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Neue Medien, neue Kinder!?

Fernsehen, Computer, Videospiele, Smartphones – die junge Generation lebt in einem „Flimmerzeitalter“, das nicht ohne Auswirkungen auf die Psyche an ihnen vorüberzieht. Dr. Winfrid Janisch, Vorsitzender des NÖ Landesverbandes für Psychotherapie (NÖLP), erklärt, wie Ärzte und Eltern „richtig“ reagieren und in die Welt der Kinder einsteigen können.


Wird das Thema „Neue Medien und Suchtverhalten“ bei Kindern und Jugendlichen hochgespielt oder ist die Entwicklung tatsächlich als dramatisch einzustufen?
Ich bin überzeugt, dass das Mediennutzungsverhalten tatsächlich massive Auswirkungen hat. Dabei spreche ich noch gar nicht von Sucht, sondern von einer veränderten Art der Aufmerksamkeit. Sie hat sich durch das Überangebot an neuen Medien insofern verändert, als die Sequenzen immer rascher, dramatischer und mit weniger Tiefgang verlaufen. Vergleichen Sie beispielsweise Spielfilme von vor 50 Jahren mit heutigen: Die enorm beschleunigte Schnittechnik bewirkt, dass die Bilder immer rascher wechseln, wordurch Emotionen und Stimmungen nicht mehr in einem dramatischen Bogen aufgebaut werden, sondern nur mehr über starke Effekte. Das heißt übersetzt für die Gefühlswelt der Kinder, dass sie auf Maximalreize getrimmt werden.
Stille und das Zu-sich-Finden gibt es in ihrer Welt praktisch nicht mehr. Andererseits heißt es auch, dass die Kinder und Jugendlichen in der Lage sind, viel mehr Information aufzunehmen, jedoch nur mehr oberflächlich und ohne Zusammenhänge zu erkennen. Das ist vergleichbar mit dem Surfen im Internet: Man sucht etwas Bestimmtes und verliert sich in der Vielzahl von Themen, erhält eine Vielfalt an Eindrücken, aber ohne roten Faden und das gleicht dann einer ziellosen Suche.

Was hat das für Auswirkungen auf die schulischen Leistungen bzw. später auf das Verhalten in der Arbeitswelt?

Die junge Generation wird für eine sehr hohe Arbeitsbelastung tauglich sein, sich aber gleichzeitig wenig über die Zusammenhänge Gedanken machen, in denen ihr Tun passiert. Sie werden leicht als Erfüllungsorgane einzusetzen sein und weniger kritisch werden, weil die Vielfalt an Input es kaum mehr möglich macht, sich mit allem in der Tiefe auseinanderzusetzen.
Ein ähnliches Phänomen zeigt sich auch durch die Nutzung von Navis im Auto. Wer nicht vor der Reise mit einem Blick auf die Landkarte seine eigene Position bestimmt und sich dann den Weg zum Ziel einprägt, also nicht mehr selbst an den Weg denken muss, der hat auch keine Bilder oder buchstäblich „Landkarten“ im Kopf. Damit verlieren sich Zusammenhänge, man wird zum – mehr oder weniger – unkritischen Befehlsempfänger.

Sie halten gerade Smartphones für besonders „gefährlich“, warum?
Weil die kleinen mobilen Begleiter in jeder Lebenssituation dabei sind und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wenn Sie ein Gespräch unter Jugendlichen beispielsweise im Kaffeehaus beobachten, so werden Sie merken, dass ständig eine(r) durch ankommende SMS oder Telefonate abgelenkt wird und vorübergehend aus dem Gespräch aussteigt. Jede Konversation wird so zerhackt, schlüssige Gedankenverläufe immer wieder unterbrochen. Der Tiefgang fehlt.
Dazu kommen die Apps, die dem Benutzer in jeder Lebenslage die Entscheidung abnehmen können. User müssen nicht mehr überlegen, wie sie in einer bestimmten Situation handeln oder selbst zu einer Problemlösung kommen oder für welches Wehwehchen ein Kraut gewachsen ist – es gibt praktisch schon für jede Lebensanforderung eine App, die die Lösung hat!
Wer nicht mehr sein eigenes Potenzial für eine Lösung zur Verfügung stellt, wird auch leicht manipulierbar. Ich halte es daher generell für alle Menschen, nicht nur für Kinder und Jugendliche, für förderlich, eine gewisse Zeiten offline zu sein, um sich selbst Gedanken zu Themen zu machen, Gefühle zu spüren und zu hinterfragen und mit den eigenen Bedürfnissen in Kontakt zu kommen. Solange von außen ständig neue Signale kommen, funktioniert das aber nicht!

Welche Altersgruppe ist in der Entwicklung besonders gefährdet durch die veränderte Mediennutzung?
Generell gilt: Die Altersgrenze wandert immer weiter nach unten, das Onlinelevel fängt heute sicher schon im Volksschulalter an.
Das Gefährdungspotenzial ist generell umso höher, je weniger Eindrücke und Informationen aus der virtuellen Welt anhand eigener Erfahrungen in der realen Welt verifiziert/falsifiziert werden können. Also könnte man sagen, je jünger, desto kürzer sollten die Online-Zeiten sein.

Welche Rolle haben die Eltern dabei?
Sie sind gefordert, selbstkritisch zu überlegen, wie oft sie ihren Nachwuchs dem digitalen Babysitter überlassen. Natürlich sind Kinder weniger lästig und anstrengend, wenn sie vor einem Fernseher, einer Spielkonsole oder einem Computer sitzen, weil sie damit gut ein paar Stunden beschäftigt sind. Auf diese Weise wird aber auch der Kontakt zu den Eltern immer dünner. Der ist aber für die kindliche Entwicklung enorm wichtig, denn von Eltern, Lehrern, Sporttrainern oder anderen Vorbildern lernen Kinder doch erst einmal die Grundlagen, wie es gilt, sich in bestimmten Situationen in der Welt zu behaupten. Sie lernen, was wie zu bewerten ist, worauf man sich einlassen kann, was gefährlich ist ... Das lernen sie nicht von Maschinen, sondern nur von anderen Menschen, die bereits ihre Erfahrungen im Leben gemacht haben.

Wie sehr soll oder kann man Kinder und Jugendliche von der digitalen Welt fernhalten?

Man kann und soll sie auch nicht völlig davon fernhalten, denn dann passiert das, was wir alle aus dem Märchen „Dornröschen“ kennen. Das Kind hat nie Kontakt zur „Spindel“, wird neugierig und macht seine eigenen Erfahrungen, für die es aber von den Eltern keine Richtlinien erhalten hat. Fazit: Die Vorsichtsmaßnahmen, alle Spindeln aus dem Leben des Kindes zu verbannen, haben Dornröschen letztlich noch unfähiger gemacht, mit Spindeln umzugehen und letztlich mit entscheidenden Dingen im Leben allein klarzukommen.

Wie sollen sich Eltern nun verhalten?
Sie müssen den Umgang mit den neuen Medien ein Stück weit definieren, dann aber auch schrittweise den Kindern überlassen selbst zu entscheiden, wie sie die Nutzung gestalten wollen und wie sie sich ihren virtuellen Konsum portionieren. Das gilt für die gesamte „Flimmerzeit“ – also TV, Computer, Handy und alles, was einen Bildschirm hat. Dazu ist es aber auch notwendig Alternativen zu bieten. Eltern sollen auch gut informiert sein, welche Medien das Kind konsumiert, welche Filme, welche Spiele oder welche Webseiten. Dann können sie in die Welt der Kinder eintauchen und mit ihnen Gespräche anknüpfen.
Ganz wichtig ist es auch, Beziehungen zwischen der virtuellen und der realen Welt herzustellen. Konkret heißt das etwa, dass mit den Kindern darüber gesprochen werden soll, welche Funktionen von Figuren aus Videospielen auf die reale Welt übertragbar wären. Sprechen Sie mit den Kindern über ihre Erfahrungen, Wünsche und Gefühle, die mit dieser virtuellen Welt verbunden sind.

Wie kommen Kinder und Jugendliche zu einer Therapie, da wären doch die Eltern die passendere Zielgruppe?
Das stimmt. Ohne Eltern geht es auch nicht. Die Kinder kommen entweder aufgrund von Auffälligkeiten in der Schule, aber oft kommen auch die Eltern, weil sie sich im Umgang mit bestimmten Situationen nicht sicher sind und gönnen sich ein Eltern-Coaching.

Welche Rolle spielen behandelnde Ärzte dabei?
Dort kommen die Kinder ja oft mit bestimmten körperlichen Symptomen hin. Wichtig ist aber, dann nicht nur den Körper zu sehen, sondern die Einheit zwischen Körper und Seele. Das bedeutet, dass der Allgemeinmediziner sehr gefordert ist, neben körperlichen Symptomen auch die Aspekte des Erlebens und die Emotionen abzufragen – wie Lebensumstände, Sorgen, Ängste, Zufriedenheit. Natürlich ist das ein hoher Anspruch, denn dazu benötigt der Arzt Zeit und auch eine entsprechende Honorierung dieser Leistung.
Wann sollte der behandelnde Arzt bei körperlichen Symptomen hellhörig werden, die auf einen möglichen Medienmissbrauch hindeuten?
Wenn häufiges Augen- oder Kopfweh auftritt, Haltungsschäden auffällig sind, aber auch die Konzentration schwierig ist oder besonders aggressives Verhalten auffällt. Dann gilt es, zumindest nach dem Tagesverlauf zu fragen, welche Stress- und Entspannungsphasen es gibt und wie die Kinder und Jugendlichen ihre Freizeit leben. Wird dann festgestellt, dass zu viel Bildschirmzeit eine Ursache ist, dann ist neben der ärztlichen Diagnose das Gespräch mit den Eltern zu suchen und eine Überweisung an einen Therapeuten anzudenken.

Worauf ist dabei zu achten?
Wenn die Therapie als „letzter Ausweg“ definiert wird, ist das kein guter Start. Mediziner sollen Experten der Psychologie und Psychotherapie einbeziehen und sich mit ihnen vernetzen und austauschen, das kann zu wichtigen Synergien führen.

Wenn Sie sich für die weitere Behandlung von Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang mit der Mediennutzung etwas wünschen dürften, was wäre das?
Ich würde jedem Menschen in seinem Leben ausreichend Offline-Zeit wünschen! Früher hat man das als „Mußestunde“ bezeichnet... Das brauchen wir alle heute mehr denn je. Für all jene, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben – in der Arbeit oder im Zusammenleben – wünsche ich mir, dass sie das Interesse für die Lebens- und Erlebniswelt der jungen Menschen aufbringen, für ihre Gefühle, ihre Einsichten und die „neue Welt“, in der sie erwachsen werden. Lassen Sie sich ein auf diese Welt, Sie können selbst viel davon lernen!

rh

Kontakt: Dr. Winfrid Janisch
MIP – Mödlinger Institut für Psychotherapie
Babenbergergasse 7/3/2, 2340 Mödling
Tel.: 0664 / 201 27 16
janisch(at)vereinbasis.com
www.mip.co.at
www.psychotherapie.at/noelp

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