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Kratzen, Beißen, Treten – Wie Patienten mit Ärzten umgehen

Ist es „normales Jobrisiko“, wenn ein Arzt von seinem Patienten bei der Behandlung absichtlich verletzt wird? Jeder 20. ist betroffen, Zwischenfälle werden oft nicht einmal gemeldet.


Dr. Maria Kletecka-Pulker, Geschäftsführerin Plattform Patientensicherheit.

Nach Angaben der Europäischen Union sind 5 % der Mitarbeiter in Gesundheitsberufen – das ist immerhin jede zwanzigste Person – der einen oder anderen Form von Gewalt ausgesetzt: Kratzen, Beißen oder Treten sind offenbar an der Tagesordnung, wenn Patienten mit Ärzten und Pfegepersonal kommunizieren, ganz zu schweigen von verbalen Attacken. Alarmierend ist auch, dass Betroffene oft meinen, Gewalt im Gesundheitswesen sei ein übliches Jobrisiko.

Wenn Emotionen die Kommunikation lenken

Gewalt gegen das Personal medizinischer Einrichtungen wird längst nicht mehr nur in Notaufnahmen oder im Zusammenhang mit psychiatrischen Patienten beobachtet, denn Menschen im Krankenhausumfeld sind fast immer in einer emotionalen Ausnahmesituation. „Wenn Angst, Unsicherheit und Hilflosigkeit auf scheinbar mangelnde Fürsorge und Hilfsbereitschaft aufseiten der Gesundheitsdienstleister treffen, sind Missverständnisse vorprogrammiert und sie führen nicht selten zu Gewalt in Form von körperlichen oder verbalen Attacken“, sind sich die Expertinnen Dr. Maria Kletecka-Pulker, Geschäftsführerin der Plattform Patientensicherheit, und Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes, einig.

Zeitmangel und Arbeitsdruck

Die angespannten Situationen in den Krankenhäusern bieten zusätzlichen Nährboden für ein schwieriges Kommunikationsklima: Ärzte arbeiten unter hohem Zeitdruck und stehen einer nicht minder hohen Arbeitsüberlastung gegenüber. Sie treffen tagtäglich auf Patienten und deren Angehörige, die zunehmend hohe Forderungen an das Gesundheitssystem stellen, die zwar von Politikern versprochen, aber aufgrund der Rahmenbedingungen in Spitälern und Ordinationen von den Mitarbeitern nicht immer gehalten werden können. Dr. Google tut sein Übriges dazu und fördert noch zusätzlich das Auftreten von Missverständnissen. Patienten und ihre Angehörigen zeigen immer weniger Geduld, in übervollen Ambulanzen auf „ihre“ Behandlung zu warten und zeigen zunehmend aggressives Verhalten.

Nicht optimal vorbereitet

Studien weisen darauf hin, dass Alkohol und Drogen die Aggressionsbereitschaft begünstigen, Gewalt eher von Männern ausgeht und Frauen häufig Opfer werden. „Eine Umfrage bei Mitarbeitern in einer Notaufnahme zeigt, dass 58 % der Befragten bereits Erfahrung mit verbaler Bedrohung haben, 24 % mit Schlägen und 2 % mit Stich- und Schusswaffen. Immerhin fühlt sich etwa ein Drittel auf diese Situation nur schlecht vorbereitet und 8 % wurden nach einem Gewaltereignis auch nicht ausreichend vonseiten des Arbeitgebers unterstützt“, erklärt Prof. Dr. Peter Gausmann, Geschäftsführer der Gesellschaft für Risikoberatung. Auch im Rettungsdienst sind Mitarbeiter überzeugt, dass verbale Gewalt und gewalttätige Übergriffe zum Jobprofil gehören. Meldungen an den Arbeitgeber oder gar Anzeigen werden meist unterlassen, weil die Betroffenen diesen Ereignissen keine Bedeutung beimessen oder nicht ausreichend über die Meldemöglichkeiten informiert sind. „Der Aufklärungs- und Handlungsbedarf ist hier besonders hoch!“, meint Kletecka-Pulker dazu.

Plattform Patientensicherheit setzt erste Sofortmaßnahmen

Neben einer Präventions-Checkliste, die zum Download auf www.plattformpatientensicherheit.at oder als praktische Einsteckkarte zur Verfügung stehen wird, wurde ein Folder zur „Kommunikation nach einem Zwischenfall“ erstellt. Hier wird anschaulich und mit Beispielen aus der Praxis erklärt, wie Missverständnisse und eine Eskalation von unerwünschten Ereignissen vermieden werden können. Damit soll Mitarbeitern im Gesundheitswesen Mut gemacht werden, Missgeschicke offen einzugestehen und damit auch Verbesserungen zu ermöglichen.
Zudem wird sich die Plattform Patientensicherheit weiterhin aktiv für mehr Bewusstseinsbildung zu diesem Thema einsetzen: „Wir wollen die Gesundheitseinrichtungen bei der Umsetzung von personalbezogenen, organisatorischen und patientenbezogenen Maßnahmen aktiv unterstützen und fordern dringend ein Gesamtkonzept“, betont die Geschäftsführerin der Plattform Patientensicherheit. Damit die Handlungssicherheit bei der Ausübung der medizinischen und pflegerischen Tätigkeiten wieder gegeben ist, gehört auch die Öffentlichkeit sensibilisiert. Spitalsbetreiber müssen für passende Ausbildungen der Mitarbeitern, wie zum Beispiel Sicherheitsschulungen, die finanziellen Mittel aufbringen.
„Das können nicht anlassbezogene Eintagsfliegen sein. Diese Maßnahmen müssen systematisch in der Grundausbildung verankert werden und sich über alle Berufsgruppen ziehen“, sagt Kletecka-Pulker. Frohner fordert zudem: „Für risikogeneigte Bereiche, wie Notaufnahmen, Einrichtungen mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen oder der mobilen Pflege, muss es zusätzliche, auf den Arbeitsbereich abgestimmte Maßnahmen geben. Hier ist es aus meiner Sicht schon eine Minute vor zwölf, denn es kann nicht sein, dass private Security-Firmen in Spitälern fehlendes Fachpersonal ersetzen!“                   rh

Präventions-Checkliste für Ihre Sicherheit!

 

  • Halten Sie Gewalt für möglich und entscheiden Sie sich für Selbstschutz.
  • Wenn Sie oder ein Mitarbeiter bedroht werden, stoppen Sie sofort Ihr therapeutisches Tun.
  • Sprechen Sie wachsende Aggression im Team und im Umgang mit Patienten sowie Angehörigen an.
  • Analysieren Sie Flucht- und Deckungsmöglichkeiten.
  • Installieren Sie einen Notfallknopf in Reichweite.
  • Ihre wichtigste Abwehrmöglichkeit ist Ihre Kommandostimme.
  • Lernen Sie Deeskalationsstrategien.
  • Proben Sie Ernstfälle, um vorbereitet zu sein!
  • Überprüfen Sie, ob Sie ausreichend versichert sind (Unfall, Betriebsunterbrechung, Rechtsschutz).
  • Wenn es um Ihr Leben geht, dann kämpfen Sie!

Quelle: Vortrag Bildungstag „Körperliche Sicherheit von MitarbeiterInnen und PatientInnen im Gesundheitsbereich“, 7. Mai 2014, Wien, modifiziert nach folgender Vorlage: www.springermedizin.de/vom-helfer-zum-opfer-gewalt-gegen-aerzte/4435418.html, Artikel: Bedroht, beschimpft, geschlagen, Vom Helfer zum Opfer: Gewalt gegen Ärzte