terrorismus ist nicht neu, er stellt vor allem eine Kommunikationsstrategie dar und alle Weltreligionen haben das Potenzial zur Radikalisierung“, darüber waren sich nationale und internationale Vertreter aus der Forensischen Psychiatrie, der Religionswissenschaft und der Soziologie einig. „Eigentlich ist Terrorismus eine Strategie der Schwäche. Terroristische Gruppen entziehen sich dem Zugriff durch den Staat. Sie organisieren sich in kleinen Gruppen, die schwer zu infiltrieren sind und sie machen von der Gewalt als Kommunikationsmittel Gebrauch“, so der deutsche Jurist und Soziologe Dr. Peter Waldmann. Terrorismus sei zu definieren als „planmäßig vorbereitete schockierende Gewaltanwendung gegen die politische Ordnung aus dem Untergrund. Dem Terrorismus geht es nicht primär um Zerstörung, sondern um eine Kommunikationsstrategie“.

Unsicherheiten schüren

Der Terrorismus will laut Waldmann Schrecken und Unsicherheit hervorrufen. Eine Überlegung der Täter sei dabei auch, den Staat zu einer Überreaktion herauszufordern, die Unbeteiligte schädige und diese selbst in die Radikalisierung als Gegenreaktion treiben soll. Der aktuelle religiöse Radikalismus und Terrorismus sei keinesfalls neu, meint Waldmann, denn: „Religiöser Terrorismus ist nicht die jüngste, sondern die älteste Form des Terrorismus. Es gibt ihn seit den Religionskriegen.“
Was aber als Charakteristikum für den islamistischen Terror des IS oder ähnlicher Gruppen gelten dürfte, wie Waldmann erklärte: Historische nationalistische oder antikolonialistische Terrorbewegungen hätten immer auch darauf hingezielt, bei den angesprochenen Teilen der Bevölkerung Sympathie zu erzeugen und Unbeteiligte zu verschonen. „Von all dem ist im islamistischen Terror nichts mehr übrig geblieben“, sagte der Experte. Die „Gotteskrieger“ wollten nur noch „Bilder des Schreckens“ verbreiten.

Kränkung und Regression

Was allen radikalisierenden religiösen Gruppen gemeinsam ist, fasst der Kölner Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume zusammen: eine Staatsverfassung, bei der Güter hierarchisch
von oben nach unten verteilt werden. Bei sozialen Problemen werde leicht die Religion unter dem Titel „Not lehrt beten“ hervorgekehrt. Arbeitslosigkeit und eine Jugend ohne entsprechende Lebensperspektive machten Gesellschaften anfällig.
Immer werde die Radikalisierung durch eine oft willkürlich „erfundene Tradition“ verbreitet, die oft skurrile und mit der wahren Geschichte der jeweiligen Religion nicht kompatible Elemente enthalte. „Menschen in radikalisierten Gruppen glauben auch immer, in ‚Notwehr‘ zu handeln. Es gibt immer eine globale Weltverschwörung. Die ‚Bösen‘ haben übermenschliche Fähigkeiten. Die ‚Guten‘ haben die Verschwörung erkannt, verteidigen sich verzweifelt und ‚müssen‘ zur Gewalt greifen“, formulierte Blume die Charakteristika solcher Entwicklungen.

Abgrenzung nach außen

Psychoanalytisch stelle Radikalisierung in Richtung Terror eine Regression, also einen Rückfall des Einzelnen oder von Menschengruppen auf ein niedrigeres psychisches Funktionsstadium dar, stellte der Wiener Psychiater Dr. David Holzer von der Abteilung für Biologische Psychiatrie AKH Wien und Justizanstalt Göllersdorf fest. Verunsicherung und Bedrohungsgefühle würden dann leicht Abgrenzung nach außen und blinde Gefolgschaft von Führern verursachen. Gestützt würde das zumeist durch in bestimmten Gesellschaften vorhandene „gemeinsame Speicher“ an angeblichen Ruhmestaten oder Traumata, die von Generation zu Generation weiter vermittelt würden. Die schließlich erfolgende „Entmenschlichung der Gegner“ ließe schließlich die moralischen Schranken fallen.

Quelle: APA Journal Gesundheit