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Iodsole und Zellschutz

Obwohl immer wieder auf die Tatsache hingewiesen wird, dass die balneologischen Maßnahmen „keine verwässerten Pharmatherapien“ sind, müssen gerade bei der Iodsole-Therapie auch pharmakologische Wirkungsaspekte beachtet und berücksichtigt werden.


Foto: Paracelsus Gesellschaft

Autor: MedR Dr. Walter Loos
Paracelsus Gesellschaft für Balneologie und Jodforschung
www.paracelsus-badhall.at

Dies gilt bekanntermaßen für die Kontraindikationen der Iodtherapie bei bestimmten Schilddrüsenerkrankungen, zum Beispiel dem Autonomen Adenom. Jedoch sind auch durchaus erwünschte Effekte den extrathyreoidalen pharmakodynamischen Iodwirkungen zuzuordnen.
Forschungsergebnisse, die nicht aus balneologischen Instituten stammen, sondern aus der internationalen Iodforschung kommen und daher unabhängig von Kurortinteressen sind, stellen für die Erklärung der Wirkungen von Iodkuren einen sehr bedeutenden Beitrag dar.

Behandlung mit elementarem Iod

Neben den antioxidativen Eigenschaften des Iodids treten vermehrt die Effekte von elementarem Iod und von Iodolactonen (Verbindungen von Iod mit ungesättigten Fettsäuren) in den Mittelpunkt des Interesses. Diese haben einerseits entzündungshemmende und damit zellschützende Eigenschaften, können andererseits bei malignen Zellen jener Organe, die bevorzugt Iod speichern, eine apoptotische Wirkung entfalten. Dies trifft vor allem auf Thyreoidea, Mamma und Prostata zu. Größere Mengen von Iodolactonen entstehen aufgrund des Umstandes, dass Mammakarzinomzellen einen viermal so hohen Arachidonsäurespiegel aufweisen als gesunde Zellen und dass nach Behandlung mit elementarem Iod der Iodolactongehalt auf das Fünfzehnfache ansteigt. Diese Effekte sind ab 3 mg Iod/Tag zu erwarten, eine Dosis, wie sie bei Kuren unter Einbeziehung von Trinkkuren leicht erreicht werden kann. Voraussetzung ist eine gesunde Schilddrüse.

Kur und Krebs

Die in vitro und auch in vivo gewonnenen Studienergebnisse haben insofern praktische Auswirkungen auf das Konzept einer Iodsolekur, als dass die Argumentationslage für das Thema „Kur und Krebs“ hinsichtlich Erlaubnis zur Iodkur nicht nur wesentlich gestärkt wurde, sondern dass sich in der Zukunft eine Sonderindikation mit sehr spezialisierter Versorgungsverpflichtung ergeben könnte.
Derzeit von viel größerer Bedeutung sind Effekte des elementaren Iods und von Iodolactonen für die bekannten Indikationen einer Iodsolekur, wie Prävention und Therapie von Folgen der Arteriosklerose, degenerative Veränderungen mit chronischen Entzündungen des Stützapparates, chronische degenerative und bestimmte entzündliche Augenerkrankungen.
Allgemein akzeptiert ist die Tatsache, dass vielen chronischen, auch als degenerativ bezeichneten Erkrankungen eine chronische Entzündung zugrunde liegt und diese einen hohen Anteil am langen Bestehen und an der potenziellen Verschlechterung hat. Maßnahmen, die imstande sind, das Entzündungsgeschehen zu reduzieren, sind daher sehr willkommen. Man muss nicht gleich an Antikörper, zum Beispiel TNF-alpha-Blocker, denken, wenn es darum geht, die Entzündungskaskade in ihrer Aktivität zu bremsen.

Iod und Entzündung

Iod weist antiinflammatorische Eigenschaften auf. Dies ist nicht erst seit der Verwendung von Betaisodona bekannt, dessen Wirkung über die bakterizide Wirkung messbar hinausgeht. Zu den historischen Indikationen für Iodkuren gehörten schon immer chronische Entzündungen wie zum Beispiel Skrofulose und Syphilis.
Ein relativ neuer Aspekt zum Thema Iod und Entzündung ist die Tatsache, dass I2 und Iodolactone (neben einer ganzen Reihe von anderen Stoffen und Medikamenten) Liganden des PPAR γ (peroxisome proliferator activated receptor) sein können und auf diesem Weg zur Entzündungshemmung beitragen können. Eine zentrale Rolle nimmt der Transkriptionsfaktor Nuclear Factor (NF-κB) ein, der bei verschiedenen Belastungssituationen einer Zelle aus seiner Komplexbindung im Zytoplasma getrennt wird, in den Zellkern wandert, hier in der Genregulation aktiv wird, die Entzündung auslöst und im Circulus vitiosus mit Tumornekrosefaktoren und Interleukinen den Prozess vorantreibt.
Diese Belastungen der Zellen können Bakterientoxine oder Strahlung, Licht, freie Radikale, oxidativer Stress im Allgemeinen oder auch als Folge von psychischen Stressreaktionen sein. Nicht zufällig hat man den NF-κB auch als „missing link“ zwischen psychischer Belastung und Organschaden bezeichnet.

Verjüngungsmaßnahme

Chronische Entzündungsvorgänge werden auch für das vorzeitige Altern verantwortlich gemacht. Somit könnte eine Hemmung dieser Vorgänge zum seriösen „Anti-Aging“ und zur Arteriosklereoseprävention beitragen. Das seit sehr langer Zeit bestehende Image der Iodsolekur als „Verjüngungsmaßnahme“ erhält durch die Darstellung der Iodwirkungen auf molekularer Ebene eine Verbesserung der wissenschaftlichen Grundlage.
Bisher wenig beachtet wurde die Tatsache, dass auch die Reaktion auf den hydrostatischen Druck, wie er auf den Körper im Solebad einwirkt, körpereigene Schutzmechanismen in Gang setzt und in erster Linie gegen die Gefäßentzündung, dem wesentlichen Aspekt der Arteriosklerose, wirkt. Abhängig von der Salzkonzentration wird aufgrund der Dehnung des rechten Vorhofs ANP (atriales natriuretisches Peptid) freigesetzt. Dieses hat nicht nur Effekte auf die Natrium- und Wasserausscheidung, sondern auch vasodilatierende Eigenschaften durch Blockierung des Endothelin 1, zentral dämpfende Eigenschaften, bremst die Aktivität der Renin-Aldosteron-Angiotensinachse und wirkt entzündungshemmend als Regulator des NF-κB.

Kurprogramm

Bei Iodsole-Badekuren gehen chemische (Iod) und physikalische (hydrostatischer Druck) Effekte Hand in Hand, um den Zellschutz, vor allem Endothelschutz, zu verbessern. Es erscheint daher mehr als gerechtfertigt zu sein, die Iodsolekuren als moderne prophylaktische und gesundheitsfördernde Maßnahme zu bezeichnen. Gleichzeitig wird jedoch klar, dass enormer Forschungsbedarf besteht und zwar auf hohem universitärem Niveau. Neben den vielen unverzichtbaren unspezifischen Wirkungen einer Kur sollten die spezifischen auch weiterhin im medizinischen Blickfeld bleiben.
Mir ist durchaus bewusst, dass ich mich mit diesen geschilderten Gedanken nicht im gegenwärtigen Trend der Kurentwicklung befinde. Interessanterweise beginnt man jedoch zumindest im Ausland sich zu informieren, wo es vielleicht doch sinnvoll sein könnte, Iodsole medizinisch einzusetzen – auch dort, wo man der Meinung war, alle Badewannen wegen vermeintlicher völliger Rückständigkeit und wegen Vorhandenseins von evidenzbasierten Reha-Konzepten entfernen und auf den Einsatz von örtlichen Kurmitteln verzichten zu müssen.
Wieder einmal soll aufgezeigt werden, dass auch durch sogenannte passive Maßnahmen Regulationsmechanismen sehr aktiv werden können und dass daher das nicht selten vorschnell gefällte Werturteil, Muskelaktivität sei gut und gesund und passive Maßnahmen minderwertig, nicht gerechtfertigt ist. Es gehört nach wie vor zur Kunst der kurärztlichen Verordnung, ein möglichst individualisiertes Kurprogramm unter Einbeziehung aller – aktiver und passiver – am Kurort möglichen Therapien, für den Patienten auszuwählen.

Literatur beim Verfasser