Medizin be-greifen
Ein neues Projekt des ScienceCenter-Netzwerks versorgt Onkologiepatienten mit medizinischem Wissen über ihre Erkrankung, den Körper und die Abläufe im Krankenhaus.
Wir leben in einer Gesellschaft, die sich über Gesundheit und Wohlbefinden definiert. Gesundheit stellt eine Schlüsselressource dar, die Freizeit wie auch Arbeitsleben, Familie und persönliches Wohlbefinden bestimmt. Dennoch sind die Österreicher laut einer internationalen Studie nur unterdurchschnittlich gut informiert und kompetent. Gesundheitskompetenz – im modernen Sprachgebrauch auch als „Health Literacy“ bezeichnet – ist laut Weltgesundheitsorganisation die „Fähigkeit, sich Zugang zu Gesundheitsinformationen zu verschaffen, diese kritisch zu bewerten und auf deren Grundlage Entscheidungen zu treffen, die für die eigene Gesundheit förderlich sind und die helfen, sich im Gesundheitswesen zu orientieren.“
Gut vorinformiert
Mangelndes medizinisches Wissen ist es nicht, was Krebspatienten prägt – im Gegenteil: „In unserer Zielgruppe stoßen wir teilweise auf erstaunlich viel Vorwissen“, erzählt Dr. Barbara Streicher, Geschäftsführerin des Vereins ScienceCenter-Netzwerk.
„Ihre Zielgruppe“, das sind Patienten und Angehörige an der Tagesklinik der Klinischen Abteilung für Onkologie, Universitätsklinik für Innere Medizin I des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien, Station 16J. Unter dem Titel „Medizin be-greifen“ läuft hier ein Pilotprojekt zur Vermittlung von medizinisch relevantem Wissen für Betroffene und ihre Angehörigen. Das Projekt wurde vom ScienceCenter-Netzwerk initiiert und leistet einen engagierten Beitrag zur Verbesserung der Health Literacy. Im Vordergrund stehen allerdings die Förderung des Verständnisses von medizinischen Zusammenhängen und die Unterstützung der Kommunikation von Ärzten und Patienten.
„Es geht dabei um eine spielerische Auseinandersetzung mit medizinischen Themen, die die Wartezeit verkürzen und ein besseres Verständnis der eigenen Krankheit vermitteln soll“, erklärt Streicher. Denn medizinische Inhalte und Zusammenhänge zu verstehen, ist besonders dann wichtig, wenn man selbst als Patient betroffen ist. Die vermittelten Informationen sind allerdings nicht ausschließlich krebsspezifisch, sondern beinhalten auch allgemeines Medizinwissen. Immerhin könnte das Pilotprojekt, das durch Vamed, Österreichische Krebshilfe und Superfund ermöglicht wird, als Modell auch für andere Abteilungen und Wartezonen fungieren.
Spielerisch und interaktiv Neues erfahren
Das Projekt bietet eine offene und interaktive Auseinandersetzung mit medizinischen Fragen, wobei es nicht nur um Krankheit, sondern auch um den gesunden Körper und medizinische Abläufe geht. So gibt etwa „AKH-Backstage“ durch Interviews einen Einblick in den Tagesablauf von medizinischem Personal und erzählt, wie dessen Leidenschaft für die Medizin geweckt wurde. Bei einer anderen Aktivität laden Puzzles, Daumenkino und Co. dazu ein, die Methoden bildgebender Diagnoseverfahren wie MRT, Röntgen, CT oder Ultraschall verstehen zu lernen. Die Zusammensetzung des Blutes ist Thema der „Leukozyten im Glas“ – Details, die auf diese Weise „an- und be-greifbar“ werden. Ein Quiz lädt zur selbstständigen Überprüfung des eigenen Wissens ein. Darüber hinaus können Fachbegriffe mittels Wortsuche, Suchbildern und Zahlenrätseln „erknobelt“ werden.
Pilotprojekt mit Zukunftsplänen
„Das Projekt Medizin be-greifen ist erst in der Testphase“, erzählt Streicher. „Was wir aber feststellen können ist, dass zwar eine gewisse anfängliche Scheu besteht, aber dass jene, die sich auf die Sache einlassen, sehr wissbegierig sind und das Angebot gut annehmen.“
Viele der wartenden Patienten sind aufgrund einer Chemotherapie bzw. ihrer Erkrankung müde und mitgenommen und nehmen die angebotenen Module nur zögerlich zur Hand. Wenn sie sich jedoch einmal damit beschäftigen, zeigen sie großes Interesse und erstaunlich viel Vorwissen. „Die Resonanz ist in diesem Fall natürlich sehr stark abhängig von der persönlichen Verfassung des Patienten, viele sind naturgemäß intensiv mit sich selbst beschäftigt“, räumt Streicher ein. Begleitende Angehörige sind hilfreich, weil dann Ansprechpartner verfügbar sind.
Eine Wissenschaftlerin aus dem Institut für Wissenschaftsforschung der Universität Wien begleitet die Teilnehmer, beobachtet und wertet die Reaktionen aus, um für weitere Projekte Input zu sammeln. „In jedem Fall ist es ein Angebot, um die langen Wartezeiten sinnvoll zu verbringen und könnte in dieser Form in vielen Abteilungen eingesetzt werden“, resümiert Streicher. bw
ScienceCenter-Netzwerk
Wissenschaft auf leicht zugängliche Weise unmittelbar erlebbar und begreifbar machen, das ist das Ziel des ScienceCenter-Netzwerks, einem Zusammenschluss von über 120
Partnern aus den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Forschung, Aus-stellungsdesign, Kunst, Medien und Wirtschaft. Das vielseitige Angebot lädt zum selbstbestimmten Lernen, Experimentieren und Weiterdenken ein – unabhängig von Vorwissen und für alle Altersstufen. www.science-center-net.at