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Krankheit des Jahrhunderts

Derzeit leben in Österreich etwa 130.000 Menschen mit Demenz, wobei die Krankheit mit dem Alter signifikant zunimmt. Sowohl bei der Früherkennung als auch bei der Therapie von Demenzerkrankungen kommt der Vernetzung verschiedener Fachdisziplinen, vor allem von Medizin und Psychologie, wesentliche Bedeutung zu.


Dr. Gerald Gatterer

Wer ist betroffen? Die Tabelle gibt einen Überbrick über die Häufigkeit der Erkrankung in verschiedenen Lebensaltern und in Abhängigkeit vom Geschlecht (Quelle: Demenz-Report, 2011)

Das 21. Jahrhundert ist durch eine ständige Zunahme der Lebenserwartung charakterisiert, die vor allem auf eine bessere Ernährung sowie auf die Fortschritte in Hygiene und Medizin zurückzuführen ist. Aufgrund der Sterblichkeitsraten erreichten früher nur wenige Menschen ein hohes Lebensalter. Nach den Ergebnissen der Prognose von 2009 wird die Bevölkerung Österreichs im Jahr 2050 auf 9,5 Millionen gestiegen sein.
Die Altersstruktur verschiebt sich hierbei deutlich in Richtung älterer Menschen. Im Jahr 2008 waren rund 22 Prozent der Bevölkerung 60 Jahre und älter. Ab dem Jahr 2020 trifft dies auf etwa 26 Prozent zu und langfristig gesehen, zirka ab dem Jahr 2030, werden mehr als 30 Prozent der Menschen älter als 60 Jahre sein. Die über 75-jährige Bevölkerung wird bis zum Jahr 2050 auf 1,58 Millionen steigen, verglichen mit dem Jahr 2008 (662.000 Personen) bedeutet dies ein Plus von 139 Prozent. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung wird sich mehr als verdoppeln.
Damit verbunden ist jedoch auch ein Ansteigen von mit dem höheren Lebensalter verbundenen Erkrankungen. Die häufigste Erkrankung des höheren Lebensalters ist eine Demenz. Eine Demenz ist durch eine Gedächtnisstörung und weitere kognitive Defizite definiert, die zu einer verminderten Leistungsfähigkeit im Leben führen. Die Ursache liegt in unterschiedlichen Krankheiten, die das Gehirn entweder direkt oder indirekt betreffen. Die häufigste Ursache ist mit etwa 60 Prozent Alzheimer. Als weitere Ursachen werden vaskuläre Erkrankungen, Vergiftungen und sonstige Erkrankungen des Gehirns diskutiert.
Das Thema Demenz betrifft jede Gesellschaftsschicht. Studien zeigen jedoch, dass aktivere Menschen weniger von der Krankheit betroffen sind. Weiters zeigen sich Zusammenhänge mit Ernährungsfaktoren – Schutzfaktoren sind weniger Fleisch, höherwertige Fette, mehr Vitamine – und psychosozialen Faktoren, etwa soziale Kontakte oder soziale Aktivitäten. Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, Übergewicht und anderes schädigendes Verhalten gelten als Risiko. Auch verschiedene Krankheiten wie zum Beispiel Diabetes und Bluthochdruck können eine Demenz mit bedingen.

Hausarzt als 1. Ansprechpartner

Im Rahmen der Demenzfrüherkennung spielt die Kooperation verschiedenster Fachdisziplinen, vor allem Medizin und Psychologie, eine wesentliche Rolle. Meist werden die ersten Symptome von Angehörigen beobachtet, die mit dem Erkrankten den Hausarzt aufsuchen, der einen wesentlichen Faktor im Rahmen der Früherkennung darstellt. Als erste Anzeichen können eine Reduktion der Gedächtnisleistungen, Veränderungen des Verhaltens, aber auch der Emotionen und der Persönlichkeit beobachtet werden. Nach einer Erstabklärung hinsichtlich anderer Ursachen für die kognitiven Defizite erfolgt eine Zuweisung zum Facharzt für Psychiatrie und Neurologie bzw. zur Bildgebung und spezifischeren Tests.
Eine genaue testpsychologische Abklärung durch klinische Psychologen quantifiziert die Störung und ermöglicht eine Abgrenzung zwischen normalen und pathologischen kognitiven Alternsveränderungen. Normale Alternsvorgänge betreffen vor allem die Geschwindigkeit der Denkabläufe und die Flexibilität des Denkens, während bei Menschen mit Demenz auch die kognitiven Basisfunktionen stärker betroffen sind. Als Standardverfahren werden meist die Mini-Mental-State und der Uhren-Test durchgeführt. Ein sensitiveres Verfahren ist CERAD, welches vor allem in Memory-Kliniken verwendet wird und den Bereich der leichten kognitiven Beeinträchtigung (MCI) genauer erfasst. Die Kosten hierfür werden weitgehend von der Krankenkasse getragen.

Impfung gegen Alzheimer?

Auch im Bereich der Therapie von Demenz­erkrankungen ist eine Vernetzung der Fachdisziplinen und Therapieansätze wesentlich. Die medikamentöse Therapie der Alzheimerschen Demenz erfolgt meist mittels Antidementiva (Cholinesterase-Hemmer, Memantine, Gingko Biloba). Bei anderen Demenzformen wird kausal therapiert. Derzeit wird eine Impfung gegen Alzheimer getestet. Der Impfstoff besteht aus einem Eiweißbruchstück (Peptid) und ahmt das schädliche Eiweiß nach. Er regt die Bildung schützender Antikörper an, welche die Plaques erkennen und abbauen.
An nicht medikamentösen Maßnahmen sind am Beginn der Erkrankung bzw. auch zur Prävention kognitive Trainingsprogramme wesentlich. Ein Mensch mit einer leichten Demenz sollte möglichst so weiterleben wie vorher, ausgenommen schädliche Verhaltensweisen. Generell gilt das Präventionsmotto „leben, lieben, laufen, lernen und lachen“. Im Verlauf der Erkrankung werden kognitive Trainingsprogramme vermehrt von Biografiearbeit, dem Nützen von Ressourcen und Automatismen und pflegerischen Maßnahmen abgelöst. Validation hilft den Kranken ihre individuellen Bedürfnisse zu verstehen. Klinisch psychologische und psychotherapeutische Gespräche sind zur Krankheitsbewältigung hilfreich. Psychotherapeutische Gespräche werden dabei teilweise von der Krankenkasse bezahlt. Angehörigenbetreuung und -schulungen ergänzen das Angebot, wobei hier der Focus auf der Vermittlung von Wissen über die Krankheit, die Möglichkeiten der therapeutischen Maßnahmen, aber auch der Akzeptanz von Veränderungen beim Erkrankten liegt. Wesentlich ist ein Umdenken, da „Normalität“ meist nicht mehr zu erzielen ist. Ziel aller Maßnahmen ist der möglichst lange Verbleib des Betroffenen zu Hause, da hier seine Ressourcen am besten genützt werden können.
Erst im Stadium der schweren Demenz kommt es in gewissen Fällen zur Heimeinweisung, wobei diese meist infolge von Verhaltensstörungen (Agitation, Aggression, Davonlaufen etc.) erfolgt. Eine Vernetzung ambulanter (mobile Dienste) und stationärer (Krankenhaus/Pflegeheim) bzw. teilstationärer Strukturen (Tageszentren) ist jedoch wichtig, um die für den Kranken und seine Umgebung beste Betreuungsform zur finden. Spezielle Demenzstationen mit geschultem Pflegepersonal und gerontopsychiatrischer/-psychologischer Betreuung stellen hierbei die optimale Betreuungsform für Menschen mit Demenz und Verhaltensstörungen dar.
Unter Ausnützung aller medikamentösen und nicht medikamentösen Möglichkeiten kann die Demenz heute als behandelbare Erkrankung angesehen werden, wobei im optimalen Fall der Verlauf so weit verzögert wird, dass eine Heimeinweisung nicht notwendig wird. Ziel ist Lebensqualität und Stressreduktion durch eine optimale Betreuungsform für den Erkrankten und sein Umfeld.

Kontakt:
Dr. Gerald Gatterer,
klinischer und Gesundheitspsychologe, Psychotherapeut (Verhaltenstherapie) und Mitautor des Buches „Leben mit Demenz“ von Gatterer G., Croy A., 2005, Springer, Wien. 0664/847 51 93, gerald.gatterer(at)wienkav.at

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