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Kinder sind keine kleinen Erwachsenen

Dieser in der Medizin oft zitierte Satz trifft einmal mehr auch auf den Themenkreis „Schmerz“ zu. Und wer von uns wurde im Kindesalter nicht mit den Worten „Ein echter Indianer kennt keinen Schmerz“ getröstet.


Prim. Dr. Klaus Vavrik, Präsident der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, bringt im Rahmen der gesundheitspolitischen Gespräche in Alpbach einen Aufriss zur Lage der Kinder- und Jugendgesundheit. Fazit: Die Situation ist ernst!

Warum diese Bagatellisierung von Schmerz durchaus problematisch und für die frühkindliche Entwicklung sogar kontraproduktiv sein kann, erläutert Prim. Dr. Klaus Vavrik, Ärztlicher Leiter des Sozialpädiatrischen Ambulatoriums Fernkorngasse der VKKJ (Verantwortung und Kompetenz für besondere Kinder und Jugendliche) sowie Präsident der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, im Rahmen des Forum Alpbachs.

Was unterscheidet den Schmerz bei Erwachsenen von jenem bei Kindern?
Lange Zeit war der Glaube vorherrschend, dass Babys weniger Schmerz empfinden als Erwachsene. Tatsächlich haben sie aber noch wenig hormonelle Gegenreaktion. Damit sind ihre Schmerzen viel nachhaltiger spürbar und prägen sich im sogenannten Schmerzgedächtnis ein. Wir wissen auch, dass Frühgeborene mit einer Fehlversorgung in der Schmerzbehandlung später deutlich schmerzempfindlicher sind und hier ein höheres Belastungspotenzial aufweisen.

Bedürfen Kinder demnach besonderer Aufmerksamkeit in Sachen Schmerzbehandlung?
Gerade bei Kindern glaubt man oft, schnell einen Eingriff machen zu können – ob es die Zahnbehandlung oder die Beschneidung ist. Es geht hier nicht um den kurzen Schmerz beim Eingriff, sondern auch um den folgenden Wundschmerz, der nicht wegdiskutiert werden kann. Wahrscheinlich würde sich kein Erwachsener derartige Eingriffe mit Folgeschmerzen ohne entsprechende medikamentöse Unterstützung angedeihen lassen. Bei Kindern wird oft gar nicht diskutiert, dass sie es auszuhalten haben.

Welche Schmerzarten sind bei Kindern besonders häufig?
Bei Schmerz ohne spezielle Vorerkrankung ist es häufig Kopf- und Bauchschmerz.

Wie wird behandelt?
Wir dürfen Babys, Kinder und Jugendliche nicht über einen Kamm scheren. Natürlich gilt es, die Schmerzen in allen Altersgruppen jeweils adäquat zu reduzieren bzw. zu therapieren. Wir wissen aber auch, dass Kinder in der Phase sehr viel Zuwendung brauchen und das tatsächlich als Schmerzregulativ mitwirken kann. Ein gutes Beispiel sind frühpubertierende Mädchen, wo 30 Prozent der 15-Jährigen in einer Befragung angeben, mindestens einmal wöchentlich an Kopf- oder Bauchschmerzen zu leiden. Die Frage ist, ob es sich nicht oft um einen sekundären Krankheitsgewinn handelt, also aus einem allgemeinen Unwohlgefühl ein Schmerz entsteht. Der ist natürlich genauso ernst zu nehmen, aber viel mehr gilt es hier, den Menschen in seiner Gesamtheit wahrzunehmen und zu schauen, was tatsächlich fehlt, welche Belastungen vorliegen. Und das ist natürlich sehr individuell und lebenszeitlich auch sehr unterschiedlich zu beurteilen.

Wie artikulieren Kinder ihre Schmerzen?
Je jünger die Kinder, desto weniger treffsicher sind sie in der Artikulation und Lokalisation von Schmerz. Andererseits können wir ja nicht in ihren Körper sehen und wissen das nicht so genau. Wissenschaftliche Literatur dazu gibt es keine, wir glauben, dass es so ist. Eben daher ist es wichtig, immer den ganzen Menschen und seine Lebenssituation im Auge zu haben. Es gibt zum Beispiel keine wissenschaftlichen Untersuchungen zu den typischen Wachstumsschmerzen in Hüfte und Knie und doch artikulieren das viele Kinder und Jugendliche. Das müssen wir ernst nehmen.

Was müssen Eltern beachten?
Ich rate Eltern immer dazu, Gelassenheit zu bewahren und dennoch achtsam zu sein, Schmerzen nicht dramatisieren, aber auch nicht bagatellisieren. Erstaunlicherweise haben Eltern, wenn sie sich auf ihren Instinkt verlassen, eine sehr gute Einschätzung, ob die Schmerzen einer dringenden Behandlung durch den Arzt bedürfen oder ob ein Stück Alltagsprobleme dahintersteckt.

Was ist bei der Schmerzmedikation bei Kindern zu beachten?
Es kann nicht oft genug betont werden, dass die Erwachsenenmedikation oder eine kindergerechte Dosis einfach auf das Körpergewicht umzurechnen nicht für Kinder geeignet sind. Gleichzeitig möchte ich noch einmal davor warnen, Kinderschmerz zu verniedlichen oder zu vernachlässigen. Es ist Kindern durchaus zumutbar Schmerz auszuhalten, etwa bei Impfungen, wenn man ihnen die Chance gibt, sich darauf einstellen zu können. Zu sagen „es tut eh nicht weh“ und dann Schmerzen auszulösen, das nehmen uns Kinder verständlicherweise sehr übel!     rh