Lässt sich die Nachhaltigkeit der medizinischen Radon-Kur steigern?
Aufgrund des Strebens nach einer möglichst nicht-medikamentösen Behandlung von Schmerzen des Bewegungsapparates hat sich im europäischen Raum die additiv eingesetzte Kur- und Balneotherapie als Therapieoption sehr gut etabliert.
Autor:
Prim. Univ.-Doz. Dr. Bertram Hölzl
Wissenschaftlicher Leiter, Gasteiner Kur-, Reha- und Heilstollen Betriebsges.m.b.H
Bei der Balneotherapie mit Radon hat sich vor allem die therapeutische Anwendung des radioaktiven Edelgases in zwei Formen bewährt: In Form von Radonbädern wird das Radon primär transkutan aufgenommen, bei der Stollentherapie erfolgt die Aufnahme zusätzlich per Inhalation über die Lunge. Eine besondere Form der speläotherapeutischen Radontherapie wird im österreichischen Bad Gastein-Böckstein seit 1952 im Gasteiner Heilstollen angewandt.
Zu dem im Berg vorherrschenden Klima aus einer natürlichen Radonkonzentration von 44 kBq/m³ in der Luft gesellen sich Temperaturen zwischen 37 und 41,5 °C und eine Luftfeuchtigkeit zwischen 70 bis nahezu 100 %. Die Wärme und die hohe Luftfeuchtigkeit bewirken eine leichte Hyperthermie des Körpers. Diese kombinierte Low-dose-Radon- und Hyperthermie-Therapie (LDRnHT) wird meist in Form einer mehrwöchigen, ambulanten Kur im Radonthermalstollen mit etwa zehn Einfahrten à 60 Minuten auf verschiedenen Therapiestationen durchgeführt.
Langjährige Erfahrungen zeigen, dass allein das tropische Klima im Stollen schmerzende Muskeln entspannt und immunstabilisierend wirkt. Darüber hinaus erhöht sich im leicht überwärmten Zustand die Aufnahmefähigkeit des Organismus für das Radon. Der Hyperthermie-Effekt als wesentliches Element der LDRnHT hat damit einerseits einen eigenen therapeutischen Nutzen und verstärkt anderseits die Radonaufnahme und fördert die Radonverteilung im Körper. Hier liegt auch das zentrale Unterscheidungsmerkmal zu anderen Radonstollentherapien, bei denen der Klimaaspekt so nicht gegeben ist. Aussagen zu den positiven Effekten der Therapie basieren einerseits auf Erfahrungsberichten von vielen Tausend Patienten, die jährlich in den Stollen einfahren, sowie andererseits auf verschiedenen Studien[1].
Diese stützen die Patientenberichte und bestätigen der LDRnHT schmerzlindernde, entzündungshemmende und immunstabilisierende Effekte bei Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, des Bewegungsapparates, der Atemwege und der Haut. Bei allen Verlaufsformen und Stadien zeigt die LDRnHT lang anhaltende therapeutische Resultate sowie positive Wirkungen hinsichtlich der Reduktion von Druckschmerzschwellen, Schmerzintensität, funktionellen Einschränkungen und Medikamentenverbrauch, insbesondere von nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR).[2]
LDRnHT: Basis der medizinischen Kur in Gastein
Bei chronischen Krankheiten haben starke ortsgebundene Heilmittel nach wie vor einen hohen Stellenwert und ihren festen Platz in der Kur- und Rehabilitationsmedizin. Heute ist die LDRnHT im Gasteiner Heilstollen in ein maßgeschneidertes multimodales Behandlungskonzept bestehend aus physikalischen Anwendungen und entsprechenden Schulungsprogrammen eingebettet. So hat der Gasteiner Heilstollen als erster Kurbetrieb in Österreich beispielsweise die Patientenschulung nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie eingeführt. Die Programme sind sehr gut evaluiert und wirksam. Zwar bleibt die Radontherapie eine wesentliche Säule der Kur, je nach Indikation steht jedoch ein umfassendes ergänzendes Portfolio wie beispielsweise Heilgymnastik in Gruppen und einzelphysiotherapeutische Interventionen, Massagen, Akupunktur, Osteopathie oder auch therapeutisches Klettern zur Verfügung. Die Kurheilverfahren richten sich durch diese Entwicklungen immer stärker rehabilitativ aus. Vorrangiges Ziel ist die Aktivierung der Patienten insbesondere zur Modifikation ihres Lebensstils. Damit wird den Kurheilmitteln die Bedeutung zuteil, durch eine Beschwerdelinderung eine gute Basis für andere Rehabilitationsziele zu schaffen.
Gesundheitszentrum Bärenhof
Zum Ausbau dieser Ausrichtung hat die Gasteiner Kur-, Reha- und Heilstollen Betriebsgesellschaft vor gut einem Jahr das stationäre Gesundheitszentrum Bärenhof mit seiner Fachklinik für Morbus Bechterew übernommen. Durch den Zusammenschluss entsteht eine unternehmensrechtliche Verbindung zwischen stationärer und ambulanter Einrichtung unter anderem mit dem Ziel, medizinische Synergien zu nutzen. So hat die Kombination aus dem ortsgebundenen Heilmittel Radon im Gasteiner Heilstollen und den entsprechenden Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation im Gesundheitszentrum Bärenhof diesen Verbund beispielsweise zum weltweit größten Therapiezentrum für Morbus-Bechterew-Patienten gemacht. Der Heilstollen hat darüber hinaus weitere Partner in der Region, die diese Ausrichtung mittragen. Dabei ergänzen sich die Therapieziele der stationären und ambulanten Einrichtungen hervorragend.
Spezifisches Therapieziel im Rahmen der medizinischen Kur im Gesundheitszentrum Bärenhof ist beispielsweise eine nachhaltige Schmerzlinderung, die Reduktion des Medikamentenbedarfs und eine Funktionsverbesserung. Rund um diese Säule gruppieren sich Behandlungen nach dem aktuellen Stand der Rehabilitationsmedizin zur Erreichung notwendiger Reha-Ziele. Am Beispiel der Behandlung von Morbus-Bechterew-Patienten lassen sich medizinische Synergien gut erklären. So obliegt dem Bärenhof neben der medikamentösen Behandlung die aktive Bewegungstherapie. Speziell auf das Krankheitsstadium des Morbus Bechterew abgestimmt wird in verschiedenen Therapiesitzungen die Beweglichkeit gefördert und die Muskelkraft sowie das Gleichgewichtsvermögen verbessert. Bewegungseinschränkungen und Fehlhaltungen werden so verhindert oder korrigiert und sekundäre Folgeerscheinungen zum Beispiel durch spezielle Atemtherapie reduziert. Durch die besondere Wirkung der Heilstollentherapie steigt insbesondere die Nachhaltigkeit des Effektes der Rehabilitation.
Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit
Die LDRnHT allein zeichnet sich bereits durch eine besondere Nachhaltigkeit aus. Kurerfolge halten meist viele Monate an, in denen Patienten weniger Schmerzmittel benötigen und deutlich funktionsverbessert sind – eine oft notwendige Voraussetzung zur Aktivierung der Patienten. Die bisherigen Erfahrungen der Kooperation zwischen Heilstollen und dem Gesundheitszentrum zeigen ebenfalls, dass Patienten einen nachhaltigeren Erfolg haben. Die Kur- und Rehabilitationsmedizin wird auch in Zukunft ganz im Zeichen der Erhaltung der Erwerbsfähigkeit und Vermeidung der Pflegebedürftigkeit stehen. Es wird zu einer noch stärkeren Individualisierung und Vernetzung in das Arbeits- und Lebensumfeld der Patienten kommen. So wird die nachhaltige Wirksamkeit erhöht.
Mit weiteren Projekten will der Heilstollen gemeinsam mit den Partnern aus der Sozialversicherung und anderen Kurbetrieben Projekte mit diesen Zielen entwickeln. Dazu gehört beispielsweise das Projekt „Jackpot Bewegung“ der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, das der Heilstollen unterstützt. Dabei handelt es sich um ein standardisiertes, regionales Bewegungsprogramm infolge eines stationären Heilverfahrens. Teilnehmer erhalten im Vorfeld des Heilverfahrens einen Bewegungssensor, um die Aktivität zu dokumentieren und zu analysieren. Während des Heilverfahrens wird diese Aktivitätsanalyse genutzt und in die Therapie eingebaut. Im Anschluss an das Heilverfahren erfolgen Aktivitätsmessungen nach zwei und zwölf Monaten. Zudem findet im Tochterunternehmen Gesundheitszentrum Bärenhof unter der Leitung von Dr. Sebastian Edtinger ein Pilotprojekt zum Screening gesundheitlicher Probleme von Kurpatienten am Arbeitsplatz statt.
Die Angebote zeigen, dass es eine Vielzahl von gesundheitlichen und alltagsbezogenen Problemstellungen bei den Patienten gibt. Diese sollten zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit und Vermeidung der Pflegebedürftigkeit präventiv erfasst werden. Darauf aufbauend kann die medizinische Kur der Zukunft den Patienten einen Weg zur präventiven Bearbeitung dieser Probleme weisen und sie zur Lösung motivieren. Dies gelingt auch durch eine stärkere Vernetzung der Maßnahmen im Rahmen von Nachsorgemaßnahmen sowie mit der Arbeitsmedizin und niedergelassenen Medizinern. So ließe sich der ohnehin gute nachhaltige Erfolg der Heilstollen-Kur weiter steigern.
[1] Franke, A. et al. (2000): Longterm efficacy of radon spa therapy in rheumatoid arthritis – a radomised, sham-controlled study and follow-up. Rheumatology, Oxford 2000 (39): 894-902.
Graf, A. & B. Minnich: Nachweis der Schmerzlinderung durch die Gasteiner Heilstollenkur: Ergebnisse einer psychologischen und neuroendokrinologischen Evaluierung. Frankfurt; Peter Lang, 1999.
Lind-Albrecht, G. (1999): Radoninhalation bei Morbus Bechterew. In: Deetjen, P. & A. Falkenbach (Hrsg.): Radon und Gesundheit, Radon and Health. Frankfurt; Peter Lang, 1999: 131-137.
Lind-Albrecht, G.: Langzeitbetrachtung von Morbus Bechterew-Patienten nach (wiederholter) Radonstollen-Therapie im Rahmen der stationären Rehabilitation-12-Jahres-follow-up einer kontrollierten prospektiven Studie. 14. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium, DRV-Schriften Band 59, 2005.
Pratzel, H.G. et al. (1993): Wirksamkeitsnachweis von Radonbädern im Rahmen einer kurortmedizinischen Behandlung des zervikalen Schmerzsyndroms. Phys Rehab Med, 1993 (3): 76-82.
[2] Deetjen, P. et al.: Radon als Heilmittel – Therapeutische Wirksamkeit, biologischer Wirkungsmechanismus und vergleichende Risikobewertung. Hamburg; Verlag Dr. Kovac, 2005.
Lind-Albrecht, G. & S. Rotheimer-Hering (2007): Reduktion des gastrointestinalen Risikos in Parallelität zur verminderten Schmerzmedikation nach wiederholter Radonstollentherapie bei Spondylitis ankylosans – 12-Jahres-follow-up einer kontrollierten prospektiven Studie. Journal für Mineralstoffwechsel, 14 (4): 147-149.
Falkenbach, A. (2005): Radon therapy for the treatment of rheumatic diseases – review and meta-analysis of controlled clninical trials. Rheumatol. Int. 2005 (25): 205-2010.
Schüttmann, W.: Über das Für und Wider bei der Radontherapie rheumatischer Krankheiten unter historischer Sicht – eine Studie. (Band 5 Radiz Informationen). Bad Schlema; Radiz Schlema e. V., 1994.