Praxis mit Atmosphäre – So leben und arbeiten Ärzte
Irgendwann ist es soweit: Beruflich etabliert, privat ein Zuhause gefunden – nun ist die Zeit gekommen, um Lebens- und Arbeitsplatz neu zu gestalten und dafür eine individuell ansprechende und optisch einladende Form zu finden. So mancher Arzt baut auf seinen Architekten des Vertrauens, andere lösen die Wohn-Arbeitsfrage lieber in Eigenregie.
Die Vorarlberger sind schon lange Vorreiter in Sachen innovativer Architektur. Juri Troy von juri troy architects gilt als Musterbeispiel: ein hochkreativer Architekt, der Natur, Kunst, Nachhaltigkeit und Zeitlosigkeit auf charakteristische Art und Weise vereinen kann. Damit ist er wie geschaffen für die Bedürfnisse von Ärzten. In der Ordination Wienerwald in Purkersdorf ist die Symbiose aus Ästhetik und Nutzen jedenfalls höchst ansprechend gelungen.
Neubau als Chance
Dr. Josef Krugluger, Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie und Inhaber der preisgekrönten Ordination Wienerwald, hat sich für einen Neubau entschieden, weil dies „ermöglicht, die eigenen Bedürfnisse und den eigenen Arbeitsablauf schon im Bau zu berücksichtigen und damit die Arbeitseffizienz zu optimieren“. Am Land – in diesem Fall in Purkersdorf – seien auch immer eigene Parkplätze für Ordinationskunden ein wichtiges Thema. „Bei einem Neubau sind zudem die Betriebskosten und die Anforderungen an orthopädische Ordinationen – Stichwort Barrierefreiheit – üblicherweise zu verbessern“, ergänzt Krugluger.
Die Wahl des Architekten hat sich der Mediziner nicht ganz einfach gemacht. Fünf Architekten waren zu Vorgesprächen eingeladen. Als individuell wichtige Kriterien für die Wahl nennt Krugluger die Fähigkeit, ökologisch sinnvoll zu bauen, ein künstlerischer Anspruch für das Bauwerk und nicht zuletzt eine gut funktionierende Beziehungsebene, da es im Verlauf eines derartigen Bauprojekts zwangsläufig immer wieder einmal zu Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten kommt. „Nach langen Gesprächen, bei denen Herr Troy auch viel über mich und unser Team erfahren hat, ist das vorliegende Konzept entstanden“, erzählt Krugluger. „Das Bauwerk wirkt auf uns sehr luftig und offen. Sitzt man in den Behandlungsräumen, erweckt es den Eindruck, als würde man vom Wald auf eine Lichtung blicken.“
Heute, nach etwas mehr als einem Jahr nach Fertigstellung des Baus, würde der Arzt nichts ändern. Der alte Spruch, dass ein Haus mindestens zweimal gebaut werden müsse, bis die ideale Lösung gefunden ist, greift hier nicht. „Ich würde aus heutiger Sicht allerdings sagen, ich hätte in dem Gebäude schon gerne vor zehn Jahren gearbeitet“, ist Krugluger hörbar begeistert vom Ergebnis. Die Wohnungen im Obergeschoß über der Ordination Wienerwald werden übrigens nicht vom Arzt selbst bewohnt, sondern sind vermietet. Der Vorteil dieser Lösung ist, dass „auch bei Ordinationsschluss das Haus bewohnt und damit auch überwacht ist. Für die Mieter ist zwar tagsüber Betrieb, abends ist es im Erdgeschoß aber ruhig“, meint der Arzt abschließend.
In Eigenregie
Gänzlich anders der Zugang von Karin und Prof. Dr. Richard Kdolsky, Facharzt für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie in Brunn am Gebirge. Im Herbst 2009 kaufte das Paar – mit einem Kleinkind – einen Dreikanter aus dem Jahr 1867 mit Aussicht auf Ordination und Wohnen in einem Guss. „Wir blieben unbeeindruckt von allen Ratschlägen ‚das alte Ding’ niederzureißen und neu zu bauen“, erzählt Karin Kdolsky. „Denn genau in diese 50 cm Steinwände hatten wir uns verliebt.“ Während des Umbaus stießen die beiden ambitionierten Bauherren allerdings auf alle „möglichen und unmöglichen Komplikationen“. Decken stürzten ein, die Böden waren nur in Sand gelegt, der Bagger brach in einen nicht dokumentierten Bunker metertief ein, aber auch interessante, bisher unentdeckte Geheimnisse aus der Vergangenheit taten sich auf. So befand sich etwa beim Fenster im Warteraum der Ordination bis Mitte des vorigen Jahrhunderts der Eingang einer Greißlerei. Hinter einer doppelten Wand fanden sich Skizzen und Zeichnungen aus dem vorigen Jahrhundert, die der Gemeinde Brunn zur Verfügung gestellt wurden. „In der Einfahrt war eine uralte Senkgrube“, erzählt Kdolsky. „Ein Kloster hatte bis dato ein ‚Senkgrubenbenutzungsrecht’ grundbürgerlich eingetragen, was bedeutete, dass vor langer Zeit die Klosterschwestern eines nahegelegenen Ordens die Senkgrube benutzen durften, im Gegenzug bekam der damalige Besitzer Naturalien.“
Letztendlich entstand aus „dem alten Ding“ dennoch ein interessanter Bau, der alle Vorteile vereint, den die Kdolskys sich wünschen. „Arbeiten und in der Nähe zu wohnen hat mit einer kleinen Tochter nur Vorteile. Im Akutfall können wir schnell reagieren und aufsperren, was im Fachgebiet Unfallchirurgie und Sporttraumatologie von Vorteil ist, denn es tut sich niemand geplant weh. Brüche und Bandläsionen halten sich nicht an Öffnungszeiten“, gibt Kdolsky zu denken. Außerdem war es den beiden ein Anliegen, die Außenfront samt dem fast 150 Jahre alten Eichentor zu erhalten und das gelang. „Die einzige Veränderung war der Eingang der Ordination, den wir in den Zubau verlegt haben“, ergänzt Karin Kdolsky. Würden die beiden etwas ändern, wenn sie heute vor dem Umbau stehen würden? Nein, sind beide überzeugt, außer dass das Gebäude um ein Zimmer zu klein ist, aber das ist eine Geschichte, die beinahe jeder Bauherr auf die eine oder andere Weise erzählt. Jede Wohnung und jedes Haus ist seltsamerweise nach dem Bezug um ein Zimmer zu klein, ist Kdolsky überzeugt.
Positive Raumatmosphäre
DI Gernot Hertl aus Steyr erhielt für seinen Entwurf der Ordination von Dr. Claudia Wenk, einer Augenärztin, viel Lob. Das Gebäude stammt aus den 1950er-Jahren, umgebaut wurde ein Teil des ehemaligen Möbelhauses zur Ordination 2008, wobei für Wenk „nie infrage gestellt wurde, dass mit einem Architekten gebaut wurde. Nach einer eher enttäuschenden Begegnung mit einem anderen Architekten wurde mir DI Hertl empfohlen und da stimmten von Anfang an Vertrauen und Chemie.“ Der Architekt bekam dann entsprechend völlig freie Hand bei der Gestaltung der Ordination – mit zwei Auflagen: „Ich wollte mit meinem Tischler zusammenarbeiten, dem ich schon viele Jahre vertraue, und ich wollte keine Vorhänge haben“, erzählt die Ärztin schmunzelnd.
Wenk lebt nicht im selben Gebäude, sondern 20 km entfernt, empfindet dies aber eher als Vorteil. Der Architekt erklärt auf Nachfrage, was aus seiner Sicht die Besonderheiten einer Architektur für Ärzte sind, die im selben Gebäude auch leben wollen: „Der private Teil des Gebäudes sollte für Kunden überhaupt nicht in Erscheinung treten. Das spielt auch für die Wahrnehmung des Arztes selbst eine Rolle, der sich ja im Wohnungsteil emotional von der Ordination distanziert fühlen will.“
Hertl kritisiert, dass beim Bau von Ordinationen oftmals das Augenmerk auf hygienischer Erscheinung im Vergleich zu jenem auf Menschlichkeit und Wohlbefinden zu sehr überhandnimmt. Mit anderen Worten: Hygiene wird bekanntermaßen nicht nur durch Optik erzielt, Wohlbefinden ist hingegen in einem kalten, nüchternen Ambiente schwierig. Auch in dieser Hinsicht streut ihm Wenk Rosen, denn „ihre Patienten schätzen die helle, freundliche Atmosphäre und die einladende Offenheit“. Die Kombination aus viel Helligkeit – auch im Winter – und Weite, mit freundlichen Farben, vermittelt eine positive Stimmung und sorgt für Wohlgefühl.
Besondere Herausforderungen bedeutet der Umbau alter Bestände. „Bestandssituationen mit aller Gewalt gegen ihre vorhandene Struktur und Funktion verändern zu wollen, führt in der Regel zu verkrampften Lösungen“, erklärt Hertl. „Es macht bei Umbauten immer Sinn, die positiven Aspekte herauszufinden und die Logik der Räumlichkeiten weiterzudenken, dabei kann man meist trotzdem viel im Ablauf verbessern.“ Die Augenärztin würde heute kein Detail des Umbaus anders lösen. „Die Raumaufteilung und Besonderheiten der Ordination waren nicht ganz einfach zu lösen, aber meine Bedürfnisse sind voll und ganz erfüllt – ich finde es perfekt gelungen“, freut sich Wenk. Der Architekt weiß um die Präferenzen von Ärzten als Bauherren: Raumatmosphäre wird generell sehr hoch geschätzt und soll auf die Menschen positiv wirken. In der Ordination von Augenärztin Dr. Wenk konnte Hertl dieses Konzept vollständig umsetzen.
Was bei der Recherche zu dieser Geschichte auffiel, ist dass heimische Mediziner sehr unterschiedliche Methoden wählen, um ihre Vorstellungen und Ansprüche an Arbeiten und Wohnen zu erfüllen: Neubau oder Umbau, Wohnung oder Haus, Wohnen und Arbeiten in einem oder getrennt, mit oder ohne Architekt. Jede Variante hat ihre Befürworter und die Ergebnisse können sich samt und sonders sehen lassen. Wer heute seinen individuellen Weg sucht, ist gut beraten, schöne Beispiele auf sich wirken zu lassen und so die für sich optimale Lösung zu finden. bw
Nachgefragt bei ...
... Juri Troy, juri troy architects, Wien und Bregenz
Wenn Ärzte in ein und demselben Gebäude leben und arbeiten, ist dann für Sie als Architekten etwas zu beachten?
Besonders wichtig ist die klare Trennung zwischen Ordination und Privatbereich. Hier gilt es besonders, auch die privaten Außenbereiche so zu gestalten, dass ein Maximum an Aufenthaltsqualität ohne Einblicke gewährleistet werden kann. Überdies ist auch darauf zu achten, dass die Verbindungswege kreuzungsfrei zur Patientenerschließung erfolgen können. Dies zieht sich durch bis zu Überlegungen über die Parksituation und Ähnlichem.
Welche Fehler werden beim Bau von Ordinationen oft gemacht?
Ich halte es für sehr wesentlich, eine flexible Grundstruktur zu planen, die im Laufe der Zeit auch an die wechselnden Bedürfnisse und Entwicklungen angepasst werden kann. In der Ordination Wienerwald beispielsweise haben wir die gesamte Ordinationsfläche von etwa 250 m² lediglich durch Möbelwände unterteilt, die den notwendigen Stauraum gleichzeitig anbieten. So kann die Raumeinteilung ohne Weiteres bei Bedarf wieder in einigen Jahren verändert oder angepasst werden, ohne Eingriffe in die statische Struktur des Gebäudes vornehmen zu müssen.
Und wie sieht es beim Umbau alter Ordinationen aus?
Obwohl man hier natürlich mehr an Vorgaben durch den Bestand gebunden ist, gilt auch hier Dasselbe: Die räumliche Struktur sollte so belassen werden, dass größtmögliche Flexibilität gewährleistet werden kann. Zudem ist auf langlebige, strapazierfähige Materialien zu achten, die dennoch imstande sind, eine angenehme Atmosphäre zu kreieren.
Welche architektonischen Besonderheiten schätzen Ärzte besonders?
Nach meiner Erfahrung gehören Ärzte durchaus zu jenen Bauherren, die sich aktiv für Architektur interessieren. Besonders in der letzten Zeit erkennen immer mehr Ärzte auch den Mehrwert von guter Architektur für ihr eigenes Arbeitsumfeld und das Wohlbefinden ihrer Patienten. Genau da beginnt es, für uns interessant zu werden. Die Leute wollen nicht mehr nur einfach abgehandelt werden, sondern – oder gerade – auch bei einem Arztbesuch sich wohl fühlen. Daher entstand auch bei der Ordination Wienerwald der Entwurfsgedanke, die Behandlungsräume in einen Birkenwald zu stellen, um ihnen mehr Behaglichkeit und Atmosphäre zu verleihen. Wenn man die Räumlichkeiten betritt, kann man dies sehr gut nachempfinden. Die Verwendung von Holzoberflächen im Innenraum – in diesem Falle ebenfalls helles Birkenholz – beruhigt zudem nachweislich und vervollständigt das Gesamtkonzept.
Profil: Juri Troy absolvierte eine Steinmetz- und Hochbauausbildung. Anschließend studierte er an der TU Innsbruck und an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. 2003 gründete er sein eigenes Büro in Wien. Er ist Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Architektur und der Berufsvereinigung Bildender Künstler Vorarlbergs – Sektion Architektur. Derzeit unterrichtet er an der TU Wien am Institut für Raumgestaltung und nachhaltiges Entwerfen und der FH Campus Wien Green Building. Seit 2011 firmiert er unter juri troy architects in Wien und Bregenz. Die Projekte des Büros wurden mit zahlreichen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet.
- Links:
- Ordination Wienerwald von Architekt Juri Troy für Orthopäde Dr. Josef Krugluger. Foto: Kurt Kuball