Schulterschluss
Wenn Mediziner und Psychologen zusammen arbeiten …
Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger stellt in seiner Statistik zur psychischen Gesundheit fest, dass bei psychischen Erkrankungen ein kontinuierliches Wachstum zu verzeichnen ist – im Zeitraum 1991 bis 2006 in Form einer Steigerung von 92 %. Invaliditätspensionen wegen psychischer Erkrankungen stiegen sogar um 157 % an. Auch die Zahlen bezüglich Psychopharmaka-Kosten nehmen rapide zu. Die EU nahm sich in ihrem Green Paper for Mental Health des Themas an und strebt eine Fortentwicklung und Konsolidierung europaweiter Initiativen zur Verbesserung der psychischen Gesundheit an. Aktuelle Daten der EU besagen, dass bis zum Jahr 2020 Depressionen in den Industriestaaten voraussichtlich die zweithäufigste Ursache von Erkrankungen sein werden – das verursacht erhebliche Kosten im Gesundheits-, Sozial-, Bildungs- und Justizsystem.
Die klinisch-psychologische Behandlung stellt eine leistungsfähige und kostengünstige Methode dar, um diesen Entwicklungen zu begegnen. Dafür bedarf es allerdings eines Schulterschlusses zwischen Medizin und Psychologie, um rechtzeitig vorzubeugen und zeitgleich mit der medizinischen Therapie auf psychologischer Ebene tätig zu werden.
Schnittbereiche
Die klinisch-psychologische Behandlung stellt eine Kernkompetenz der Psychologen dar und ist als solche gesetzlich verankert. Im Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz ist sie seit 1993 als Patientenrecht festgeschrieben und längst erfolgreich etabliert. Da jedoch nur die diagnostische Leistung aus Sicht der Refundierung durch die Krankenkasse mit der ärztlichen Hilfe gleichgestellt ist, muss die Behandlung im niedergelassenen Bereich durch die Patienten selbst finanziert werden und wird dadurch oft gar nicht in Anspruch genommen. Die Vorteile einer Behandlung – wie Senkung der Medikamenten- und Pflegekosten, verkürzte Dauer stationärer Aufenthalte, Reduzierung der Krankenstandstage und raschere adäquate Versorgung der Patienten – bleiben unbestritten. Besonders im Falle von typischen psychischen Erkrankungen wie Depressionen, posttraumatischen Belastungsreaktionen, Essstörungen oder Substanzmissbrauch, aber auch bei Schädel-Hirntraumen, Schlaganfällen und Demenz, bei Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen sowie vielen chronischen Erkrankungen und Patienten mit Compliance- und Case-Management-Schwierigkeiten können klinisch-psychologische Interventionen als effektive Behandlungsmethoden eingesetzt werden.
Effiziente Ergänzung im Spital
Im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Wien funktioniert – wie in vielen anderen Spitälern – die Zusammenarbeit zwischen Ärzteschaft und klinischen Psychologen sehr gut. Für das Bewusstsein, was die klinische Psychologie leisten kann, wird hier laufend gesorgt. Speziell im Fall chronischer und schwerwiegender Erkrankungen, bei denen die Lebensbedrohung eine durchaus reale Komponente darstellt, kann die Miteinbeziehung der klinischen Psychologie den Arzt entlasten. Auch bei Unfällen oder Überfällen, bei denen körperliche Schäden medizinisch behandelt werden, können Psychologen posttraumatische Störungen verhindern helfen. Das Hinzuziehen eines Psychologen sollte so normal und logisch ablaufen wie jenes eines Facharztes.
Zusammenarbeit mit Mankos
In den Ordinationen niedergelassener Ärzte ist die Zusammenarbeit deutlich schwieriger, obwohl gerade im Falle somatischer Erkrankungen im Vordergrund, denen eine psychische Ursache zugrunde liegt, die Psychologen rasch und höchst effizient Hilfe leisten. Hier besteht eindeutig ein Informationsbedarf, was die klinische Psychologie leisten kann, stellt sie doch ein unverzichtbares Tool für die ganzheitliche Behandlung eines Menschen im Sinne des aktuellen Standes der Wissenschaft dar. „Möchten Sie den Körper behalten oder die Psyche?“ Diese Frage können Patienten nicht beantworten, was einen eindeutigen Beleg dafür darstellt, dass Körper und Psyche zusammengehören und auch gemeinsam behandelt werden müssen.
Eine „leichtfüßigere“ Situation, in der niedergelassene Ärzte rasch, kompetent und lösungsorientiert durch die Zusammenarbeit mit Psychologen unterstützt werden, wäre wünschenswert. Dafür bedarf es allerdings einer entsprechenden finanziellen Absicherung durch die Krankenkassen. Klinische Psychologen wünschen sich jedenfalls einen Schulterschluss, ein gut verankertes Verständnis seitens der Ärzte, damit auch der Zeitfaktor berücksichtigt werden kann und Prävention so wie parallel laufende Behandlung psychische Folgeerkrankungen verhindern können.
Das Vertrauen von Patienten in ihre Ärzte ist nach wie vor sehr hoch, was unbedingt genutzt werden sollte, damit Ärzte und Psychologen an einem Strang ziehen und einen gemeinsamen Behandlungsplan erarbeiten können.
bw
Kontakt:
Mag. Veronika Holzgruber, Klinische Psychologin
Leiterin Personalmanagement, Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Wien Betriebsgesellschaft m.b.H. und Berufsverband Österreichischer PsychologInnen
veronika.holzgruberbhs.at
PhDr. Dr. Cornel Binder-Krieglstein
Berufsverband Österreichischer PsychologInnen, Vizepräsident, cbkfoqus.at