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„Perspektive und Richtung stimmen“

Mit zwei Gesetzesnovellen will die Bundesregierung die Situation der Jung- und Spitalsärzte mittelfristig an europäische Standards heranführen. Ärztekammerpräsident Wechselberger ist mit dem Start der neuen Gesundheitsministerin jedenfalls zufrieden.


Dr. Arthur Wechselberger, Präsident der Österreichischen Ärztekammer

Dr. Erwin Rasinger, Gesundheitssprecher der ÖVP

„Der Berufsstand der Götter ist zu einem Berufsstand der Ausgebrannten geworden. Das System krankt und macht Ärzte krank“, schreibt Marie-Theres Egyed in einem Kommentar in DER STANDARD zur aktuellen Situation der Ärzte in Österreich. „Lange Arbeitszeiten, Nacht- und Wochenenddienste, übervolle Ambulanzen und Wartezimmer; Ärzte, die sich mit Routinetätigkeiten herumschlagen müssen und mehr Zeit mit Zettelwirtschaft als mit Patienten verbringen: Sie sind übermüdet und überarbeitet. Die Patienten haben Besseres verdient; die Ärzte auch.“
Nun, das „Bessere“ befinde sich bereits in der Pipeline, würde die neue Gesundheitsministerin antworten und auf die beiden aktuellen Gesetzesnovellen verweisen, die Anfang 2015 in Kraft treten sollen. Damit wird einerseits die Ärzteausbildung neu aufgestellt, andererseits werden bis zum Jahr 2021 endlich Arbeitszeitbestimmungen für Spitalsärzte eingeführt, die international längst selbstverständlich sind und seit Jahren von der EU eingefordert werden, ohne bei der Gesundheits-, Sozial-, vor allem aber bei der Landespolitik auf Gehör zu stoßen.
Mit der neuen Gesundheitsministerin Dr. Susanne Oberhauser, selbst Ärztin, hat sich jetzt aber zumindest „atmosphärisch“ offenbar manches schlagartig verändert, zum Beispiel im Verhältnis zwischen Ministerium und Ärztekammer. Vom großen Säbelrasseln und dem unverblümten Androhen von Kampfmaßnahmen der Ärzte gegen die Pläne des Ministeriums, wie wir das in jüngerer Vergangenheit wiederholt erlebt haben, ist wenig geblieben. Konstruktivismus statt Aktionismus scheint angesagt. Das sollte den Reformbemühungen insgesamt guttun.

Reform der Ärzteausbildung

Dieses neuen „Klima“ erklärt auch die nahezu euphorische präsidiale Zustimmung zur Reform der Ärzteausbildung. „Ein großes Werk, das nun legistisch umzusetzen ist“, findet Wechselberger. Die Reform wurde Mitte Oktober im Gesundheitsausschuss mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP, den Grünen und dem Team Stronach beschlossen. Sie sieht eine Verpflichtung zur Absolvierung einer neunmonatigen Basisausbildung nach dem Medizinstudium vor. Dabei sollen die Jungärzte klinische Grundkompetenzen in den Fachgebieten Chirurgie und Innere Medizin erwerben. Erst danach entscheiden sie, ob sie eine allgemeinärztliche oder fachärztliche Ausbildung beginnen. In der Allgemeinmedizin folgen eine 27-monatige Spitalspraxis und anschließend eine verpflichtende Lehrpraxis in der Dauer von zumindest sechs Monaten. Diese soll dann sukzessive bis auf zwölf Monate ausgebaut werden. Entscheidet man sich für eine Facharztkarriere, so dauert die Sonderfach-Grundausbildung mindestens 27 Monate, danach folgt eine Sonderfach-Schwerpunktausbildung in gleicher Länge.
„Einige Jahre hindurch wurde intensiv von Ärztekammer und wissenschaftlichen Gesellschaften gearbeitet, um die im Wesentlichen jahrzehntelang unveränderte ärztliche Ausbildung nach dem Medizinstudium zu modernisieren“, findet Wechselberger. „Wir haben jetzt eine Chance, die nicht alle Jahre kommt, nämlich die Möglichkeit, die postpromotionelle Ausbildung sowohl für die Allgemeinmediziner als auch für die Fachärzte – was in der öffentlichen Diskussion oft ein wenig untergeht – an das europäische Niveau heranzuführen. Da sind wir derzeit international noch nicht konkurrenzfähig.“
Positiv sei jedenfalls, dass die Allgemeinmediziner endlich dort ausgebildet werden, wo sie anschließend am dringendsten benötigt werden, nämlich in den Praxen der Allgemeinmediziner selbst. Wichtig ist Wechselberger in diesem Zusammenhang auch die notwendige Zertifizierung aller Praxen, die als Ausbildungsstätten anerkannt werden. Es soll regelmäßig überprüft werden, ob das vorgelegte Ausbildungskonzept auch tatsächlich angewandt wird.
Einen Wermutstropfen sieht der Präsident allerdings in der mehrstufigen Einführung der Lehrpraxis. „Wir wollten sofort ein Jahr Lehrpraxis, wie das europaweit in vielen Ländern heute üblich ist, und haben das auch gut begründet.“ Das Wichtigste sei aber jedenfalls, dass jetzt einmal zumindest das Ziel im Gesetz klar formuliert ist. „Perspektive und Richtung stimmen also.“
Ein anderes Anliegen der Ärztekammer, die Einführung eines Facharztes für Allgemeinmedizin, bleibt hingegen weiterhin unerfüllt. Daran hat auch die Tatsache nichts bewirkt, dass eine solche Qualifikation in mehr als 20 europäischen Staaten längst üblich ist.

Parlamentarische Zustimmung und Kritik

Für ÖVP-Gesundheitssprecher Dr. Erwin Rasinger bedeutet die Reform der Ärzteausbildung einen Schritt in die richtige Richtung. „Gesundheitspolitik entwickelt sich in kleinen Schritten, das fällt nicht vom Himmel. Gesundheitsreform ist ein permanenter Prozess. Mit dem Ärztegesetz machen wir einen weiteren guten Schritt.“ Weitere Schritte müssten allerdings folgen, vor allem, was die Arbeitsbedingungen für Ärzte betrifft, meint Rasinger: „Wir müssen vor allem unseren Hausärzten bessere Arbeitsbedingungen bieten. Das reicht von besserer Honorierung, Teilzeitmodellen, Hausapotheken in entlegenen Gebieten bis zu weniger Bürokratie zum Beispiel bei der Chefarztbewilligungspflicht. Wir müssen den derzeit enormen Zug unserer Jungärzte ins Ausland wie nach Deutschland oder in die Schweiz stoppen.“
Opposition und manche Gesundheitsexperten kritisieren das Gesetz hingegen als „unausgereift“ und verweisen auf die bislang fehlende Finanzierung der Lehrpraxen. Derzeit muss der ausbildende Arzt dafür sorgen, dass der Auszubildende angemessen bezahlt wird. Ob das so bleibt oder doch finanzielle Anreize geschaffen werden, ist trotz des Gesetzesbeschlusses noch unklar. Entsprechend schwierig gestaltet sich die Suche nach einer ausreichenden Zahl an Ausbildungspraxen. Auch für Wechselberger ist die nach wie vor ungeklärte Finanzierung der Lehrpraxis problemtisch. Er fordert ein öffentliches Finanzierungsmodell: „Die niedergelassenen Hausärzte können die Gehälter ihrer Lehrpraktikanten aus ihren Umsätzen nicht bezahlen. Deshalb ist eine öffentliche Finanzierung der Lehrpraxis wie in anderen Staaten, etwa in Deutschland, notwendig. “

EU-konforme Spitalsarbeitszeiten

Auch zum Krankenanstalten-Arbeitszeitengesetzes (KA-AZG) liegt eine Novellierung der Arbeitszeitregelungen für Spitalsärzte am Tisch. Die Arbeitszeit der Spitalsärzte wird demnach ab kommendem Jahr reduziert und bis Mitte 2021 schrittweise auf das von der EU vorgegebene Maß von 48 Wochenstunden gesenkt. Bis 2017 sind – allerdings nur mit schriftlicher Zustimmung der Ärzte – noch bis zu 60 Stunden, danach noch bis zu 55 Stunden möglich. In einzelnen Wochen könnte zwar weiterhin bis zu 72 Stunden gearbeitet werden, diese müssen dann aber innerhalb eines festgelegten Durchrechnungszeitraumes ausgeglichen werden.
Ebenfalls stufenweise erfolgt die Reduktion der verlängerten Wochenenddienste. Ab 2018 werden nur noch 29-Stunden-Dienste, ab 2021 maximal 25-Stunden-Dienste möglich sein. Die Ausgleichsruhezeit muss ab kommendem Jahr sofort nach dem Wochenenddienst konsumiert werden.
Für die von Sozialminister Hundstorfer festgelegten Übergangsfristen zeigt Wechselberger Verständnis und spricht von einem durchaus „lebbaren“ Entwurf. Dass man hier gewisse Fristen benötige, um sich entsprechend zu organisieren und Strukturen zu schaffen, sei „korrekt, alles andere wäre auch unrealistisch“. Die neuen Arbeitszeitregelungen würden langfristig jedenfalls nicht nur die Versorgungsqualität heben, ist Wechselberger überzeugt, weil die Ärzte ausgeruhter und damit auch leistungsfähiger sein werden, sondern sie würden auch motivierend auf junge Menschen wirken, den Arztberuf zu ergreifen.
Bezüglich der vorgesehenen Opt-out-Regelung, wonach Ärzte freiwillig längere Arbeitszeiten akzeptieren können, warnt der Obmann der Kurie angestellte Ärzte und Vizepräsident der Ärztekammer für Wien Dr. Hermann Leitner „ausdrücklich davor, Druck auf die Spitalsärzte – insbesondere auf die jüngeren Kolleginnen und Kollegen – auszuüben, damit diese den längeren Arbeitszeiten zustimmen“. Für Wien denkt Leitner jetzt sogar eine Ombudsstelle in der Ärztekammer an, an die sich betroffene Ärzte wenden können.                                   vw