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Klare Worte

Wer an „Barrierefreiheit“ denkt, dem kommt wohl zu allererst die Rollstuhlrampe in den Sinn. Doch dass dahinter mehr steckt und das auch gesetzlich verankert ist, eröffnet die Tragweite der Anforderungen gerade im Gesundheitswesen erst auf den zweiten Blick.


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Laut einer OECD-Studie gibt es in Österreich fast eine Million Menschen über 16 Jahren mit niedriger oder keiner Lesekompetenz. „Studien zeigen, dass quer durch alle Bevölkerungsschichten ein großer Bedarf an leicht verständlichen Texten besteht. Eine Information, die nicht ankommt, ist keine Information“, betont Herwig Küng, geschäftsführender Gesellschafter des sozialen Dienstleisters Auftakt. Das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) verlangt bereits seit 2006 vom Bund und von privaten Anbietern, Güter und Dienstleistungen barrierefrei anzubieten. „Für Gebäude und Verkehrsmittel gibt es Übergangsfristen bis Ende 2015, für Information und Kommunikation gilt dies bereits seit 1. Jänner 2006“, so Dr. Max Rubisch, Abteilungsleiter Behindertenrecht und Behindertenpolitik, Sozialministerium. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention, die in Österreich seit Oktober 2008 gilt, verlangt, dass Information und Kommunikation und die dazu gehörigen Technologien für Menschen mit Behinderung zugänglich sein müssen.

Sprachbarrieren können die Gesundheit gefährden

Es geht hier keineswegs nur um Menschen mit – offensichtlicher körperlicher oder geistiger – Behinderung. Zielgruppen sind beispielsweise auch Menschen mit geringen Deutschkenntnissen oder niedrigem Bildungsniveau, aber auch Menschen mit eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten, wie etwa Demenzkranke oder überhaupt ältere Menschen, die sich mit Hören, Sehen oder Lesen vielleicht schon schwerer tun. Dazu kommt, dass die Gruppe dieser Menschen gerade im Gesundheitswesen besonders stark vertreten ist. Zusätzlich stehen all jene, die einen Arzt aufsuchen, meist unter besonderem Stress: Wenn das Ausfüllen von Aufnahmeformularen im Krankenhaus im herkömmlichen Alltag vermutlich wenig Mühe bereitet, kann das in einer angespannten Situation, etwa nach einem Unfall, bei Schmerzen oder bei der Begleitung von erkrankten Angehörigen ganz rasch zum Problem werden. Komplexe Formulierungen, schwierig lesbare Texte oder unbekannte medizinische Fachausdrücke erschweren das Verständnis. Nur Information, die verstanden wird, kommt auch an und wer nicht versteht oder Leseschwierigkeiten hat, verhält sich möglicherweise falsch und wird dann oft auch als nicht
therapieadhärent bezeichnet.

Barrierefreie Optik

 „40 % der Erwachsenen in Deutschland und Österreich haben Leseschwierigkeiten“, erläutert Walburga Fröhlich, MA, Geschäftsführerin von capito – Barrierefreie Information, – immerhin gut zwei Millionen Betroffene. „Das hat zur Folge, dass sehr viele Informationen, die es in der Öffentlichkeit gibt, einfach nicht verstanden werden.“ Broschüren, Formulare, aber auch Warn- und Hinweisschilder müssen ihre Informationen verständlich an den Mann und die Frau bringen. „Die zentrale Frage ist immer: Was soll der Adressat mit der Information machen und wie wird er dazu in die Lage versetzt?“, fasst Fröhlich zusammen.
Gründe für eine schlecht verständliche oder lesbare Sprache gibt es viele: Grafiker achten mitunter mehr auf Design und Optik als auf gute Lesbarkeit oder die Vorgaben aus den Barrierefreiheitsnormen bzw. die Erfahrungen von Experten. „Die Bedürfnisse von sehbehinderten Menschen sind wenig bekannt, was dazu führt, dass Schilder und Schriften oft zu klein sind, auf die nötigen kräftigen Farbkontraste nicht geachtet wird und die Auswahl der Inhalte häufig nicht ausreichend gut überlegt ist“, erklärt Fröhlich und ergänzt: „Es braucht viel Erfahrung, um den Mittelweg zwischen zu viel Information, die verwirrt, und zu wenig Information, was beispielsweise zu Lücken im Orientierungssystem führen kann, zu finden.“ Wer aber das Gefühl vermittelt bekommt, dass die – mitunter sehr wichtige – Information kompliziert, schlecht lesbar und vielleicht nicht verständlich ist, hört auf zu lesen.

Verständliche Ausdrucksweise

Im Gesundheitsbereich heißt „barrierefreie Information“ aber auch, ein Arzt-Patienten-Gespräch so zu führen, dass das Gesagte ankommt. Experten eines Fachgebietes merken häufig nicht, dass sie im Fachjargon kommunizieren – also schreiben oder sprechen, da dies für sie selbstverständlich geworden ist. Geht es darum, einen Text auch für Nicht-Fachleute verständlich zu machen, „empfiehlt sich in jedem Fall eine Vorab-Überprüfung durch Testgruppen von fach- bzw. ortsunkundigen Personen“, rät Fröhlich. Die Sprachexpertin weist auch eindrücklich darauf hin, „dass Probleme beim Verstehen von Arbeitssicherheitsinformationen längst keine kleine Randgruppe betreffen“. Bei der Zahl der Krankenhausmitarbeiter mit nicht deutscher Muttersprache ist auch das ein Thema, das nicht länger ignoriert werde kann. Und: „Sie können Arbeitgebern auch Haftungsprobleme bescheren, etwa dann, wenn nachweisbar ist, dass die Mitarbeiter mit Lernschwierigkeiten, nicht deutscher Muttersprache oder mit geringer Schulbildung die angebotenen Sicherheitshinweise gar nicht verstehen konnten“, warnt Fröhlich. „Meine Mitarbeiter halten sich einfach nicht an die Regeln.“ „Unsere Patienten füllen ständig die Formulare falsch aus.“ „Ich verstehe nicht, warum sich niemand für das Beratungsangebot interessiert.“ Diese und ähnliche Sätze sind klare Hinweise darauf, dass in der sprachlichen Verständigung etwas falsch gelaufen ist und dringend Handlungsbedarf herrscht! rh

Zahlen und Fakten

Auszug aus den sozialen Folgen, die aufgrund zu komplexer Informationen und Leseschwierigkeiten im Bereich Gesundheit und Vorsorge entstehen können:

  • Analphabeten fühlen sich weniger gesund als Menschen, die gut lesen können (32 Prozent versus 20 Prozent der Befragten).
  • Analphabeten sind weniger gesund (sechsmal häufiger Herzinfarkt).
  • Analphabeten besuchen seltener den Hausarzt oder das Krankenhaus (55 Prozent versus 42 Prozent).
  • Das Risiko von Berufsunfähigkeit ist dreimal höher.
  • Das Risiko von Arbeitslosigkeit ist zweimal höher.
  • 75 Prozent der Analphabeten haben keine bezahlte Arbeit.

www.atempo.at

Quelle: Studie Groot, W., Maassen, H. (2006). Stil vermogen, een onderzoek naar de maatschappelijke kosten van laaggeletterdheid. Amsterdam: Universiteit van Amsterdam