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(K)ein Weg zurück?

Depression und Burnout am Arbeitsplatz kickt Mitarbeiter schnell ins Out. Wie Prävention und frühzeitige Intervention gelingen können, haben Experten kürzlich in Wien diskutiert.


Mag. Kurt Mayer, geschäftsführender Gesellschafter, Integrated Consulting Group ICG

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Lalouschek, Interdisziplinäres Gesundheitszentrum the Tree

Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Musalek, Ärztlicher Direktor des Anton Proksch Instituts, Wien. Fotos: Anna Stöcher, ZVG

„Psychische Erkrankungen wie Depression, bipolare Störung und Burnout haben sich zu Volkskrankheiten entwickelt. Jeder Fünfte leidet hierzulande einmal in seinem Leben an einer Depression, jeder Sechste hat Angststörungen. Eine ähnlich große Anzahl ist Burnout-gefährdet“, betonte Mag. Kurt Mayer, geschäftsführender Gesellschafter der Integrated Consulting Group ICG im Rahmen des 6. Lundbeck Presseforums Psychiatrie. Alarmierend ist, dass in Österreich mittlerweile mehr als die Hälfte der krankheitsbedingten Frühpensionierungen auf psychische Erkrankungen zurückgeht. Allein Frühpensionierungen aufgrund der Diagnose Burnout sind seit 2009 um 42 Prozent angestiegen. Das wiederum verursacht beträchtliche volkswirtschaftliche Kosten. „Global wurden diese Kosten für das Jahr 2010 auf 1.850 Milliarden Euro geschätzt. Psychische Erkrankungen kosten entwickelte Staaten etwa vier bis zehn Prozent des BIP“, beschreibt der Experte die Situation.

Fehlende Mittel

Gesundheitssystem und Politik handeln im Hinblick auf diese Situation noch zu zögerlich: Nur etwa 3 Prozent der öffentlichen Gesundheitsausgaben werden in die Behandlung von psychischen Erkrankungen investiert. Damit liegt Österreich am unteren Ende der Liste der europäischen Industrieländer.
Gerade bei psychischen Erkrankungen und insbesondere auch bei Burnout ist eine frühzeitige Erkennung und Behandlung der Schlüsselfaktor, um Folgeschäden und damit auch Folgekosten zu vermeiden.
„Einer Studie der Johannes Kepler Universität Linz aus dem Jahr 2013 zufolge kostet ein Burnout bei Früherkennung für Therapiekosten und Krankenstandstage zwischen 1.500,– Euro und 2.300,– Euro. Bei einer zeitverzögerten Diagnose belaufen sich die Gesamtkosten dann schon auf 12.400,– Euro bis 17.700,– Euro. Kommt es aber erst in der Akutphase zur Behandlung des Burnouts, so treten Kosten von mehr als 100.000,– Euro pro Betroffenem auf“, fasst Mayer die Entwicklung zusammen.

Von „Ich kann“ zu „Ich muss“

Ein Burnout entsteht weder plötzlich, noch trifft es automatisch jeden. „Voraussetzung ist eine Arbeitssituation, die auf die Dauer belastend wirkt“, so die Kurzzusammenfassung von Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Musalek, Ärztlicher Direktor des Anton Proksch Instituts in Wien. Im ersten Stadium, dem „Problemstadium“, sind Überlastung und Überforderung noch unerkannt. Charakteristisch ist der noch unbewusste Einsatz von Kompensationsmechanismen wie ein zeitlich und leistungsmäßig intensivierter Arbeitsaufwand einerseits und verminderte Ruhezeiten bzw. Freizeitaktivitäten andererseits. Der Wahlspruch lautet noch „Ich kann alles ...“. Die eigenen Bedürfnisse und die Beziehungen zu Mitmenschen werden vernachlässigt. Erhöhte Reizbarkeit, Unruhe und Spannungszustände, nicht selten auch Einschlafstörungen stellen sich ein. Typisch für dieses erste Stadium sind auch verminderter Appetit bis hin zur Appetitlosigkeit, manchmal auch vermindertes sexuelles Verlangen, leichte Herzfrequenzerhöhungen, Blutdruckerhöhungen oder leichtes Schwitzen.
In Stadium II, dem „Übergangsstadium“, ist dem Betroffenen die arbeitsbedingte Überlastung und Überforderung bereits bewusst, er hat aber den Eindruck, „noch alles schaffen zu können“. Die eigenen Bedürfnisse und die Beziehungen zu anderen werden weiter vernachlässigt. Die Folgen: völlige Zentrierung auf die Arbeit und zunehmender sozialer Rückzug. Dieses Stadium kennzeichnen Spannungszustände, innere Unruhe und Ängste, Einschlaf- und Durchschlafstörungen sowie unspezifische psychosomatische Beschwerden bzw. Störungen, die meist das Herz-Kreislauf-System, das Verdauungssystem, oft auch die Haut und den Bewegungsapparat betreffen. Die erhöhte Reizbarkeit geht in eine erhöhte Gereiztheit über, häufig tritt eine chronische depressive Verstimmung auf. „Im Stadium III, dem ,Erkrankungsstadium‘, fühlen sich die Betroffenen völlig erschöpft. Eine partielle bzw. später dann auch absolute Arbeitsunfähigkeit ist die Folge. Der zunehmende soziale Rückzug führt in die völlige soziale Isolation. Massive Schlafstörungen bis hin zu Schlaflosigkeit oder aber massiv verlängerter Schlaf, chronische Schmerzsyndrome und manifeste körperliche Erkrankungen sind keine Seltenheit“, beschreibt Musalek die Entwicklung. Am Ende steht das für schwere Depressionen so typische völlige „Losigkeitssyndrom“: Freudlosigkeit, Lustlosigkeit, Interesselosigkeit, Antriebslosigkeit, Appetitlosigkeit und Aussichtslosigkeit bis hin zum Lebensüberdruss. Das Erlebnisfeld des Betroffenen ist geprägt vom Wissen „Ich kann nicht mehr ...“.

Diagnose und Therapie

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Lalouschek vom Interdisziplinären Gesundheitszentrum „the Tree“ betonte, dass Burnout als phasenhafter Prozess grundsätzlich umkehrbar und behandelbar sei. Gerade Führungskräfte haben die Verantwortung, Warnsymptome ernst zu nehmen und Mitarbeiter früh und konkret anzusprechen und ihnen Unterstützung anzubieten. „Eine adäquate Behandlung von Burnout ist multiprofessionell. Ein Teil der Betroffenen benötigt eine medizinische Abklärung sowie eine medikamentöse Behandlung. Eine psychotherapeutische Behandlung kann wichtig sein, um eigene Burnout-fördernde Denk- und Verhaltensmuster zu verändern oder Traumatisierungen zu verarbeiten“, erklärt Lalouschek.
Coaching allein ist in vielen Fällen nicht mehr genug, wenn von einem Mitarbeiter erwartet wird, dass er den „persönlichen Resetknopf“ drückt und im Leben neu durchstartet. Gefragt sind multiprofessionelle, beruflich orientierte Burnout-Prävention und Nachsorge – eine Forderung, die in der Realität derzeit noch viel zu wenig umgesetzt wird. Es fehlt an Fachärzten, aber auch fächerübergreifenden Behandlungseinrichtungen, in denen die Behandlungsbausteine – von der Medizin über Psychotherapie, Coaching, Entspannungstraining und Lebensstilmodifikation – abgestimmt und „aus einem Guss“ erfolgen.
Musalek fordert „partielle“ Reintegrationsschritte, denn: „Ein Alles-oder-nichts-Prinzip, im Rahmen dessen nur danach gefragt wird, ob man nun arbeitsfähig ist oder nicht, ist in der Arbeitsrehabilitation bzw. -reintegration als realitätsverweigernde Haltung abzulehnen.“ Denn das führt Menschen zu einem unnötigen Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess mit all seinen negativen Folgen. „Ein möglichst langer Krankenstand ist nicht immer die beste Option, denn Arbeit ist, unter den richtigen Voraussetzungen, auch eine Quelle der Gesunderhaltung“, sind sich die Experten einig. rh

Aktuelle Studie: Führungskräfte und Burnout

Ein Drittel der Führungskräfte in Österreich und Deutschland sieht sich tendenziell Burnout-gefährdet, fünf Prozent halten sich für akut gefährdet, geht aus dem aktuellen Hernstein Management Report hervor. Das Institut hat 1.079 Führungskräfte aus beiden Ländern befragt. Jüngere bzw. seit kürzerer Zeit in einer Führungsposition befindliche Personen schätzen sich stärker Burnout-gefährdet ein. Fast 50 Prozent der Befragten gaben an, häufig gestresst zu sein. Acht von zehn Führungskräften haben in ihren Unternehmen bereits Burnout-Fälle erlebt. Sechs von zehn geben an, dies bei Führungskollegen beobachtet zu haben, vier von zehn kennen Burnout bei den eigenen, direkt geführten Mitarbeitern. Jede zehnte Führungskraft war oder ist selbst davon betroffen. Von einem Burnout-Risiko betroffene Personen schätzen die Wichtigkeit und die Beeinflussbarkeit des Themas durch Führungsarbeit allgemein als hoch ein. „Hier tut sich eine Lücke zwischen Wissen und Handeln auf. Personen, die sich selbst als gefährdet ansehen, machen tendenziell weniger oft Pausen, weniger Sport und weniger Ausgleich als diejenigen, die sich als nicht gefährdet empfinden“, hieß es seitens des Hernstein-Instituts.