Stationär wird mobil
Die demografische Entwicklung bedingt, dass zunehmend ältere und kränkere Menschen stationär aufgenommen werden. Je früher sie ihre selbstständige Bewegungs- und Funktionsfähigkeit wieder erlangen, desto besser für die Lebens-qualität, aber auch für die ökonomische Bilanz der Krankenhausaufenthalte.
Immobilität im stationären Bereich ist meist die Folge einer akuten Erkrankung. In dieser Phase ist „Bettruhe“ aber auch ein wichtiger Teil der Behandlung. Sind dann die Vitalparameter stabil, insbesondere Entzündungsparameter rückläufig, soll möglichst rasch die körperliche Bewegungsfähigkeit gefördert werden, um Sekundärkomplikationen durch Immobilität zu verringern oder zu vermeiden. Bereits im Jahr 2009 wurden über 500 Patienten in den Wiener Spitälern des Krankenanstaltenverbundes im Alter von 20 bis 99 Jahren im Hinblick auf ihren Mobilitätsstatus untersucht. Ziel dieses Projekts unter dem Titel „Mobility Day“ war es festzustellen, ob und welcher Zusammenhang zwischen Mobilität und Liegezeit sowie Prognose besteht und Maßnahmen zur Förderung der Mobilität im stationären Bereich zu initiieren. Das Ergebnis der Erhebungen war ein hochsignifikanter Zusammenhang zwischen Mobilitätsstatus und Aufenthaltsdauer im Spital. Weitere Einflussfaktoren, die für einen längeren Spitalsaufenthalt sorgten, waren Alter und Anzahl der Medikamente. Hingegen förderten eine gute Kommunikations- und Orientierungsfähigkeit sowie eine kurze Schmerzdauer eine Verkürzung der Liegezeit.
Nachgefragt bei ...
... Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Quittan, MSc., Vorstand des Instituts für Physikalische Medizin des Kaiser-Franz-Josef-Spitals – SMZ Süd
Wie wird Frühmobilisation von Frührehabilitation abgegrenzt?
Hier gilt es, grundsätzlich zwischen der medizinischen Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO und einer länderspezifischen, sozialversicherungsrechtlichen Definition zu unterscheiden. In Österreich ist jede Behandlung im Akutspital eine Krankenbehandlung und per Gesetz keine Rehabilitationsmaßnahme. 
Aus medizinischer Sicht ist nach Definition der WHO die Rehabilitation jedoch der koordinierte Einsatz medizinischer, sozialer, beruflicher, pädagogischer und technischer Maßnahmen mit Einbezug des sozialen und physikalischen Umfeldes, um eine Funktionsverbesserung, größtmögliche Eigenaktivität sowie unabhängige Partizipation in allen Lebensbereichen der Betroffenen zu erreichen. Wichtig sind hier der funktionsorientierte Ansatz sowie der Einsatz unterschiedlicher Berufsgruppen und auch der möglichste frühe Einsatz der Maßnahmen bereits im Akutspital. Der Begriff Frührehabilitation ist demnach weiter gefasst als die reine Mobilisation. Hier wird die Funktionsfähigkeit in den Mittelpunkt gestellt und zwar weitgehend unabhängig von der Grunderkrankung. Sie ist auch nicht alters- oder krankheitsabhängig, sondern kann alle Patienten gleichermaßen betreffen. Der österreichische Rehabilitationsplan 2012 vertritt eben diese Sichtweise.
Gibt es Evidenz für die Wirksamkeit?
Ja, für Intensivstation gibt es Studien, die eine Vielzahl von Vorteilen belegen. Wir haben im KAV das Projekt „Mobility Day“ gestartet, das auch eindrucksvoll belegt, dass mobile Patienten rascher genesen.
Wie „früh“ kann mit den Maßnahmen begonnen werden?
Je früher nach einer akuten Erkrankung begonnen wird, desto vorteilhafter ist es für den Patienten, aber auch für das behandelnde Team und schlussendlich für den Krankenhausträger. Die ersten Maßnahmen können schon – soweit es der Zustand des Patienten erlaubt – auf der Intensivstation einsetzen.
Welches Setting ist für den einzelnen Patienten erforderlich, um mit der Frührehabilitation zu beginnen?
Klassischerweise gibt es in der Rehabilitation Zielvereinbarungen. In der Früh-Reha muss das heißen, möglichst rasch im wahrsten Sinne des Wortes auf die Beine zu kommen. Es geht darum, den Patienten für seine basalen Bedürfnisse wieder fit zu bekommen, also selbstständig Essen, Trinken oder Körperpflege durchzuführen.
Welche Bedeutung hat das Thema für den niedergelassenen Arzt?
Er hat eine wichtige Awareness-Funktion und muss wissen, dass es Angebote zur stadiengerechten Rehabilitation gibt und dass er Patienten überweisen kann. Niedergelassene Ärzte haben auf ihre Patienten ohnehin eine viel holistischere Sichtweise als wir im Spital, das heißt, wenn es darum geht, eine bestimmte Funktionsfähigkeit wiederherzustellen, dann ist hier der passende Ausgangspunkt für eine Weichenstellung. Mit seinem Arzt wird der Patient den Antrag auf Rehabilitation stellen und Ziele formulieren. Damit ist dort die Nahtstelle zwischen akutmedizinischer Stabilisierung, dem stationären Aufenthalt und der Möglichkeit einer Rehabilitation.
Wer trifft die Entscheidung dafür?
Im Spital der „Fallführer“, also der stationsführende Arzt. Zusätzlich gibt es Institute für physikalische Medizin, die eine funktionsverbessernde Therapie durchführen und weitere Koordination zwischen den entsprechenden Gesundheitsberufen übernehmen.
Gibt es Kontraindikationen?
Jeder medizinisch instabile Zustand wäre kontraindiziert. Das reicht vom akuten Infekt bis zum Knochenbruch, kann aber auch psychische Faktoren umfassen. Wir benötigen eine bestimmte Grund-Compliance, ohne die geht es nicht.
Wie sehen Sie die künftige Entwicklung des Themas?
Spitäler haben den Druck, ihre Liegezeiten zu verkürzen. Daher wird es in Zukunft noch wichtiger werden, Angebote für prolongierte Funktionsstörungen zu schaffen, wo die Akutmedizin abgeschlossen ist und Patienten trotzdem weiter behandelt werden können. Die Frührehabilitation ist derzeit im LKF-System (leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierung) zur Abgeltung von Krankenhausleistungen nicht abgebildet, daher ist sie für Träger auch nicht interessant. Erst für Personen ab 65 ist die Akutgeriatrie dafür vorgesehen und wird auch honoriert. Für neurologische Rehabilitation haben wir auch Bettenkontingente und entsprechende Vergütungen, aber für alle, die jünger als 65 sind und keine neurologischen Erkrankungen haben, gibt es derzeit wenige Möglichkeiten. Im AKH Linz hat eine Remobilisations-Nachsorgestation eröffnet, die den richtigen Weg weist. Wir sind gefordert, in allen Akutspitälern taugliche Konzepte zu entwickeln, die auch mit entsprechenden Ressourcen auszustatten sind. Jeder Patient ist letztendlich, wenn er wach und geschäftsfähig ist, Teil des Behandlungsteams. Er muss Feedback geben und mitmachen. rh



