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Multimedikation: alles mit Maß und Ziel

Ein pharmazeutisch/medizinischer Medikationscheck im niedergelassenen Bereich wurde mit dem Austrian Patient Safety Award 2015 ausgezeichnet.


Vor wenigen Tagen hat die Österreichische Plattform Patientensicherheit zum zweiten Mal nach 2013 die Austrian Patient Safety Awards 2015 vergeben. Neben fünf Awards in den klinischen Kategorien „Simulationen“, „Hygiene“ und „CIRS“ wurde in diesem Jahr erstmals auch ein „Anerkennungspreis“ für ein beispielhaftes Projekt zur Verbesserung der Patientensicherheit im niedergelassenen Bereich vergeben.
Der Anerkennungspreis ging an das Kooperationsprojekt „Pharmazeutisch/medizinischer Medikationscheck bei der ProblempatientIn mit Polymedikation in der Ordination“, das die Kardiologin Dr. Martina Wölfl und die Pharmazeutin Mag. Martina Anditsch seit 2012 Patienten des Internistischen Zentrums Brigittenau anbieten.
Im Rahmen des Medikationschecks überprüfen Internistin und Pharmazeutin gemeinsam die Medikation multimorbider Patienten. Besonderen Wert legen die beiden Projektverantwortlichen dabei auf die Betonung des Wortes „gemeinsam“, erzählte Anditsch bei der Projektpräsentation im Rahmen der Tagung „E-Health – Chancen und Risiken für PatientInnen- und MitarbeiterInnensicherheit“ der Plattform Patientensicherheit. „Es funktioniert nur durch ein Miteinander von Arzt und Apotheker, und zwar gemeinsam an einem Ort. Davon bin ich überzeugt, auch wenn mich das mancherorts bei meinen Kollegen zum schwarzen Schaf macht.“ Sie halte nicht sehr viel davon, die Medikation des verschreibenden Arztes nachträglich in der öffentlichen Apotheke zu checken, das sei „einfach der falsche Ort. Außerdem kommt gerade das Miteinander Ärztin und Apothekerin bei den Patienten sehr gut an. Das gibt den Patienten eine enorme Sicherheit und verbessert auch nachweislich die Adhärenz.“
Im klinischen Bereich würde die Abstimmung zwischen Arzt und Pharmazeut in vielen Häusern bereits gut funktionieren, berichtet Anditsch, die selbst aus der Krankenhaus-Pharmazie kommt. Allerdings sei der Zeitpunkt, zu dem multimorbide Patienten in das Krankenhaus kommen, oft schon sehr spät. Sinnvoller wäre es, damit möglichst früh anzusetzen, wenn sich die Patienten in niedergelassener medizinischer Betreuung befinden.

Alarmierende Daten

Dass Handlungsbedarf besteht, lässt sich aus folgenden für Österreich erhobenen Daten ablesen: Die Prävalenz von klinisch relevanten Arzneimittelnebenwirkungen liegt bei 12,8 Prozent. Zwischen fünf und zehn Prozent aller Spitalsaufnahmen sind auf Arzneimittelnebenwirkungen zurückzuführen. „16,5 Prozent davon wären im Falle einer Multimedikation durch die bessere Abstimmung und Optimierung des Medikamentencocktails vermeidbar“, zitiert Anditsch aus aktuellen Studienergebnissen. Die beiden Projektinitiatorinnen stellten sich angesichts dieser Problemstellung folgende Frage: Können wir es präventiv, auf Basis einer multidisziplinären Zusammenarbeit schaffen, die Medikation zu optimieren und auch zu reduzieren, um das erzielte Ergebnis dann auch mit Nachhaltigkeit zu halten?

Optimierter Medikamentencocktail

Um diese Frage beantworten zu können, boten die beiden den Patienten des Internistischen Zentrums Brigittenau auf freiwilliger Basis an, deren Medikamentencocktail im Rahmen eines etwa 30-minütigen Beratungsgesprächs zu analysieren, zu besprechen und wenn möglich, entsprechende Optimierungen vorzunehmen. Die Patienten bekommen anschließend einen neuen „Speisezettel“ mit nach Hause, wo genau beschrieben wird, wie sie die Medikamente einnehmen müssen. Nach vier bis sechs Wochen kommen die Patienten nochmals zu einem Kontrolltermin. Dabei wird der Therapieerfolg überprüft und die Medikation im Bedarfsfall nochmals angepasst. Beratung und Kontrolltermin werden bei jedem Patienten detailliert elektronisch dokumentiert, um alle dabei gesetzten Maßnahmen jederzeit nachvollziehen zu können.

Vielversprechende Ergebnisse

Die Auswertung der Dokumentation des vergangenen Jahres zeigte eine durchschnittliche Reduktion von 2,7 Medikamenten pro Patient – und zwar langfristig, ohne dass sich dadurch der Zustand der Patienten verschlechtert hätte, bestätigt Anditsch. „Im Gegenteil, in den meisten Fällen hat die Reduktion zu einer Verbesserung der Lebensqualität geführt.“ Bei 73 Prozent der Patienten wurde sogar um mindestens drei Medikamente reduziert, in Einzelfällen bis zu sechs. „Optimieren ist aber natürlich mehr als nur wegnehmen“, erläutert Anditsch. Manchmal wurden auch neue Medikationen eingesetzt, um eine bessere Abstimmung mit den verbliebenen Arzneimitteln zu erreichen.  
Im Moment muss der Patient für dieses Angebot einen Selbstkostenbeitrag von 30 Euro leisten. Man sei aber bereits in Gesprächen mit der Sozialversicherung, um den Service zu institutionalisieren und auch die Kosten dafür zu übernehmen. Schließlich würden die Krankenkassen einen entsprechenden finanziellen Benefit aus der Reduktion ziehen, argumentiert Anditsch. „In Kanada oder auch in den USA gibt es vergleichbare Angebote im niedergelassenen Bereich schon lange. Und überall dort konnte auch klar nachgewiesen werden, dass sich das Investment für die Kassen mehr als nur rechnet.“  vw