Mit freiem Willen zur letzten Entscheidung
Als Stärkung der Patientenautonomie gedacht, fristen Patientenverfügungen nach wie vor ein stiefmütterliches Dasein. Das liegt nicht zuletzt an der mangelnden Akzeptanz und Unterstützung der Ärzte. Dr. Paul Groß kennt die Gründe dafür.

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Dr. Paul Groß, Palliativmediziner, ehemaliger Vorsitzender und heute Berater der IGSL Hospizbewegung (In Geborgenheit Sterben und Leben). Foto: Fotostudio Bichler
Die Gesundheitskompetenz der Patienten zu stärken, ist eine wesentliche Aufgabe, die sich die Gesundheitspolitik im Rahmen der laufenden Gesundheitsreform gestellt hat. Erst kürzlich wurde dazu eine große internationale Enquete im Bundesministerium für Gesundheit abgehalten, als eine Art „Auftaktveranstaltung“ für ein ganzes Bündel von Initiativen und Projekten, die sich in den kommenden Jahren dem Thema widmen werden. Gesundheitskompetenz ist aber nicht nur Selbstzweck, sondern Grundvoraussetzung dafür, um mittelfristig das große, übergeordnete Ziel zu erreichen: die Patienten in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich und fundiert über ihre eigene Gesundheit – und damit letztendlich auch über ihr eigenes Leben – zu entscheiden. Oder anders ausgedrückt: die Patientenautonomie zu steigern. Damit soll es besser als bisher gelingen, so jedenfalls die Argumentation der Reformer, unser Gesundheitssystem zukunftsfit zu machen, kompatibel mit den veränderten Bedürfnissen der Menschen ebenso wie mit den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Ein wesentlicher Aspekt in der Patientenautonomie ist der aktive und selbstbestimmte Umgang mit dem eigenen Lebensende. Mit dem Patientenverfügungs-Gesetz (PatVG) wurde bereits 2006 festgelegt, wie und unter welchen Voraussetzungen entsprechende Willenskundgebungen eines Patienten „beachtlich“ bzw. „verbindlich“ sind. Der Gesetzgeber wollte damit nicht nur Selbstbestimmtheit und Sicherheit der Patienten erhöhen, sondern auch eine entsprechende Rechtssicherheit für die behandelnden Ärzte schaffen. Wer eine verbindliche Patientenverfügung erstellen will, muss sich zuvor bei einem Arzt über Details aufklären und beraten lassen.
Trotz dieses an sich durchaus begrüßenswerten Ansatzes ist es bislang nicht gelungen, das Thema wesentlich voranzubringen. Aktuell haben gerade einmal 4,1 Prozent der in Österreich lebenden Bevölkerung eine der beiden Formen der Patientenverfügung hinterlegt, geht aus einer Studie des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin an der Universität Wien hervor. Zum Vergleich: In Deutschland sind es über fünfzehn Prozent. Die zentralen Ergebnisse der Studie kurz zusammengefasst: Zwar haben inzwischen mehr als drei Viertel aller Befragten von der Möglichkeit einer Patientenverfügung gehört (2009 waren es laut einer Vorgängeruntersuchung nur etwas mehr als die Hälfte), allerdings hat das gestiegene Wissen alleine noch nicht zu einer spürbaren Zunahme an Patientenverfügungen geführt. 2009 waren es auch schon knapp vier Prozent.
Überzeugungsarbeit bei Ärzten leisten
Die Zurückhaltung der Menschen liegt also offenbar nicht am mangelnden Wissen. Woran aber dann? Besteht kein höherer Bedarf danach, liegt es an den nicht zu vernachlässigbaren Kosten, dem bürokratischen Aufwand, insbesondere bei der verbindlichen Patientenverfügung (Details dazu siehe Infokasten) oder hat es etwas mit der Furcht zu tun, sich dem Thema Tod aktiv und frühzeitig zu stellen?
Wahrscheinlich spielen all diese Faktoren eine gewisse Rolle, darüber hinaus meinen viele Experten aber auch, einen mangelnden Willen seitens nicht weniger Haus- und Vertrauensärzte auszumachen, ihre Patienten durch diese emotional schwierige, noch immer tabuisierte Thematik zu begleiten.
Einer dieser Experten ist Dr. Paul Groß, Palliativmediziner, ehemaliger Vorsitzender und jetziger Berater des Vereins „In Geborgenheit Sterben und Leben“ (IGSL). „Die geringe Bereitschaft der Ärzte, verbindliche Patientenverfügungen zu erstellen“, sagt Groß, „liegt einerseits an einer mangelnden Akzeptanz bezüglich der Autonomie der Patienten, andererseits an fehlender Information und Ausbildung der Ärzte“. Dem müsse mit einer verpflichtenden Ausbildung im Medizinstudium und laufenden Fortbildungsmaßnahmen gegengesteuert werden. Denn, „ohne bei der Ärzteschaft weitreichende Informations- und Überzeugungsarbeit zu leisten, wird die Patientenverfügung auch in Zukunft keine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung erlangen“, ist Groß überzeugt. Die Ärztekammer versuche zwar nun punktuell, die Wissensdefizite durch einzelne Weiterbildungsangebote zu verringern, das gelinge trotz der großen Nachfrage bei diesen Veranstaltungen aber nur bedingt.
Unbrauchbares Formular
Ein anderer Kritikpunkt von Groß betrifft die komplizierte, „eigentlich unbrauchbare“ Gestaltung des Konsensuspapiers, des Formulars zur verbindlichen Patientenverfügung. Bei der entscheidenden Fragestellung lässt der Gesetzgeber den Patienten mit einem leeren Feld und Platz für einen freien Text völlig allein, erläutert Groß. Dazu gibt es einen 27 Seiten umfassenden „Beipacktext“. Das sei „typisch österreichisch: Was soll jemand, der sich mit der Medizin bislang nicht auseinander gesetzt hat, da hineinschreiben?“ Der Verein IGSL hat daher ein Alternativformular gestaltet, das Unterstützung anhand ganz konkreter Beispielformulierungen anbietet. Damit ließen sich 95 Prozent aller denkbaren Szenarien abdecken.
Jede Patientenverfügung kann auf Wunsch im Patientenverfügungsregister des österreichischen Notariats sowie im Patientenverfügungsregister der österreichischen Rechtsanwälte registriert werden. In Kooperation mit dem österreichischen Roten Kreuz besteht eine österreichweit verfügbare Einsichtmöglichkeit für Krankenanstalten in das Patientenverfügungsregister des österreichischen Notariats und in das Patientenverfügungsregister der österreichischen Rechtsanwälte. Krankenanstalt und behandelnder Arzt sind aber nicht verpflichtet, diese abzufragen. Ein Fehler, wie Groß findet: „Die Patientenverfügung ist somit eine Bring- statt einer Holschuld. Das heißt, es ist Aufgabe des Patienten, die Verfügung vorzulegen.“ Das zumindest sollte sich durch eine Implementierung der Patientenverfügung in ELGA einen Tages verbessern, wenn ELGA trotz aller Verschiebungen irgendwann doch kommen sollte.vw
Unterschied zwischen beachtlicher und verbindlicher Patientenverfügung
Beachtliche Verfügung
Eine schriftliche und von ihm unterzeichnete Willenserklärung des künftigen Patienten, im Fall einer an sich zum Tod führenden Erkrankung, Verletzung oder Bewusstlosigkeit auf künstliche lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten und alle Möglichkeiten der Schmerzlinderung zu nutzen.
Arzt und andere in ein Behandlungsgeschehen eingebundene Personen müssen auf die Verfügung und den darin geäußerten Willen des Patienten „Bedacht nehmen“, sind aber nicht daran gebunden.
Verbindliche Verfügung
Eine schriftliche Willenserklärung des künftigen Patienten, in der die abgelehnten Maßnahmen ganz konkret beschrieben werden. Sie muss mit Angabe des Datums vor einem Rechtsanwalt, einem Notar oder einem rechtskundigen Mitarbeiter der Patientenvertretung errichtet werden.
Da eine verbindliche Verfügung voraussetzt, dass der Patient die Folgen der Patientenverfügung zutreffend einschätzen kann, muss vor deren Errichtung eine umfassende ärztliche Aufklärung mit medizinischen Informationen über das Wesen und die Folgen der Patientenverfügung stattfinden und auch dokumentiert werden. Sie gilt jeweils für fünf Jahre und muss dann wieder bestätigt werden.
Arzt und andere in ein Behandlungsgeschehen eingebundene Personen sind an die Verfügung gebunden.
Beratungspaket der Rechtsanwälte
Zahlreiche Rechtsanwälte in ganz Österreich bieten eine anwaltliche Rechtsberatung zum Thema Patientenverfügung, den Patientenverfügungs-Check, an. Die Kosten für das anwaltliche Beratungspaket liegen bei EUR 120,- (inkl. USt.), wobei diese bereits einen Musterentwurf einer Patientenverfügung beinhalten.
Dabei werden rechtliche Aspekte einer Patientenverfügung, der Inhalt und ihre Gültigkeit geklärt und ein Muster einer Patientenverfügung wird besprochen.
www.rechtsanwaelte.at