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Psychiatrische Rehabilitation und Psychotherapie

Die Entwicklung der beruflichen Belastung hat in den letzten Jahrzehnten wesentlich zur Zunahme der psychischen Erkrankungen beigetragen.


Wolfgang Schimböck

Autor: Wolfgang Schimböck, MSc PLL.M (Medical Law) MBA
Vorsitzender des Oberösterreichischen Landesverbands für Psychotherapie, Mitglied im Präsidium des Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie, wolfgang(at)schimboeck.net
www.schimboeck.net

Neben den seit 2002 eröffneten elf Rehabilitationseinrichtungen für die stationäre psychiatrische Rehabilitation bestehen inzwischen in Wien, Salzburg und Linz auch ambulante Einrichtungen. Insgesamt stehen damit bereits mehr als 1.200 Rehaplätze zur Verfügung. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer beträgt im stationären und ambulanten Setting sechs Wochen. Mit diesem weiteren Rehabilitationsangebot wurde auch dem steigenden Anteil der psychischen Erkrankungen bei den Rehageld-Empfängern Rechnung getragen.
2015 bezogen 18.546 Personen Rehageld. Bei drei Viertel lag eine psychische Erkrankung vor. Von den 3.155 Rehageldbeziehern, die aus dem Bezug herausfielen, musste die Hälfte als dauernd berufsunfähig eingestuft und pensioniert werden. Nur etwa 1.300 konnten als gesund eingestuft werden. Formell stehen sie wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Ob und in welchem Ausmaß es tatsächlich zu Anstellungen kam, ist nicht bekannt. Bedenkt man, dass sich bei fünf von sechs Rehageld-Beziehern nichts geändert hat, ist die Gesundheitsversorgung bei psychischen Erkrankungen in diesem Bereich dringend zu hinterfragen.

Arbeitnehmer im Dauerstress

Die Entwicklung der beruflichen Belastung hat in den letzten Jahrzehnten wesentlich zur Zunahme der psychischen Erkrankungen beigetragen. Der Wettbewerbsdruck und die technische Entwicklung führen zu einem erhöhten Arbeitsdruck, fordern ein hohes Maß an Mobilität und ständige Erreichbarkeit. Immer mehr Flexibilität ist gefordert. Zeitarbeit und kurzfristige Arbeitsverhältnisse einerseits und das Wegfallen eines stabilen sozialen Gefüges in Unternehmungen führen zu starker Verunsicherung. Aus dieser Gesamtsituation heraus ergibt sich für immer mehr Arbeitnehmer ein „Dauerstress“, der sich häufig in psychischen Erkrankungen manifestiert.
Eine Zuweisung zur psychiatrischen Rehabilitation erfolgt durch behandelnde Ärzte mittels Antrags an die Sozialversicherung. Der psychiatrische Rehaaufenthalt ist bei den ICD-10 Diagnosegruppen F 3 bis 6, Affektive Störungen, Belastungs- und somatoforme Störungen, Verhaltensauffälligkeiten in Verbindung mit körperlichen Störungen und Faktoren sowie Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen indiziert. Das Ziel der Rehabilitation ist, die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit und die Bewältigung des Alltags zu erreichen sowie bestehende Beeinträchtigungen zu beseitigen oder zu reduzieren. In einem umfassenden fachärztlichen Anamnesegespräch sowie im bezugstherapeutischen Kontext werden anhand von Standards wie dem Mini-ICF-APP – Rating für Aktivitäts- und Partizipationsstörungen1 Rehaziele festgelegt und können während und am Ende der Reha evaluiert werden. Während des Aufenthaltes fungiert für die Patienten ein Psychotherapeut als „Bezugstherapeut“.

Abstimmung mit anderen Berufsgruppen

Über das klassische psychotherapeutische wöchentliche Einzelsetting hinaus bedeutet dies eine persönliche Unterstützung und Begleitung im gesamten Rehaprozess. Im psychotherapeutischen Gruppensetting gibt es einerseits die in der Regel zweimal wöchentlich stattfindende „Kerngruppe“ und andererseits Themengruppen wie unter anderem zur Selbstwertproblematik, zum Überlastungssyndrom und zur Achtsamkeit. In der Ergotherapie kann in einem handwerklichen und kreativen Umfeld an der eigenen Problemlösungskompetenz gearbeitet und Ausdauer, Belastbarkeit und Konzentrationsfähigkeit können trainiert werden. Die Physiotherapie verbessert mit Bewegungsarbeit den Zugang zum eigenen Körper und kann auch wieder zu mehr Selbstvertrauen führen. Für den Ernährungsbereich stehen Diätologen zur Verfügung. Da mit beruflichen und sozialen Problemen auch oft existenzielle Schwierigkeiten einhergehen, ist professionelle Sozialarbeit ein fixer Bestandteil der psychiatrischen Reha. Die Abstimmung der einzelnen Berufsgruppen im Behandlungsteam ist wichtig für den Behandlungserfolg.

Verschwiegenheitspflicht

Psychotherapeuten sind durch die Verschwiegenheitspflicht nach dem Psychotherapiegesetz bei der Informationsweitergabe im Team klare Grenzen gesetzt. Dies gilt auch für die laufende Dokumentation des Rehaprozesses und den Abschlussbericht für die Sozialversicherung, die in der Regel Kostenträger ist. Abschlussberichte gehen häufig auch an zuweisende Ärzte und behandelnde niedergelassene Psychotherapeuten, wenn dies von den Patienten gewünscht wird. Kommt es nach der Reha zu einem Gerichtsverfahren aufgrund der Berufung gegen einen ablehnenden Pensionsbescheid einer Sozialversicherung, gilt bei der Zeugenladung eines Psychotherapeuten das Erfordernis der Entbindung von der Verschwiegenheit wie bei jedem Zivilprozess. Eine Entbindung durch den Arbeitgeber – die Rehaklinik – ist hier keinesfalls ausreichend.
Der Rehabilitationserfolg wurde bereits in den ersten Jahren von stationären Rehaeinrichtungen bei einer in „Neuropsychiatrie“, 3/2006, Band 20, S. 215-218, publizierten Evaluierung zweier Rehaeinrichtungen von 1.361 bzw. 639 Patienten zu 41 Prozent als sehr erfolgreich und zu 52 Prozent als teilweise erfolgreich beurteilt. Bei der Zuweiserbefragung mit 222 Fragebögen (80 retourniert) wurde der Rehaerfolg im Hinblick auf die berufliche Situation zu 80 Prozent positiv eingeschätzt. 92 Prozent sahen in der Reha eine Ergänzung zu akut psychiatrischen Behandlungs- und Rehabilitationsmöglichkeiten.

Wirksamkeitsstudie der Psychotherapie

Den Erfolg eines Rehaprozesses stabil zu halten, setzt allerdings in den meisten Fällen auch eine fortführende psychotherapeutische Behandlung voraus. Dazu bedarf es eines entsprechenden psychotherapeutischen Behandlungsangebotes durch die Sozialversicherungsträger, die dazu auch einen klaren gesetzlichen Auftrag des ASVG haben. Mit dem hohen fachlichen Niveau der beim Bundesministerium für Gesundheit eingetragenen niedergelassenen Psychotherapeuten könnte eine solche erfolgversprechende Nachsorge auch kurzfristig umgesetzt werden.
Da bisher seitens der Sozialversicherungsträger in Österreich keine aktuelle Wirksamkeitsstudie der Psychotherapie vorliegt, kann auf aktuelles Datenmaterial aus unserem Nachbarland verwiesen werden: Von der Deutschen Technikerkrankenkasse wurde ein „Depressionsatlas 2015“ präsentiert, der einen Anstieg von Antidepressiva-Tagesdosen von 5,2 auf 15,8 bei Frauen und von 2,6 auf 9,4 bei Männern seit dem Jahr 2000 belegt. Gleichzeitig hat die Deutsche Techniker Krankenkasse in einem Qualitätsmonitoring festgestellt, dass bei 65 Prozent der psychotherapeutisch Behandelten eine Besserung eingetreten ist – eine Erfolgsquote, die nur wenige Heilverfahren aufweisen können.
Diese Zahlen sprechen für sich und sollen ein weiterer Anstoß für Politik und Selbstverwaltung der Gebietskrankenkassen und der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft sein, analog zur Sozialversicherung der Bauern umgehend einen Zuschuss für Psychotherapiestunden von 50 Euro einzuführen und damit die Psychotherapie für alle Einkommensschichten leistbar zu machen.

+1) www.testzentrale.de/programm/mini-icf-rating-fur-aktivitats-und-partizipationsstorungen-bei-psychischen-erkrankungen.html