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Leben und Arbeit im Einklang

Arztgehälter und Arbeitszeiten von Spitalsärzten sind derzeit in aller Munde. Der Frage, wie es mit der Arbeitsbelastung und gelungenen Strategien für eine ausgeglichene Work-Life-Balance bei Wahl- und Kassenärzten im niedergelassenen Bereich aussieht, ist ÄrzteEXKLUSIV nachgegangen.


Doz. Dr. Patrick Weninger

Dr. Armin Witt

Dr. Peter Swoboda

Dr. Lukas Kellner. Foto: Ederer / photosandmore.com

Mit der steigenden Anzahl von Frauen im Berufsleben gewann das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine zunehmende Bedeutung und hat zu deutlichen Veränderungen des Berufsalltags geführt. Kinderbetreuungsangebote, flexiblere Arbeitszeitgestaltung oder Männerkarenz sind ebenso Themen geworden, wie die Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit, oder die richtige Balance zwischen Karriere und Lebensqualität sowie zwischen Belastung und Entspannung zu finden. Und das ist gerade in einem Hochrisikoberuf wie dem der Medizin ein zentrales Spannungsfeld, denn nur ausgeruhte, gesunde und belastbare Ärzte können auch qualitativ hochwertige und sichere Behandlung bieten.

Wenn Burnout „out“ ist

Zudem hat die in das Berufsleben eintretende Generation Y frischen Wind in das Thema gebracht. Die in 1980er- oder 1990er-Jahren Geborenen sind die erste Generation, die größtenteils bereits in einem Umfeld von Internet und mobiler Kommunikation aufgewachsen ist. Sie sind gut ausgebildet und durchaus selbstbewusst und wissen, dass sie angesichts der demografischen Entwicklung künftig noch gefragter sein werden. Mit diesem Trumpf in der Hand gelingt es der Generation Y tatsächlich immer besser, ihre Interessen gegenüber den Anforderungen des Arbeitslebens gut abzugrenzen. Auf der Suche nach Sinn und Selbstverwirklichung wird Zeit für Familie und Freunde gefordert.
Das Bedürfnis nach mehr Work-Life-Balance zieht sich nach wie vor durch alle Branchen und Berufsgruppen, ist aber dort besonders deutlich spürbar, wo das Damoklesschwert von Burnout und berufsbedingten Erkrankungen besonders hoch über einem schwebt. Der Großteil der Österreicher – konkret 82 Prozent – nimmt Burnout ernst und nur für elf Prozent handelt es sich um eine Modeerscheinung, wie aus den aktuellen Ergebnissen einer Umfrage des Linzer Meinungsforschungsinstitutes IMAS hervorgeht. Demnach stimmten 48 Prozent der Aussage „Burnout ist sicherlich eine erstzunehmende Krankheit durch Überlastung im Beruf, für die aber auch private Ursachen verantwortlich sind“ zu. Weitere 34 Prozent meinten „Burnout ist eine schwerwiegende Krankheit und wird sicher durch den steigenden Druck und die Geschwindigkeit am Arbeitsplatz in Zukunft häufiger vorkommen“. Nur elf Prozent waren der Ansicht, „Burnout ist eine Modeerscheinung und wird oft von den betroffenen Arbeitnehmern vorgeschoben“.

Kein Patentrezept

Auf die Frage nach Faktoren, die der Prävention dienen, nannten 66 Prozent „ausreichend Schlaf“. Für 63 Prozent ist eine „gute Abgrenzung zum eigenen Job und abschalten können“ entscheidend. Mit 54 Prozent landete ein „intaktes, harmonisches Familienleben“ an der dritten Stelle. Jeweils mehr als 50 Prozent bezeichneten „ein gut zu bewältigendes Arbeitspensum“, die persönliche „Fähigkeit, sich selbst gut entspannen zu können“, die „richtige Einteilung von Zeit und Mitteln“ und „viel Bewegung und Sport“ als besonders wichtige Präventivmaßnahmen zur Vermeidung des Syndroms – alles in allem also Faktoren, die der Einzelne selbst bestimmen und modifizieren kann, sofern er seine Leistungsgrenzen kennt und respektiert.
Für eine gelungene Work-Life-Balance braucht es natürlich passende gesetzliche Rahmenbedingungen wie etwa Arbeitszeitgesetze oder Ruhebestimmungen, viel mehr aber noch eine Kultur- und Denkveränderung in der Arbeitswelt und letztendlich der Gesellschaft. Wenn Stress und Burnout nicht mehr „Modekrankheiten“ und ein Zeichen für „Fleiß und Einsatzbereitschaft“ sind, sondern für Unvernunft und mangelndes Zeitmanagement, wird dieses Umdenken einsetzen. Der beste Schutz vor Burnout ist nicht weniger Arbeit, sondern die Arbeit, die zu einem passt: sinnvolle und gestaltbare Arbeit, die den eigenen Fähigkeiten und Bedürfnissen entspricht.     rh

Nachgefragt bei ...

… Doz. Dr. Patrick Weninger, Unfallchirurg, www.knieundsport.at

Welche Rolle spielen Wahlärzte Ihrer Meinung nach im heimischen Gesundheitssystem?
Eine sehr große. Wahlärzte tragen einen Großteil des Gesundheitssystems und sind für mich auch als Patient nicht mehr wegzudenken. Die Bedeutung des Wahlarztsystems wird uns und unseren Patienten noch stärker in den nächsten Jahren klar werden. Patienten werden für bestimmte Leistungen zahlen müssen, wenn die Kassen nicht mehr dafür zahlen.

Liegen Wahlärzte im Trend, vor allem angesichts der Spitalsmisere?
Eindeutig ja. Vor allem der Faktor „Zeit“ ist ein entscheidender, wenn es um Diagnostik und Therapie geht. Das öffentliche System ist vielerorts so überlastet, dass pro Patient wenig Zeit bleibt oder enorme Wartezeiten entstehen. So gut das österreichische Gesundheitswesen auch war, bestimmte spezialisierte Leistungen werden in Zukunft aufgrund mangelnder finanzieller und zeitlicher Ressourcen im Spital nicht mehr angeboten werden.

Das Verhältnis von Kassenärzten zu Wahlärzten ist nicht frei von gegenseitigen Vorurteilen. Haben Wahlärzte tatsächlich mehr Freizeit und ein höheres Einkommen als Kassenärzte?
Auch hier spielt die Zeit eine entscheidende Rolle. Eine gut gehende Wahlarztpraxis wird irgendwann genauso ausgelastet sein wie eine Kassenpraxis. Der große Vorteil eines Wahlarztes gegenüber einem Kassenarzt ist sicher der, dass ich als Wahlarzt meine Arbeitszeit selbst einteilen und bestimmen kann. Was Öffnungszeiten betrifft, bin ich an keine Reglementierung gebunden. Wer mehr Freizeit hat oder mehr verdient, ist mir nicht bekannt. Hat jemand ein Problem mit seinem Beruf als Kassenarzt, kann er seinen Vertrag ja jederzeit zurückgeben und Wahlarzt werden.

Wonach richten sich Ihr Zeitmanagement und Ihre Ordinationsöffnungszeiten?
Ich bin Unfallchirurg und als Kniespezialist will ich auch für Akutfälle zur Verfügung stehen. Meine Praxis für Knieverletzungen hat an drei Tagen in der Woche offen und für Akutfälle sind Akuttermine vorhanden. Die Einteilung der Operationen richtet sich nach der Dringlichkeit der Fälle.

Ist Work-Life-Balance eine Frage von gekonntem Zeitmanagement oder von Zufriedenheit mit „weniger Wohlstand“?
Ich glaube nicht, dass das eine das andere ausschließt. Es ist relativ einfach: Arbeite ich mehr, verdiene ich mehr; arbeite ich weniger, verdiene ich weniger. Ein faires und transparentes System. Was wichtiger ist, mehr Freizeit oder mehr Verdienst, muss jeder für sich entscheiden.

Wie stellen Sie Ihre persönliche Work-Life-Balance sicher?
Ich arbeite viel und habe wenig Freizeit. Ich brauche aber auch nicht viel davon, da ich auch aus der Arbeit Kraft schöpfe. Wichtig ist für mich nicht die Quantität an Freizeit, sondern die Qualität. Wichtig ist mir auch, für all meine Patienten fit und ausgeruht zu sein. Die Konsequenz ist dann eben, dass ich nur für eine bestimmte Anzahl an Patienten Valenzen habe. Sind diese Valenzen ausgefüllt, gibt es eben Wartezeiten. Das ist mir lieber, als ich brenne aus.

Nachgefragt bei ...

... Dr. Armin Witt, Gynäkologe, www.gesundheitderfrau.at

Welche Rolle spielen Wahlärzte Ihrer Meinung nach im heimischen Gesundheitssystem?
Durch Wahlärzte wird die „Landschaft“ der niedergelassenen Ärzte aufgelockert. Die oft unmöglich zu verkraftenden Wartezeiten bei Kassenärzten können auf diese Weise umgangen werden. Patienten können sich bewusst für diese Möglichkeit entscheiden, wissend, dass sie sich dadurch von der „Gratismedizin“ wegbewegen. Der bewusste finanzielle Aufwand für die Gesundheit hebt diese Patientengruppe von der Masse ab.

Liegen Wahlärzte im Trend, vor allem angesichts der Spitalsmisere?
Ich würde sagen, dass Wahlärzte im Trend liegen, solange sie leistbar sind. Andererseits erwarten sich Wahlarztpatienten neben geringeren Wartezeiten auch mehr ärztliche Kompetenz. Ob das immer gegeben ist, sei dahingestellt. Prinzipiell sollten wesentliche Anteile der Spitalsambulanzfälle in die Peripherie, also zum Kassen- oder Wahlarzt verschoben werden.

Das Verhältnis von Kassenärzten zu Wahlärzten ist nicht frei von gegenseitigen Vorurteilen. Haben Wahlärzte tatsächlich mehr Freizeit und ein höheres Einkommen als Kassenärzte?
Das kann ich schlecht beurteilen. Kassenärzte haben üblicherweise klar definierte Ordinationszeiten. Wenn sie diese einhalten, verfügen sie über sehr viel Freizeit bei einem guten Einkommen. Kassenärzte können sich natürlich auch vertreten lassen und damit mehr Freizeit ohne hohe finanzielle Einbußen akquirieren. Das Einkommen richtet sich naturgemäß nach der Anzahl der Patienten, man setzt finanziell gesehen auf Quantität. Wahlärzte haben ein wesentlich flexibleres Arbeitszeitmodell, das sich aber zumeist nicht nur an die eigenen Zeitvorstellungen richtet. Auch wenn sie beispielsweise viermal pro Woche ordinieren wollten, brauchen sie zunächst einmal die entsprechenden Patientenzahlen. Ich kenne viele Kollegen, die das nicht schaffen würden. Naturgemäß haben Wahlärzte deutlich weniger Fälle, können sich dadurch für den einzelnen mehr Zeit nehmen. Daraus ergibt sich zumeist ein höheres Honorar. Diese Rechnung ist aber letztlich auch immer von der Konkurrenz vor Ort abhängig.

Wonach richten sich Ihr Zeitmanagement und Ihre Ordinationsöffnungszeiten?
Als Wahlarzt richten sich meine Öffnungszeiten natürlich nach dem Patientenaufkommen. Wir haben bekannte Öffnungszeiten, definitive Termine werden aber ausschließlich nach telefonischer Rücksprache bzw. via E-Mail vergeben.

Ist Work-Life-Balance eine Frage von gekonntem Zeitmanagement oder der Zufriedenheit mit „weniger Wohlstand“?
Meiner Meinung nach eine Frage von gekonntem Zeitmanagement sowie bei Wahlärzten vor allem auch eine Frage der Expertise.

Wie stellen Sie Ihre persönliche Work-Life-Balance sicher?
Das richtige Maß der Komponenten Arbeit und Familie bzw. Freizeit und Gesundheit finden.

Nachgefragt bei ...

… Dr. Peter Swoboda, Facharzt für Innere Medizin, www.dr-swoboda.at

Welche Rolle spielen Wahlärzte Ihrer Meinung nach im heimischen Gesundheitssystem?
Wahlärzte spielen eine große Rolle, weil sie den Patienten ein Angebot bieten können, das sich von den Kassenärzten unterscheidet. Dazu gehören das Angebot eines breiteren Behandlungsspektrums wie zum Beispiel die Hinzunahme von komplementärmedizinischen Therapien, flexibles Zeitmanagement, eventuell Erreichbarkeit auch am Wochenende.

Liegen Wahlärzte im Trend, vor allem angesichts der Spitalsmisere?
Ich denke schon, wobei dies auch für die Kassenärzte gilt. Die Spitäler werden allerdings auch missbraucht, indem zum Beispiel die Ambulanzen von Patienten frequentiert werden, die keiner Akutbehandlung bedürfen, wie mit Verkühlungen oder Beschwerden, die schon seit Monaten vorliegen. Da sich die personelle Situation in den Kliniken nicht bessern wird, werden wohl Maßnahmen geschaffen werden müssen, damit solch erkrankte Patienten in den niedergelassenen Bereich umgeleitet werden können. Außerdem bin ich der Meinung, dass Patienten flexiblere Ordinationstermine bevorzugen bzw. schätzen, wenn sie ihren Arzt im Notfall auch am Wochenende erreichen können.

Das Verhältnis von Kassenärzten zu Wahlärzten ist nicht frei von gegenseitigen Vorurteilen. Haben Wahlärzte tatsächlich mehr Freizeit und ein höheres Einkommen als Kassenärzte?
Das kann ich nicht beurteilen.

Wonach richten sich Ihr Zeitmanagement und Ihre Ordinationsöffnungszeiten?
Nach meinen Arbeitszeiten im Krankenhaus und je nach Bedarf der Patienten. In der Regel versuche ich, freitags keine Ordination zu haben.

Ist Work-Life-Balance eine Frage von gekonntem Zeitmanagement oder eher die Frage nach der Zufriedenheit mit „weniger Wohlstand“?
Es hat sicher mit einem effizienten Zeitmanagement zu tun, ich beziehe meine Work-Life-Balance aber hauptsächlich aus der Zufriedenheit der Patienten. Wenn ich jemandem helfen kann, der schon seit Jahren erfolglos in Behandlung war, gibt das am meisten Kraft und Zufriedenheit.

Wie stellen Sie Ihre persönliche Work-Life-Balance sicher?
Indem ich mir die Zeit für zumindest etwas Sport nehme und andererseits Zeit für Forschung und Fortbildung einplane und gönne.

Nachgefragt bei ...

… Dr. Lukas Kellner, Augenarzt, www.facharztzentrum-votivpark.at

Das Verhältnis von Kassenärzten zu Wahlärzten ist nicht immer frei von gegenseitigen Vorurteilen. Haben Wahlärzte tatsächlich mehr Freizeit und ein höheres Einkommen als Kassenärzte?
Mir bietet sich hier ein völlig anderes Bild, denn Wahlärzte haben häufig sogar mehrere Jobs gleichzeitig. Sie sind in einem Spital angestellt und haben auch noch eine Ordination oder machen zusätzlich Vertretungen. Ich habe nicht den Eindruck, dass eine der beiden Gruppen – Wahlärzte oder Kassenärzte – hier privilegiert ist und ich halte das Ausspielen auch für keine gute Strategie. Wir sind Ärzte, die auf hohem Niveau ihre Patienten versorgen möchten, und dabei hat eben jeder seine Nische und sein Geschäftsmodell. Kassenverträge stehen nicht für alle zur Verfügung und es wird zunehmend schwieriger, welche zu bekommen. Zur Einkommenssituation kann ich nicht viel sagen, da ich über keine validen Zahlen verfüge. In meiner persönlichen Situation habe ich sicher nicht „zu viel“ Freizeit! Für mich ist es auch eine Frage des Lebensmodells und der persönlichen Einstellung, denn Kassenärzte haben aufgrund ihrer Verträge durchaus eingeschränktere Rahmenbedingungen als Wahlärzte, aber nicht jeder möchte eben genau diese Freiheiten. Kassenärzte brauchen umgekehrt wieder einen höheren Patientenumsatz, das Modell gefällt auch nicht jedem Arzt.

Wonach richten sich Ihr Zeitmanagement und die Ordinationsöffnungszeiten?
Prinzipiell richtet sich das nach den Bedürfnissen der Patienten. Ich will meinen Patienten die bestmögliche Betreuung bieten. Es entspricht meiner Vorstellung eines sinnvollen Berufes, dann Zeit haben zu können, wenn mich ein Patient akut benötigt. Das kann auch am Wochenende sein, aber das sehe ich nicht als Beeinträchtigung der Work-Life-Balance. Neben meiner Anstellung im Spital habe ich auch noch familiäre Interessen und möchte mich fortbilden. Aber das ist wohl in allen anspruchsvollen Berufen so, da sind Ärzte keine Ausnahme.

Ist Work-Life-Balance eine Frage von gekonntem Zeitmanagement oder eher von Zufriedenheit mit „weniger Wohlstand“?
Jeder Mensch hat in jeder Lebenssituation die Entscheidung zu treffen, wie viel er arbeiten möchte und in welchem Arbeitsverhältnis. Das hat wenig mit Wahl- oder Kassenarztdasein zu tun, denn wenn es eng wird, kann ich mich auch vertreten lassen. Wenn ich schon in der Lage bin, über mein Arbeitspensum selbst entscheiden zu können, ist es eher eine Frage, welche Ziele ich im Leben habe und ob ich noch Spaß an meiner Arbeit habe: Mache ich das was ich gerne mache, oder bin ich in einem Hamsterrad gefangen, das mich eher krank macht als erfüllt? Als Wahlarzt steht mein Patient immer im Mittelpunkt, denn er ist in meinem Setting der wichtigste Partner!

Wie stellen Sie Ihre persönliche Work-Life-Balance sicher?
Ich achte auf die notwendigen Ruhezeiten. Ich brauche Zeit für Reflexion und auch, um möglichst fehlerfrei zu arbeiten.