Nächtlicher Harndrang mindert Arbeitsleistung
Die chronische Erkrankung Nykturie geht mit Schlafstörungen, einem Produktivitätsverlust, der gleich hoch wie bei anderen häufigen chronischen Erkrankungen wie Asthma und COPD ist, sowie mit einer generell starken Beeinträchtigung der Lebensqualität einher. Das Ausmaß dieser Belastung zeigen neue Daten, die kürzlich anlässlich der Tagung der Europäischen Urologengesellschaft (EAU) in Mailand präsentiert wurden.
Bereits ab dem 40. Lebensjahr nimmt die Häufigkeit, nachts wegen Harndrangs aufzuwachen, kontinuierlich zu. Sind bei den 60- bis 69-Jährigen etwa 30 % betroffen, macht bei mehr als 40 % der über 70-Jährigen der Harndrang die Nacht zur Qual. Aus neuen Daten, die bei der diesjährigen Tagung der Europäischen Urologischen Gesellschaft (EAU) vorgestellt wurden, geht hervor, dass Nykturie, also das zwei- oder mehrmalige nächtliche Aufwachen zum Wasserlassen, genau wie andere häufig auftretende chronische Erkrankungen wie Asthma oder COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung) mit beträchtlichen Verringerungen der Arbeitsleistung und Freizeitaktivität assoziiert wird[1]. Für Nykturie wurde festgestellt, dass es die Produktivität der arbeitenden Bevölkerung um fast 25 % senkt[1,3]. Dies ist ein höherer Wert als der, der für eine überaktive Blase angegeben wurde (10 – 12 %)[4]. Er ist vergleichbar mit den Werten für andere nicht-urologische chronische Erkrankungen wie schweres Asthma (21 %)[5], COPD (19 %)[6] und Verstopfung (34 %)[7]. Darüber hinaus hatte sich bei Nykturie die Fähigkeit der Patienten Tagesaktivitäten nachzugehen um 34 % verringert[1].
Schlafstörungen inbegriffen
Weitere Studienergebnisse belegen, dass die Erkrankten den gestörten Schlaf als das am meisten belastende Symptom empfinden können. In Österreich wachen über 500.000 Frauen und knapp 300.000 Männer öfter als zweimal pro Nacht wegen einer vollen Blase auf. Rund ein Drittel der Personen mit Nykturie können nach dem Gang zur Toilette nicht wieder einschlafen, was zu Insomnie führt[2]. Der unterbrochene Schlaf ist eine schwerwiegende Auswirkung der Nykturie, die die Tagesleistungen negativ beeinflussen kann. Die Daten stammten aus zwei dreimonatigen, randomisierten, kontrollierten klinischen Studien (n=646).
Philip Van Kerrebroeck, MD, PhD, Universität Maastricht, kommentierte die Studienergebnisse: „Nykturie ist ein häufig auftretendes Problem, das rund ein Drittel aller Erwachsenen betrifft. Die Belastung aufgrund dieser Störung wird jedoch unterschätzt und oft im Vergleich zu anderen chronischen Erkrankungen als weniger schwerwiegend hinsichtlich der Auswirkungen auf die Lebensqualität und die Kosten für die Gesellschaft abgetan. Diese Daten belegen, dass Nykturie sowohl den Schlaf als auch die Tagesleistungen negativ beeinflusst und dass die Auswirkungen auf die Arbeitsproduktivität mit denen anderer chronischer Erkrankungen vergleichbar sind. Patienten mit Nykturie sollten sich um eine spezielle Behandlung für diese belastende Erkrankung bemühen.“
Lebensqualität beeinträchtigt
Der zweite auf der EAU-Tagung präsentierte Datensatz war eine Analyse der subjektiven, von Patienten berichteten Daten zu der Frage, welche der Nykturie-Symptome sie als am unangenehmsten empfinden. Die vielfältigen Beeinträchtigungen der Lebensqualität, die mit Nykturie assoziiert werden, wurden bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgestellt, aber bis jetzt waren die Patienten in keiner der Studien gefragt worden, aus welchen Gründen sie Nykturie als so belastend empfinden. In zwei randomisierten, kontrollierten Studien wurden Männer und Frauen (n=786, 273 Frauen, 513 Männer) gefragt, was sie am meisten daran störe, nachts aufstehen und Wasser lassen zu müssen. Die Antworten wurden wortgetreu aufgezeichnet[2]. Schlafstörungen war das am meisten belastende Symptom in Verbindung mit Nykturie (57 % der Männer und 42 % der Frauen). Die Unfähigkeit, wieder einzuschlafen, wurde von 32 % der Männer und 28 % der Frauen an zweiter Stelle der unangenehmen Symptome genannt. Das Symptom, am nächsten Morgen müde zu sein, erhielt den dritten Platz auf der Bewertungsskala (17 % der Männer und 15 % der Frauen). Die Anzeichen und Symptome, die von den Patienten selbst angegeben wurden, unterschieden sich nicht wesentlich in Bezug auf das Geschlecht der Befragten.
Gefahr für Oberschenkelhalsbruch
Allerdings war das Alter wichtig, da eine kleine Untergruppe der älteren Patienten ausdrücklich die Angst vor Stürzen, insbesondere aufgrund von Schwindelgefühl und Gehen durch ein dunkles Haus, um zur Toilette zu gelangen, als unangenehm angab. Eine berechtigte Sorge, denn das Sturz- und Frakturrisiko und somit die Gefahr eines Oberschenkelhalsbruchs bei älteren Menschen steigt auf das Doppelte an. Diese Knochenbrüche sind häufig der Beginn einer Pflegebedürftigkeit und bedeuten damit Abhängigkeit und Verlust der Selbstständigkeit. „Ich habe angefangen, mein Schlafmuster als eine Reihe kleiner Nickerchen zu betrachten“, erklärte ein Patient in der Studie. „Ich kann dann nie wieder einschlafen. Ich sehe die ganze Nacht fern und fühle mich am nächsten Tag ganz elend“, sagte ein anderer.
Zwei oder mehr nächtliche Toilettenbesuche oder wenn ein Drittel der gesamten täglichen Harnmenge nachts ausgeschieden wird, sind keine natürliche Folge des Älterwerdens, sondern gelten als krankhaft, sollten somit abgeklärt und behandelt werden. Nicht selten ist das gehäufte nächtliche Wasserlassen eine Begleiterscheinung einer Erkrankung wie Diabetes mellitus, Herz- oder Nierenschwäche oder einer überaktiven Blase. Auch entwässernde Medikamente und übermäßiges Trinken vor dem Schlafengehen können Ursache sein. Bei geschätzten 60.000 Menschen in Österreich ist ein Mangel an einem bestimmten Botenstoff, der zur Folge hat, dass die Niere auch nachts munter weiterproduziert, für die gehäufte harndrangbedingte Bettflucht verantwortlich. Liegt diese Ursache vor, ist die Gabe des synthetischen Hormons Desmopressin, die es als schnell lösliche Schmelztablette gibt, das Mittel der Wahl. Am Abend eingenommen, bewirkt es eine Konzentrierung des Urins und eine Reduktion der nächtlichen Harnausscheidung um rund
30 %. Damit kann die Nykturie auf weniger als zwei nächtliche Toilettengänge reduziert und die Dauer der ersten Schlafphase um durchschnittlich zwei Stunden erhöht werden. Ein Drittel der Patienten konnte durch die Behandlung sogar wieder mehr als fünf Stunden durchschlafen – das Sturzrisiko wird verringert, die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität steigt. rh
Über Nykturie
Nykturie ist eine belastende und weit verbreitete Erkrankung, die von der Internationalen Gesellschaft für Kontinenz folgendermaßen definiert wird: Bezeichnung für eine Erkrankung, bei der der Schlaf nachts zwei- oder mehrmals unterbrochen wird, weil die Person aufwachen muss, um auf die Toilette zu gehen. Vor und nach dem Wasserlassen schläft die Person[8]. Von allen Symptomen der unteren Harnwege (LUTS) wird Nykturie von Männern als auch Frauen durchgängig als eines der unangenehmsten genannt, das den Schlaf und die Lebensqualität insgesamt wesentlich beeinträchtigt[9]. Häufig wird Nykturie verharmlost und als unvermeidlicher Teil des Alterns angesehen. Es handelt sich jedoch um eine schwerwiegende Erkrankung mit weitreichenden sozialen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen für Patienten, deren Familien und die Gesellschaft[10].
Literatur
- Andersson F et al. Nocturia has a strong impact on productivity - a comparison with different chronic diseases. EAU 2013: presented at poster session ‚Nocturia, OAB, metabolic syndrome – towards a new management‘, abstract number #406.
- Holm-Larsen T et al. „My sleep pattern is a series of naps.“ Subjective patient-reported data on what is most bothersome about nocturia. EAU 2013: presented at poster session ‚Nocturia, OAB, metabolic syndrome – towards a new management‘, abstract number #405.
- Reilly MC et al. The validity and reproducibility of a work productivity and activity impairment instrument. Pharmacoeconomics 1993;4:353-365. doi: 10.2165/00019053-199304050-00006.
- Coyne KS et al. The prevalence of lower urinary tract symptoms (LUTS) and overactive bladder (OAB) by racial/ethnic group and age: Results from OAB-POLL. Neurourol Urodyn 2012 Jul 27. doi: 10.1002/nau.22295.
- Chen E et al. Chronic traffic-related air pollution and stress interact to predict biologic and clinical outcomes in asthma. Environ Health Perspect 2008;116:970-975.
- Di Bonaventura M et al. The burden of chronic obstructive pulmonary disease among employed adults. Int J Chron Obstruct Pulmon Dis 2012;7:211-219.
- Sun SX et al. Impact of chronic constipation on health-related quality of life, work productivity, and healthcare resource use: an analysis of the National Health and Wellness Survey. Dig Dis Sci 2011;56:2688-2695.
- van Kerrebroeck P et al. The standardization of terminology in nocturia: report from the Standardisation Sub-committee of the International Continence Society. Neurol UroL Urodyn 2002;21:179-83.
- van Dijk MM et al: The role of nocturia in the quality of life of men with lower urinary tract symptoms. BJU Int 2010;105:1141.
- Asplund R. Nocturia: consequences for sleep and daytime activities and associated risks. European Urology Supplements 2005;3:24-32.