Kürzere Arbeitszeiten, zufriedenere Spitalsärzte
Die regelmäßig durchgeführte IFES-Befragung über Arbeitsbedingungen und -zufriedenheit bestätigt positive Effekte der neuen Arbeitszeit- und Gehaltsregelungen in Österreichs Krankenhäusern.
Alle drei Jahre befragt das Institut für empirische Sozialforschung (IFES) im Auftrag der Bundeskurie Angestellte Ärzte Österreichs Spitalsärzte nach deren subjektiver Einschätzung der aktuellen Arbeitsbedingungen und ihrer Zufriedenheit. Nun wurden die im Frühjahr 2016 erhobenen Daten präsentiert und bei identen Fragestellungen mit den vier Vorgängerstudien (2002, 2006, 2010, 2013) verglichen. Besonders gespannt konnte man dieses Mal auf die Auswirkungen des im Vorjahr novellierten Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes (KA-AZG) inklusive den damit verbundenen neuen Gehaltsregelungen sein. Das wesentliche Ergebnis gleich vorweg: Die Maßnahmen haben ihre positive Wirkung nicht verfehlt. In den damit verbundenen Fragestellungen zeigte sich ein signifikant positiveres Bild als in den Vorgängerstudien. Die Situation der Spitalsärzte habe sich in deren eigener Wahrnehmung bezüglich Arbeitsausmaß und Einkommen deutlich verbessert und entspannt, fasst IFES-Projektleiter Georg Michenthaler zusammen, „die Zufriedenheitsaspekte dazu sind insgesamt steigend“.
Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit ist in den letzten zehn Jahren von 59 auf jetzt 48 Stunden gesunken. Alleine im vergangenen halben Jahr ist dank des KA-AZG ein Sprung von 54 auf die aktuellen 48 Stunden gelungen. Männer arbeiten heute im Schnitt 50, Frauen 45 Stunden, wobei hier der höhere Teilzeitanteil zum Tragen kommt. Ein bemerkenswertes Detailergebnis der Umfrage: In den Fächern mit den höchsten Arbeitszeitspitzen fiel die Reduktion zuletzt überproportional hoch aus, etwa in der Chirurgie, wo die Arbeitszeit gleich um zehn Stunden zurückgegangen ist. Betrachtet man die Detailergebnisse der Turnusärzte, dann zeichnet sich ein ähnliches Bild ab: Turnusärzte der Allgemeinmedizin arbeiten statt 61 Stunden (2006) durchschnittlich nur mehr 46, jene in der Facharztausbildung 50 statt 63 Stunden (2006).
Die Werte bezüglich der höchsten Stundenanzahl in einer Arbeitswoche haben sich in den vergangenen zehn Jahren ebenfalls deutlich verringert. Gaben die befragten Ärzte im Jahr 2006 noch zu Protokoll, bis zu 75 Stunden in einer Arbeitswoche gearbeitet zu haben, sind es jetzt höchstens 62 Stunden. Bei den Turnusärzten Allgemeinmedizin sank die höchste Stundenanzahl im gleichen Zeitraum von 79 auf 63, bei den Turnusärzten in Facharztausbildung von 81 auf 65 Stunden.
Verbessertes Arbeitsklima
Die spürbar verkürzte Arbeitszeit, sowohl den Schnitt als auch die Spitzen betreffend, kommt bei den Ärzten jedenfalls gut an. Die derzeit gültige Beschränkung der maximal zulässigen Dienstzeit auf 25 Stunden wird von 83 Prozent der Befragten ausdrücklich begrüßt, bei den Turnusärzten liegt die Zustimmung sogar bei 93 (Allgemeinmedizin) bzw. 88 Prozent (Facharztausbildung). Mit der verringerten Arbeitszeit ist auch „das Arbeitsklima entspannter als früher“ geworden, erläutert Michenthaler. Ein Indiz dafür sei etwa der massive Rückgang bei der Frage nach Belastungen im Spitalsalltag aufgrund von Mobbing durch Vorgesetzte oder Kollegen. In beiden Fällen habe sich die Zahl jener, die sich dadurch sehr belastet fühlen, im Vergleich zur letzten Befragung halbiert, nachdem sie über viele Jahre hinweg immer konstant war. Ein deutlicher Unterschied zu den Daten 2013 lässt sich auch in der Zufriedenheit der Spitalsärzte mit ihrem Einkommen festmachen. Waren 2013 diejenigen, die mit dem Verdienst „zufrieden“ oder sogar „sehr zufrieden“ waren, noch deutlich in der Minderheit (44 Prozent), so ist daraus 2016 eine solide Mehrheit (57 Prozent) entstanden.
Noch viel Handlungsbedarf
Der Obmann der Bundeskurie Dr. Harald Mayer freut sich zwar darüber, „dass die Verkürzung der Arbeitszeit ebenso Wirkung zeigt wie die Gehaltsentwicklung. Aber in allen anderen Bereichen gibt es noch viel Handlungsbedarf, da hat sich in den letzten Jahren erschreckend wenig getan.“ Die aktuellen Ergebnisse der Befragung würden auch die nach wie vor ungelösten Probleme im Spitalsalltag klar aufzeigen, resümiert Mayer. Neben einem stetig steigenden Zeitdruck (85 Prozent der Befragten nehmen einen solchen wahr) und einer Arbeitszeitverdichtung aufgrund der zunehmenden Personalknappheit (90 Prozent) wird vor allem der nach wie vor enorm hohe Administrationsaufwand kritisiert. 81 Prozent der Befragten fühlen sich dadurch eher oder sogar sehr belastet. Nur 58 Prozent der täglichen Arbeitszeit im Spital werden für ärztliche Tätigkeiten aufgewendet, 35 Prozent für Administration. Davon besonders betroffen sind die Turnusärzte. Bei ihnen steigt dieser Anteil auf über 50 Prozent.
Ein anderes großes Problem ist laut Ansicht der befragten Spitalsärzte das sukzessive Ansteigen der Ambulanzfälle. In den Spitalsambulanzen werde laut Mayer „der Leidensdruck der Ärzte immer größer, hier Arbeiten machen zu müssen, die eigentlich nicht Aufgabe der Spitalsärzte sind“. 35 Prozent der Befragten lehnen diese Entwicklung grundsätzlich ab, 60 Prozent würden sie nur dann akzeptieren, wenn der Personalstand entsprechend erhöht wird. Das heißt, dass 95 Prozent aller Spitalsärzte mit der aktuellen Situation in den Spitalsambulanzen unzufrieden ist.
Mayer nimmt das Ergebnis zum Anlass, um seine Forderung nach einer verpflichtenden Leitung der Patientenströme zu erneuern: „Patienten sollen die beste Versorgung bekommen, aber sie sollen sich von einem Arzt durch das System führen lassen. Es müssen hier ganz klare Wege festgelegt werden.“ Mayer kann sich in diesem Zusammenhang zum Beispiel vorstellen, dass für einen Ambulanzbesuch, einmal abgesehen von medizinischen Notfällen, zukünftig eine Zuweisung durch einen niedergelassenen Arzt notwendig ist. Es sei also bei Weitem „nicht alles Gold, was glänzt“, warnt Mayer davor, die Ergebnisse der aktuellen IFES-Umfrage „Spitalsärzte 2016“ mit einer allzu rosaroten Brille zu betrachten. Es bleibe noch jede Menge zu tun. Bestätigt wird Mayer hier von der Einschätzung, wonach 60 Prozent der befragten Ärzte meinen, es sei sehr oder zumindest eher unwahrscheinlich, dass sie ihre derzeitige Tätigkeit im Spital bis zu ihrer Pensionierung ausüben können. Je jünger die Ärzte, desto skeptischer sind sie diesbezüglich. Während etwa immerhin noch fast die Hälfte aller Oberärzte zuversichtlich ist, bis zur Pensionierung durchzuhalten (43 Prozent), sinkt dieser Wert unter den Turnusärzten auf 26 Prozent (Facharztausbildung) bzw. 17 Prozent (Allgemeinmedizin) nochmals dramatisch ab. vw
NÖ: Arbeitszeit sinkt auf 45 Stunden
302 der von IFES befragten Ärzte arbeiten in Niederösterreich. Die spezifische Auswertung ihrer Antworten bestätigt die bundesweiten Ergebnisse. Auch in NÖ überwog demnach2016 zum ersten Mal seit zehn Jahren nicht mehr die Ansicht, die Spitalsarbeit sei in den vorangegangenen fünf Jahren unangenehmer geworden
Ein Hauptgrund für die gestiegene Zufriedenheit der NÖ Spitalsärzte ist der markante Unterschied bei den Arbeitszeiten: Wurden in Niederösterreichs Spitälern im Jahr 2002 durchschnittlich inklusive Nachtdienste noch 61 Stunden pro Woche gearbeitet, waren es im letzten halben Jahr nur mehr 45.
Die stärkste Reduktion verzeichnen dabei Oberärzte. Sie arbeiten heute mit 43 Wochenstunden im Durchschnitt um 21 Stunden weniger als vor 14 Jahren. Auch Nachtdienste konnten reduziert werden. Im vergangenen halben Jahr machten Ärzte durchschnittlich 3,7 Nachtdienste pro Monat. 2002 lag der Schnitt noch bei 5,5.
Zufriedener als noch vor wenigen Jahren waren die Ärzte daher auch mit der Vereinbarkeit von Beruf, Freizeit und Familie, berichtet Dr. Ronald Gallob, Vizepräsident und Kurienobmann der angestellten Ärzte in der NÖ Ärztekammer, schränkt allerdings ein: „Bei einem Schulnotenwert von 2,8 gibt es aber durchaus noch Spielraum für Verbesserungen.“
Das gilt auch bezüglich des administrativen Aufwands. Der ist in NÖ nämlich noch stärker gestiegen als im österreichweiten Durchschnitt, bestätigt Gallob: „Ärzte verbringen heute deutlich mehr, nämlich 38 Prozent, ihrer Arbeitszeit mit administrativen Tätigkeiten und damit deutlich mehr als noch vor ein paar Jahren.“
Bei den Turnusärzten sei der Anteil von 37 Prozent im Jahr 2003 auf mittlerweile sogar 51 Prozent ihrer Arbeitszeit gestiegen, kritisiert Gallob.
Schlechte Noten für Wien
Die Ergebnisse der aktuellen IFES-Umfrage wurden jeweils auch nach Bundesländern regional ausgewertet. Dabei offenbarten sich durchaus bemerkenswerte Abweichungen vom Bundesschnitt, zum Beispiel in Wien. Rund ein Viertel aller befragten Ärzte arbeiteten zum Zeitpunkt der Erhebung im Frühjahr 2016 an Wiener Spitälern.
Die Ergebnisse in der Bundeshauptstadt finden sich insgesamt am unteren Ende der Tabelle wieder. Das veranlasst Dr. Hermann Leitner, Vizepräsident und Obmann der Kurie angestellte Ärzte der Ärztekammer für Wien, dazu, in seiner Analyse von einem „desolaten Zustand“ zu sprechen, indem sich die Wiener Spitäler aktuell befinden würden. „Traurigerweise kann man nur hoffen, dass wir nach dreizehn Jahren des Herunterfahrens des Spitalssystems einen Boden gefunden haben“, sagt Leitner, traut dabei der Hoffnung aber selbst nicht so recht: „Sollte der Wiener Krankenanstaltenverbund weiter wie bisher vorgehen, wird dies nicht das endgültige Tief bleiben.“ Eine weitere Verschlechterung der Situation ist aus Leitners Sicht also durchaus möglich. Hauptgrund für die Skepsis Leitners ist der „besorgniserregende, bisherige chronologische Verfall der Wiener Spitäler aufgrund der durch die Ärzteschaft wahrgenommenen Veränderungen“. Als Hauptursachen für die negative Entwicklung wurden in der aktuellen Umfrage Personalknappheit (83 Prozent), die Patientendokumentation (67 Prozent), der steigende Zeitdruck (61 Prozent) sowie das Ansteigen der Ambulanzfälle (65 Prozent) genannt. 76 Prozent der Nachwuchsmediziner in Turnusausbildung trauen sich aufgrund dieser Belastungen nicht mehr zu, bis zum Pensionseintrittsalter von 65 Jahren ihre derzeitige Tätigkeit im Spital durchzuhalten. „Unsere Jungärzte wissen, dass sich das Ganze derzeit nicht ausgehen kann“, mahnt Leitner. Er jedenfalls fände es „unverantwortlich, die nächste Generation in so eine Zukunft zu entlassen“.
Auch in Sachen Einkommen bilden die Turnusärzte österreichweit das Schlusslicht: Aufgrund der Arbeitszeit- und Gehaltsanpassung durch das neue Arbeitszeitgesetz haben lediglich 50 Prozent von ihnen keinen Einkommensverlust erlitten. „Solange Löhne verspätet ausgezahlt und Tricksereien erfunden werden, wird es kein gerechtes Einkommen geben“, kritisiert Leitner.
Dr. Hermann Leitner, Vizepräsident und Obmann der Kurie angestellte Ärzte der Ärztekammer für Wien