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Stillstand wäre Rückschritt

Die Pharmaforschung in Österreich kann sich durchaus sehen lassen. Für ein kleines Land bewegen Universitäten, große Unternehmen und kleine Start-ups eine ganze Menge. Ausruhen sollte sich auf den Lorbeeren jedoch keiner, denn die Konkurrenz schläft ganz sicher nicht.


Der Pharmaforschung werden schon immer einige Attribute zugeschrieben: viel Geld im Spiel, lange Entwicklungszeiten, strenge Reglements und eine Vielzahl von Interessen, die bedient werden wollen. Dr. Robin Rumler, Geschäftsführer der Pharmig – Verband der pharmazeutischen Industrie, fasst zusammen: „Die größte Herausforderung in der Pharmaforschung ist es, trotz steigender Auflagen und Kosten so rasch wie möglich Medikamente auf den Markt und damit zum Patienten zu bringen. Der Faktor Zeit ist deshalb besonders wichtig, weil wir bis zu zwölf Jahre benötigen, um eine neues Arzneimittel zu entwickeln.“

Noch vor wenigen Jahren galt Österreich als „Forschungsentwicklungsland“. Zumindest auf einem guten Weg befindet sich das kleine Österreich im Vergleich zu anderen Staaten Europas. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung haben sich in Österreich in den letzten Jahren dynamisch entwickelt. Die Forschungsfinanzierung durch den Bund steigt nach den der Statistik Austria vorliegenden Informationen über die Entwicklung der F&E (Forschung und Entwicklung)-relevanten Budgetanteile und weiterer F&E-Fördermaßnahmen – insbesondere die Erstattungen des Bundes an Unternehmen im Rahmen der Forschungsprämie – weiterhin an. Im Jahr 2010 wurden nach Schätzung der Statistik Austria rund 7,81 Mrd. Euro in F&E investiert, was einer Forschungsquote von 2,76 % entspricht. Die öffentliche Forschungsfinanzierung durch den Bund weist im Zeitraum 2007 bis 2010 eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 12,7 % auf und verzeichnet gegenüber 2009 einen deutlichen Anstieg von 10,9 %. Im Vergleich zu 2000 konnten die Ausgaben für Forschung und Entwicklung somit um mehr als 100 Prozent gesteigert werden. Ausruhen sollte sich Österreich auf seinen Lorbeeren dennoch nicht: Im Vergleich zu den USA ist ganz Europa ein kleines Licht und auch andere Staaten rücken nach.
Wie viel (mehr) in die Forschung investiert werden sollte, ist nicht so einfach zu beantworten, denn wie viel ist schon genug? Die Pharmaforschung investiert bis zu 1,3 Milliarden Dollar in die Entwicklung eines Medikaments. Die Tatsache, dass Österreich eine rege Forschungslandschaft besitzt, belegt, dass Förderprogramme und Rahmenbedingungen gut sind – verbesserbar und vor allem erweiterbar sind sie allemal.

Zudem gilt es zu unterscheiden: Die Finanzierung der Grundlagenforschung liegt zu einem Großteil in der öffentlichen Hand. Da gebe es natürlich einen großen Bedarf an Forschungsgeldern, um international mitspielen zu können, wie Mag. Evelyn Schödl, Präsidentin des FOPI, des Forum der forschenden pharmazeutischen Industrie, betont. „Pharmaforschung hingegen ist hauptsächlich Aufgabe der Industrie und da wird definitiv sehr viel investiert“, räumt Schödl ein. „Die F&E-orientierte Pharmaindustrie ist EU-weit die forschungsintensivste Branche, noch vor IT/Software und der Automobilindustrie.“
Forschungsexperten beurteilen die heimische Pharmaforschungslandschaft durchaus lobend mit einigen Aufgaben für die Zukunft. „Vor allem die Biotechnologie-Industrie hat sich in Österreich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt“, freut sich Schödl. „Österreichische Firmen konnten große Partnerschaften mit ausländischen Pharmaunternehmen abschließen. Das beweist nicht nur die Attraktivität für Investoren, sondern auch die dahinter stehende Qualität, wenn man bedenkt, wie umfassend die Audits sind, die Kooperationspartner durchlaufen müssen.“ Andererseits betone gerade die Biotech-Industrie immer wieder, dass sie mehr Fördergelder brauche, um erfolgreich zu sein.
Dr. Christoph Baumgärtel, AGES PharmMed, würde die Pharmaforschung in Österreich am ehesten mit „klein, aber fein“ umschreiben. „Wir sind ganz gut aufgestellt, haben eine gute Mischung aus großen etablierten Pharmafirmen mit einem soliden Back-up durch die Universitäten und kleine Start-ups.“ Der Vergleich zu anderen Ländern fällt Baumgärtel schon etwas schwerer. „Im Vergleich zu den USA fällt auf“, bedauert der Experte, „dass für ganz Europa Entscheidendes fehlt: ein Äquivalent zu den NIH, den National Institutes of Health.“ Die NIH sind die wichtigste Behörde für biomedizinische Forschung und arbeiten mit einem gigantischen Jahresbudget von etwa 29 Milliarden US-Dollar. „Das stellt nicht nur einen enormen Vorsprung für die Forschung dar, sondern auch einen gewaltigen Wirtschaftsfaktor, denn keine Institution weltweit schafft auf diesem Gebiet so viel Mehrwert und Innovationen“, sagt Baumgärtel. Zumindest eine sanfte Bewegung in diese Richtung wäre für Europa wünschenswert, um den Standort zu stärken.

Forschungsstandort Österreich

„Im Bereich der klinischen Forschung ist Österreich sehr stark: im vergangenen Jahr wurden 350 klinische Studien genehmigt, die meisten davon werden von der pharmazeutischen Industrie finanziert“, freut sich Rumler und ergänzt: „Laut Erhebungen von Science Watch liegt Österreich bei der klinischen Forschung um 26 % über dem internationalen Durchschnitt.“ Dennoch gelte es, bisher kaum genutzte Potenziale auszuloten, nicht zuletzt aufgrund der exzellenten universitären Forschung in Österreich, besonders auch mit zunehmender Spezialisierung im Biotech-Bereich. „Es gibt eine Lücke zwischen Forschung und Zugang zu innovativen Arzneimitteln – ‚from research to retail‘, um die EU-Kommission zu zitieren“, gibt Schödl zu bedenken. Das sei europaweit so, auch in Österreich. Natürlich ist die Pharmaindustrie gefordert, frühzeitig darauf zu achten, dass das, was erforscht wird, auch den Anforderungskriterien der Zahler gerecht wird. Auf der anderen Seite aber brauchen wir passende Rahmenbedingungen am Ende des Forschungsprozesses, der leider zeit- und geldintensiv sei. „Wenn die von uns entwickelten Medikamente und Impfstoffe nicht vom Markt an- und abgenommen werden, kann es sein, dass einige Medikamente für österreichische Patienten nicht verfügbar sind.“ fürchtet Schödl.

Zukunft mit Aufgaben

Angesichts der Übermacht amerikanischer Forschungsinstitutionen, die mit Riesensummen hantieren dürfen, muss sich Europa wohl enorm anstrengen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. „Es geht nicht darum, Europas Position zu verbessern“, meint Baumgärtel, „sondern sie erst mal zu verteidigen. In diesem Bereich ist Stillstand tatsächlich ein Rückschritt.“ Selbstverständlich gilt das auch für Österreich. In der heimischen Forscherwelt hält Baumgärtel zudem für wesentlich, Jungwissenschaftler intensiver an die Forschung heranzuführen. „Die Young Scientist Association leistet diesbezüglich hervorragende Arbeit“, freut sich Baumgärtel, denn „Mediziner müssen nicht unbedingt Ärzte werden – auch die Forschung bietet tolle Chancen.“ Unter dem Titel „Should I Stay or Should I Go?“ werden von der Young Scientist Association der MedUni Wien jungen Medizinern beispielsweise Workshops geboten, die sie an die Forschung heranführen sollen.
Auch Rumler sieht große Potenziale für den Standort Österreich in der pharmazeutischen Industrie – besonders für qualifizierte Akademiker, da sie eine Branche mit sehr hohem Akademikeranteil sei: „Sie gibt jungen Absolventen eine interessante Job- und Lebensperspektive. Insofern trägt die pharmazeutische Industrie auch wesentlich dazu bei, politische Vorstellungen zu realisieren, deshalb sollte es ein gemeinsames Interesse sein, Österreich als Standort für die Pharmazeutische Industrie noch attraktiver zu gestalten“, resümiert Rumler.
Rumler sieht die Zukunft der heimischen Pharmaforschung als große Aufgabe: „Die größte Herausforderung wird es sein, trotz steigender Auflagen und Kosten raschest möglich Medikamente auf den Markt und damit zum Patienten zu bringen.“ Da Pharmaforschung heute zunehmend auf Basis von internationalen Kooperationen funktioniere, sei es wichtig, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen stimmen. „Daher ist es auch sehr gut, dass derzeit auf europäischer Ebene das Gesetz zur Regelung der klinischen Forschung überarbeitet wird“, findet Rumler und ergänzt: „Mein persönlicher Wunsch ist, dass der Wert unserer Leistungen deutlicher wahrgenommen wird und sich damit das Image der Pharmaindustrie verbessert.“ Gut ausgebildete und motivierte Wissenschaftler stellen freilich die Basis für Top-Forschung dar, zusätzlich bedarf es jedoch entsprechender Förderung und Unterstützung, um herausragende Forschungsleistungen möglich zu machen und den Forschungsstandort Österreich auch in wirtschaftlicher Hinsicht zu sichern. Letztlich werden exzellentes heimisches und ausländisches Know-how in einem kleinen Markt wie Österreich nur durch entsprechende Rahmenbedingungen ermöglicht – und dafür braucht es unter anderem einen intensiven Dialog, attraktive Förderungen und einen stabilen Markt.

bw

Foto: istockphoto