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Personalplanungs- & Führungsmodelle

Weniger Ärztearbeitszeit bei gleichbleibender Leistungsanforderung – wie soll das zusammengehen? Gar nicht, sagen die einen und fordern mehr Planstellen. Zumindest teilweise könnten Engpässe kompensiert werden, meinen hingegen Management-Experten.


Dr. Stefan Gara, NEOS Gesundheitssprecher im Wiener Rathausklub; Dr. Thomas Szekeres, Präsident der Ärztekammer für Wien. Fotos: Alfons Kowatsch, Stefan Seelig

Mit der im Vorjahr in Kraft getretenen Novelle des Krankenanstalten-Arbeitszeitengesetzes wird die wöchentliche Durchschnittsarbeitszeit der Ärzte bis Mitte 2021 von bis zu 60 stufenweise auf maximal 48 Stunden reduziert. Die Dienstgeber haben ihre Arbeitszeitmodelle inzwischen weitgehend adaptiert – mit spürbaren Folgen für Personal und Patienten. Vor Kurzem veröffentlichte die Ärztekammer für Wien Ergebnisse einer anonymen Onlinebefragung unter den über 7.000 Wiener Spitalsärzten: 81 Prozent der Befragten geben darin an, dass sich ihr persönlicher Arbeitsaufwand seit der Umstellung erhöht hat. Ein Drittel kann laut eigener Angabe sein Arbeitspensum in der vorgegebenen Zeit nicht mehr erfüllen und macht daher „unbezahlte Überstunden“. Weil gleichzeitig auch der administrative Aufwand gestiegen sei, spricht knapp die Hälfte der Befragten von einer „sinkenden Tagespräsenz bei der Patientenbetreuung“ (unter den Ärzten des Krankenanstaltenverbundes KAV klettert der Wert sogar auf 54 Prozent). Das wirke sich zwangsweise negativ auf die Patientenbetreuung aus, aber auch auf die Ausbildungssituation der Jungärzte – umso mehr, als „Arbeitspaket 7“ bislang nur „zu einem kleineren Teil“ oder „gar nicht“ umgesetzt wurde, wie zumindest 43 Prozent der Ärzte glauben. Sie beziehen sich damit auf eine Vereinbarung, deren Ziel es ist, Turnusärzte von pflegerischen Tätigkeiten zu entlasten und dem qualifizierten Pflegepersonal mehr Tätigkeiten am Patienten zuzuweisen.

Alarmierende Ärztebefragung

Besonders alarmierend sind die Befragungsergebnisse aber bezüglich der vermeintlichen Auswirkungen auf die Patienten. 87 Prozent der Wiener Spitalsärzte sind der Meinung, dass sich seit Inkrafttreten des neuen Ärztearbeitszeitgesetzes die Versorgung der Patienten verschlechtert hat. Unter KAV-Ärzten sind es sogar 90 Prozent. 74 Prozent der Befragten (77 Prozent der KAV-Ärzte) nehmen eine Verschärfung der Zweiklassenmedizin wahr, 82 Prozent beobachten längere Wartezeiten auf Operationen, 79 Prozent in den Ambulanzen. „Weniger Ärztearbeitszeit bei gleichbleibender Leistung, das kann sich nicht ausgehen“, fasst Dr. Stefan Gara, Gesundheitssprecher von NEOS Wien, die Befragungsergebnisse zusammen und schlussfolgert daraus: „Wen wundert es, dass die Ambulanzen völlig überlastet sind und die Wartelisten für OP-Termine von Tag zu Tag länger werden.“ In das gleiche Horn stößt Dr. Thomas Szekeres, wenn er sagt: „Die Patienten leiden eindeutig am meisten. Die Tatsache, dass sich die Wartezeiten sowohl bei den Operationen als auch in den Ambulanzen verlängert haben, ist auf einen eklatanten Personalmangel zurückzuführen.“ Als Konsequenz fordert der Wiener Ärztekammerpräsident eine „rasche Aufstockung des ärztlichen Personals“ durch den KAV.

Komplexes Personalmanagement

Er könne zwar den reflexartigen Ruf der Standesvertretung nach mehr Ärzten nachvollziehen, meinte dazu Dr. Christian Heitmann, Partner bei der Deutschen zeb – rolfes.schierenbeck.associates GmbH, am diesjährigen Gesundheitswirtschaftskongress. Das Problem werde sich angesichts knapper finanzieller und personeller Ressourcen damit allerdings alleine nicht lösen lassen. Für Heitmann liegt ein wesentlicher Schlüssel zur Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes in einer effizienteren Dienstplanerstellung: „Das Personalmanagement im Krankenhaus wird komplexer, bietet damit aber auch Chancen für eine Weiterentwicklung und Alleinstellung.“ Entscheidend dabei sei es, die vorhandene Kapazität und Kompetenz viel präziser und zielgerichteter einzusetzen als dies bisher gelingt. „Der größte Schmerz liegt nicht im Geld, sondern in der Planbarkeit“, ist Heitmann überzeugt. Gemeint seien damit aber vor allem langfristig wirksame Planungen wie etwa Fortbildungskonzepte. Dafür habe es im klinischen Bereich lange Zeit kaum anwendbare Tools gegeben. Daher sei man im Rahmen eines Personalprojekts für das Uniklinikum in Münster auf der Suche danach in andere Branchen gegangen und schließlich bei der Personaleinsatzplanung internationaler Flughäfen fündig geworden. Dort sei eine flexible Echtzeit-Einsatzplanung rund um die Frage „Wann brauche ich wen mit welcher Kompetenz an welchem Ort?“ längst Realität. Dabei würden Mitarbeiter aber nicht automatisch zum Dienst eingeteilt, sondern vorher abgefragt, wann sie bevorzugt arbeiten möchten. Bei manchen könne das durchaus auch der Sonntagvormittag sein, bei anderen der Abend etc.

Vom Arzt zum Medizinmanager

Voraussetzung dafür ist laut Heitmann aber eine „Wertschätzung der Mitarbeiter“, eine regelmäßige und offene Kommunikation sowie die Einbeziehung der verantwortlichen Führungskräfte in die aktive Steuerung. Letzteres erfordere eine Änderung im Führungsverhalten der Chefärzte, wofür diesen wiederum entsprechende Fortbildungen und Fördermaßnahmen angeboten werden müssten. Zukünftig wird es jedenfalls, davon ist Heitmann überzeugt, neue ärztliche Karrieremodelle geben müssen. Angesichts eines bereits stattfindenden Wandels von der Bio- zur Multigrafie – also mehr Spezialisierungen, mehr Schnittstellen, mehr Jobwechsel etc. –, werden leitende Ärzte vermehrt Schnittstellen-Managementaufgaben zu übernehmen haben. Ein anderer, eher technologischer Ansatz zur Verbesserung der Personaleinsatzplanung im Krankenhaus ist die „modellbasierte Personaleinsatzplanung“. Vor rund zehn Jahren haben dann erste Unternehmen damit begonnen, diese Methodik aus dem Industrieumfeld für die Abbildung von klinischen Prozessen zu adaptieren, zu Beginn vor allem von OP-Abläufen.

Anhand von Simulationsmodellen werden dabei Prozesse auf Basis von Echtdaten und -zeiten sowie festgelegten Rahmenbedingungen optimiert bzw. räumliche und personelle Kapazitäten geplant, erläutert Dipl.-Kfm. Dennis Braun, Teamleiter bei der Managementberatung UNITY: „Kern des Simulationsmodells sind die erarbeiteten Soll-Prozesse. Klinik-individuell werden zusätzlich das Layout, die Raum-, Personal- und Materialressourcen sowie Störungen abgebildet und die Prozesse von allen relevanten Fachbereichen als digitale Behandlungsschritte im Computer modelliert.“ Verschiedene Prozessvarianten oder Fallzahlszenarien können so virtuell erprobt werden.

Mit der Methode lassen sich nicht nur Infrastrukturmaßnahmen exakter planen, sondern auch Organisationskonzepte und Personaleinsatzszenarien präziser bewerten. Gerade angesichts des neuen Ärztearbeitszeitgesetzes seien Kliniken geradezu gezwungen, Abläufe neu zu organisieren, Prozess- sowie Rollendefinitionen zu analysieren und neu anzupassen, erwartet Braun zukünftig noch viele neue Aufträge. So könnten durch Modellierungen etwa Auswirkungen von Tätigkeitsverschiebungen in Richtung eines ausbildungsgerechten Personaleinsatzes realistisch abgebildet werden.
„Bei der modellbasierten Personaleinsatzplanung legen wir den Fokus auf die Abbildung der Tätigkeitsverteilung der einzelnen Berufsgruppen“, erläutert Braun. Simulationsmodelle würden so eine „gute Arbeitsgrundlage schaffen, um solche Prozessveränderungen und Tätigkeitsverschiebungen sehr offen zu diskutieren und die Auswirkungen auf den Einsatz der Berufsgruppen und die notwendigen Dienstmodelle sehr transparent aufzuzeigen.“ Durch die intensive Einbeziehung der Mitarbeiter in den Entwicklungsprozess und die klaren, transparenten Aussagen, die aus dem Simulationsmodell abgeleitet werden, ist das Commitment der Mitarbeiter üblicherweise sehr hoch.

In bereits abgeschlossenen Projekten hätte sich laut Braun jedenfalls gezeigt, dass sich mit solchen Modellen „Einsparpotenziale der klinikbezogenen Personalkosten von weit mehr als zehn Prozent erzielen lassen, im Ambulanzbetrieb eher noch mehr, im Stationsbetrieb etwas weniger“.  vw