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Miteinander statt gegeneinander

Prim. Dr. Kurt Resetarits kämpft seit Jahren um eine besser vernetzte Interprofessionalität im Krankenhaus, weil er sie für den Schlüssel zum Erfolg jeder medizinischen Versorgung hält. Dazu müssten aber auch hierarchische Strukturen aufgelöst werden.


Prim. Dr. Kurt Resetarits, Ärztlicher Direktor der Krankenhäuser Oberwart, Güssing und Oberpullendorf. Foto: KRAGES

„Ich bin seit über 20 Jahren ein absoluter Fan der Interprofessionalität, kämpfe seither vehement dafür und habe auch nicht vor, damit aufzuhören“, sagte Primarius Dr. Kurt Resetarits, Ärztlicher Direktor der KRAGES-Krankenhäuser Oberwart, Güssing und Oberpullendorf, im Rahmen eines Symposiums zum Thema „Vernetzte Interprofessionalität im Krankenhaus“ am 58. Österreichischen Kongress für Krankenhausmanagement in Eisenstadt.

Dieser Kampf sei nach wie vor notwendig, betonte Resetarits mit kritischem Seitenblick auf seine Kollegenschaft. Denn obwohl alle klinischen Bereiche formell längst gleichgestellt sind, müsse man das den Ärzten immer wieder in Erinnerung rufen, „Kollegen, die das nicht glauben wollen“.

Erst wenige Tage vor der Veranstaltung hatte der Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Obmann der Bundeskurie Angestellte Ärzte, Dr. Harald Mayer, einmal mehr die Sinnhaftigkeit genau dieser Kollegialen Führung von Krankenhäusern öffentlich in Frage gestellt und gemeint: „Mein Ideal wäre, dass der Arzt das gesamte Team führt und die Letztverantwortung für sämtliche Prozesse trägt.“ Mayer beruft sich dabei auf internationale Studien, welche „die Effizienz ärztlicher Führung schon lange nachgewiesen“ hätten. So würden Spitäler mit einer hohen Anzahl an ärztlichen Führungskräften um 50 Prozent besser abschneiden als Krankenhäuser, die kollegial geführt werden, erklärte Mayer auf der Tagung der europäischen Spitalsärzteschaft in Wien. Stünden Österreichs Kliniken also unter rein ärztlicher Führung, ist Mayer überzeugt, dann würden diese nicht nur „generell eine bessere Performance abliefern“, sondern es könnten damit auch „die Qualität der stationären Versorgung und die Patientenzufriedenheit steigen“.

Teamworker statt Einzelkämpfer

Resetarits Führungsmodell steht jenem Mayers offenbar diametral entgegen: „Gesundheitsprofessionen, die in interprofessionellen Teams gleichberechtigt komplementäre und ineinandergreifende Leistungen erbringen, gelten international als Schlüssel zum Erfolg einer patienten- und ergebnisorientierten Gesundheitsversorgung“, formulierte er, um sofort einzuschränken: „Leider behindern noch immer politische Forderungen nach Subordination unter die Medizin, hierarchische Muster der Zusammenarbeit und fehlende Initiativen für eine interprofessionelle Ausbildung die Erreichung dieses Zieles.“
Dennoch, im klinischen Alltag sind heute Teamworker gefragt, keine Einzelkämpfer. Die moderne Gesundheitsversorgung sei viel zu komplex und kompliziert, als dass sie von Einzelnen erbracht werden könnte, führte Resetarits aus und nannte als Beispiel etwa die Zunahme der chronischen Erkrankungen. Die aktuelle Situation verlange geradezu nach einem multiprofessionellen Vorgehen, getragen von Medizinern, Pflegenden, Therapeuten und anderen Gesundheitsberufen. Für „autokratisches, herabmachendes, erniedrigendes Verhalten“ sei im modernen Krankenhausbetrieb kein Platz. An seine Stelle müsse vielmehr teambasiertes Lernen und Handeln treten. „Es muss im Krankenhaus mehr Miteinander geben als ein Gegeneinander“, so die einfache und klare Philosophie Resetarits, und das über alle Ebenen, Disziplinen und Professionen hinweg. „Ich kann es nicht mehr hören, wenn jemand sagt: ‚Das ist MEIN Patient‘. Die Patienten gehören niemanden, wir haben den Auftrag, gemeinsam bestmöglich für sie zu sorgen.“

Patientensicherheit

Ein anderes schlagendes Argument für die Bedeutung einer funktionierenden vernetzten Interprofessionalität ist laut dem „begeisterten Risk Manager“ (Selbstdefinition Resetarits) die Patientensicherheit. Dort, wo Ärzte, Pflege und andere Gesundheitsberufe gut miteinander kommunizieren, wo sie gemeinsam und abgestimmt agieren – und dieses gemeinsame Agieren auch entsprechend trainieren –, passieren nachgewiesenermaßen weniger Fehler. Resetarits zitiert dazu Studien, wonach heute 80 Prozent aller Fehler im klinischen Alltag mit den Themen Kommunikation, Einschulung oder Training zu tun haben. „Jedes Orchester übt, jede Feuerwehr übt, interprofessionelle Behandlungsteams müssen das auch“, ist Resetarits überzeugt. „Die Teams entwickeln im interprofessionellen Dialog Routine und standardisierte Vorgangsweisen, die Fehler identifizieren und in der Folge reduzieren.

Um die beschriebene Kulturänderung im klinischen Alltag erfolgreich etablieren zu können, braucht es laut Resetarits allerdings eine ganz wesentliche Voraussetzung: eine grundlegende Verhaltensänderung aller Berufsgruppen. Dabei gehe es unter anderem auch um die Anerkennung der jeweils vorhandenen Expertise aller Teammitglieder und um die Bereitschaft, berufsständische Interessen gegenüber einer „verantwortungsvollen Betreuung der Patienten“ zurückzustellen. Um zu einer solchen Verhaltensänderung zu kommen, sei eine Unterstützung auf drei Ebenen erforderlich:

  • Professionell orientierte Ansätze: ein zeitnahes Feedback, Partizipation, finanzielle und administrative Anreize, Edukation
  • Organisationsbezogene Ansätze: Systeme durchleuchten, Organisationskultur, Führungsverantwortung, Leitlinien und Checklisten
  • Patientenorientierte Ansätze: Patientenschulung, aktive Einbeziehung der Patienten bei konkreten Handlungsschritten, Öffentlichkeit

Teamwork für Strukturwandel

Apropos Organisationskultur: Resetarits stellte in seinem Vortrag drei Organisationsmodelle gegenüber, um sie in Bezug auf ihre Eignung hinsichtlich einer aktiven Fehlerkultur zu untersuchen: Die Sündenbock-Kultur, die bürokratische Kultur und die „just culture“, also eine Kultur, die dem Prinzip des Strafens das Bemühen um die Meldung von Vorfällen im Sinne einer fortschreitenden Verbesserung des Systems gegenüberstellt. Während in einer solchen „just culture“ mehr als die Hälfte aller folgenlosen Fehler im klinischen Alltag identifiziert und damit auch entsprechende Gegenmaßnahmen initiiert werden können, sinkt die Wahrscheinlichkeit in der Sündenbock- bzw. bürokratischen Kultur auf 13 bis 15 Prozent ab. „In einem solchen Krankenhaus möchte ich persönlich nicht arbeiten“, meinte Resetarits.

Die KRAGES-Führung unterstützt aktuell den von Resetarits skizzierten Kulturwandel in ihren Häusern. Selbstdefiniertes Ziel ist es, zu einer interprofessionellen und kooperativen Teamarbeit zwischen allen Berufsgruppen zu kommen und einen reibungslosen Dienstbetrieb sicherzustellen. Dazu wird derzeit unter anderem das traditionelle Rollenbild jeder einzelnen Berufsgruppe überarbeitet, den veränderten Anforderungen angepasst und die Verantwortlichkeiten werden entsprechend den jeweiligen Kernkompetenzen klar definiert.
Als größten Feind jeder Interprofessionalität hat Resetarits die zu steile Hierarchie identifiziert. Die Zahnräder einer guten Zusammenarbeit müssten ineinandergreifen, das funktioniert nur durch strukturiertes Teamwork in einer entsprechenden Sicherheitskultur. Ein konkretes Beispiel, wie das etwa im neuen Leitbild der KRAGES umgesetzt wird, erzählt Resetarits zum Abschluss: „Wir sprechen nicht mehr vom Turnusarzt oder vom Assistenzarzt, sondern diskutieren über das Rollenbild des Arztes. Wenn wir die tradierten, streng hierarchischen Rollenbilder nicht über Bord werfen, wird uns nicht nur die patientenorientierte Zusammenarbeit aller Beteiligten nicht gelingen, sondern uns werden außerdem noch mehr Jungärzte davonlaufen, als sie dies ohnehin schon heute tun.“ Aber das wäre eine andere Geschichte … vw