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Innovationsmotor in der Medizin

Biotech-Aktien stehen neuerdings in der Gunst der Anleger – mit gutem Grund: Der Sektor steht für Quantensprünge in der Medizin, zweistellige Wachstumsraten und attraktive Bewertung.


Foto: Bildagentur Waldhäusl

Rund 60 Prozent Kursgewinn in einem Jahr oder 25 Prozent per anno über die letzten drei Jahre lassen das Anlegerherz höher schlagen. Mit einem Investment in die Fonds DWS Biotech Aktien Typ 0 oder ESPA Stock Biotec hat man gegenüber Anleihen, Aktien aus der Pharmaindustrie oder anderen Branchen und sogar Gold eine deutliche Outperformance erzielt. Die Frage ist: Kann diese Rallye noch weitergehen oder baut sich womöglich wieder eine neue Blase wie zur Jahrtausendwende auf?
Keineswegs, sind sich Analysten und Fondsmanager einig: Die Biotechnologie wird für die Pharmabranche angesichts deren magerer Pipelines, permanenten Preisdrucks durch Generika und Kostendrucks seitens der staatlichen Krankenversicherer immer wichtiger. Denn diese vergleichsweise junge Disziplin steht für innovative Wirkstoffe und Therapien und ist damit der Zukunftspfeiler der Medizin. Mittlerweile stammen bereits mehr als die Hälfte der Top 10 Medikamente aus der Biotech-Industrie. Tendenz weiter steigend. Der Sektor ist erwachsen geworden und die Aktien sind trotz der Kurssprünge immer noch günstig bewertet.
Biotec-Companies stehen traditionell für Jungunternehmertum, klein, innovativ, Forscherkultur, flache Strukturen und einzelne Projekte, die über Gedeih und Verderb entscheiden. Doch dieses Image hat sich mitunter längst geändert: „Im Jahr 2000 hat die Biotech-Industrie mehr Geld verbrannt als Gewinn gemacht“, erinnert sich Christian Lach, Senior Portfolio Manager der Schweizer Adamant Biomedical Investments. „Inzwischen ist rund ein Viertel der im Nasdaq Biotechnology Index gelisteten Unternehmen profitabel.“ Einige Companies sind bereits sehr groß geworden und schreiben üppige Gewinne – wie Amgen, fast schon ein klassisches Pharmaunternehmen mit Biotech-Produkten. Oder: Novo Nordisk, das sich selbst als Pharmaunternehmen bezeichnet, von seinen Produkten her aber eindeutig ein Biotech-Unternehmen ist. Ähnliches gilt für Roche, das durch die Übernahme der auf Onkologie spezialisierten Genentech zu einem der größten Biotech-Unternehmen mutierte.
Fazit: Die Grenzen zwischen Pharma und Biotech verschwimmen immer mehr. Dahinter steht nicht zuletzt die Frage der finanziellen Ressourcen: Denn das Biotech-IPO-Modell der 1990er-Jahre funktioniert nicht mehr. Damals konnten Start-up-Firmen mit etwas Fantasie auf einen bahnbrechenden Wirkstoff relativ leicht Risikokapital über Private Equity Firmen oder den Aktienmarkt aufnehmen. Doch diese Quellen sind längst versiegt.

Kooperationen und Übernahmen

Heute werden Biotec-Companies, die an einem vielversprechenden Produktkandidaten forschen, von den großen Pharmafirmen durch Kooperationen finanziert. Ausgedünnte Produktpipelines, Preisdruck durch Generika und Kostendruck als Folge der Gesundheitsreformen in vielen Ländern haben diesen Trend beschleunigt. „Die Pharmaunternehmen waren gezwungen, ihre Forschungsbudgets zu durchforsten und sich auf ihre chancenreichsten Kandidaten zu konzentrieren“, konstatiert Norbert Janisch, Fondsmanager des Raiffeisen Capital Management Healthcare Fonds. „Während früher Milliarden Dollar in die eigene Forschung investiert wurden, sind die Unternehmen vor allem in den letzten drei Jahren verstärkt Kooperationen eingegangen“, beobachtet Harald Kober, Fondsmanager des ESPA Biotec Stock.
Als Alternative zu Kooperationen dreht sich das Übernahmekarussell immer schneller – oft geht es um Milliardenbeträge. Dazu einige konkrete Beispiele: Der französische Pharmakonzern Sanofi übernahm den auf seltene Erbkrankheiten spezialisierten US-Nischenmedikamentenhersteller Genzyme, die US-Pharmagruppe Gilead Sciences die auf neuartige Wirkstoffe gegen das Hepatitis-C-Virus spezialisierte Pharmasset und der US-Pharmakonzern Bristol-Myers-Squibb das ebenfalls auf Hepatitis-C-Erkrankungen spezialisierte Biotech-Unternehmen Inhibitex.
Zuletzt erwarb Bristol-Myers Squibb mit AstraZeneca das US-Biotech-Unternehmen Amylin für ihr gemeinsames Diabetes Joint Venture von Ely Lilly. Amylin ist ein Pionier bei der noch jungen und bereits sehr erfolgreichen Klasse der GLP-1 Analoga. Sie hat drei zugelassene Medikamente, darunter Bydureon, die erste wöchentliche Diabetes-Typ-2-Therapie. Der Wirkstoff wird jetzt auch zur Behandlung von Adipositas getestet. Und der jüngste große Deal: Die britische GlaxoSmithKline übernahm das auf Antikörper-Technologie spezialisierte US-Biotechunternehmen Human Genome Sciences und konnte sich damit den Zugriff auf eine Reihe vielversprechender Wirkstoffe in der Entwicklung, darunter für Herzerkrankungen und Diabetes, sichern. Beide Unternehmen arbeiten schon lange zusammen und kooperieren unter anderem bei dem neuen Medikament Benlysta zur Behandlung der Autoimmunerkrankung Lupus, dem Experten allein in den USA Spitzenumsätze in Milliardenhöhe zutrauen. Kurzum: Kooperationen münden häufig in spätere Übernahmen.
Für vielversprechende Wirkstoffe sind die Akquisiteure auch bereit, entsprechende Prämienzuschläge zu bezahlen. „Der Kaufpreis von elf Milliarden US-Dollar von Gilead für Pharmasset war ganz schön sportlich“, bemerkt Lach. „Meist liegt der Aufpreis zwischen 30 und 50 Prozent, bei kleineren Gesellschaften mitunter auch bei 100 Prozent, je nachdem wie der Wert der Technologie eingeschätzt wird“, erklärt der Experte. Eines ist jedenfalls klar: „Je früher der Wirkstoff in der Forschung ist, umso günstiger ist das Unternehmen zu kaufen“, ergänzt Kober. Das Übernahmethema werde den Sektor auch in Zukunft weiter antreiben.

Forschungsschwerpunkte

Das weitaus größte Forschungsgebiet ist die Onkologie. Denn der Bedarf an besseren Krebsmedikamenten ist ungebrochen. Diese heimtückische Krankheit ist nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO inzwischen die Todesursache Nummer eins. Die global zunehmende Lebenserwartung verstärkt diese Entwicklung, weil Krebs vorwiegend eine Alterskrankheit ist. Die Entwicklungspipeline für Onkologieprojekte ist prall gefüllt und sogar deutlich größer als die Summe aller Pipeline-Projekte für andere Krankheiten. Von den 76 Humanarzneimitteln, die 2012 bei der Europäischen Medizin-Agentur (EMA) zur Bewertung eingereicht wurden, waren 18 Einreichungen, also ein Viertel, für Onkologie. Derzeit sind über 200 Krebsarten klassifiziert. Auf der jährlichen weltweiten Onkologiekonferenz ASCO wurden viele Daten neuer Medikamente für Prostata- und Brustkrebs sowie andere Krebsarten vorgestellt.
Forschungsschwerpunkt Nummer zwei sind Erkrankungen des Zentralnervensystems, insbesondere Alzeimer, eine Alterskrankheit, die ebenfalls wegen der steigenden Lebenserwartung stark zunimmt. Die WHO rechnet mit einer Verdreifachung auf 106 Millionen Fälle bis 2050. Bisher ist Alzheimer nur symptomatisch vorübergehend behandelbar und die Hoffnung auf neue, bessere Medikamente wurde vor Kurzem wieder zerstört: Pfizer, Johnson & Johnson und Eli Lilly mussten ihre Projekte in fortgeschrittener klinischer Forschung für gescheitert erklären. Große Hoffnung liegt jetzt auf Roche, das drei Ansätze in Phase II erforscht, darunter einen auf Basis des niedermolekularen MAO-B Inhibitor von Evotec.
Weitere große Forschungsgebiete sind Infektionen, Krankheiten des Bewegungsapparats, der Herzkranzgefäße, des Immunsystems und Hormonstörungen. Seltene Krankheiten, früher in der Forschung kein Thema, werden neuerdings häufig in Angriff genommen.
Gerade in der Krebsforschung gab es zuletzt wieder einige gute Entwicklungsfortschritte, berichtet Lach von Adamant: „Drei Monate früher als erwartet wurde von der US-Food and Drug Association (FDA) das Medikament Xtandi zugelassen, das bei Prostatakrebs in spätem Stadium ein Überleben signifikant verlängern kann.“ Roche lancierte mit Pertuzumab ein neues Medikament gegen Brustkrebs auf dem Markt. „Gute Daten kamen zuletzt von der norwegischen Algeta ASA für das Prostatakrebsmittel Alpharadin sowie von der amerikanischen Exelixis für eine Form von schwer behandelbarem Schilddrüsenkrebs“, sagt Lach. Der Wirkstoff befindet sich auch in später Phase gegen Prostatakrebs.

Biosimilars & Co

Zwar neigt sich auch bei vielen Biotech-Medikamenten der ersten Stunde der Patentschutz dem Ende zu. Die Situation der Biotechindustrie ist aber weitaus weniger dramatisch als jene der Pharmaindustrie Ende der 1990er-Jahre. Denn die Pipeline ist mit rund 7.500 Entwicklungskandidaten gut gefüllt und trägt zunehmend Früchte. Zudem haben Biotechprodukte eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit, auf den Markt zu gelangen. Wurden zwischen 2001 und 2010 von der FDA im Schnitt 25 Medikamente pro Jahr zugelassen, so kann man durch den starken Anstieg an Projekten in der letzten Phase der klinischen Entwicklung künftig mit etwa 35 Zulassungen pro Jahr rechnen – nicht zuletzt auch deshalb, weil die USA Innovation fördert und die FDA den Zulassungsprozess beschleunigt hat. Dazu kommt: „Biotechprodukte erzielen höhere Spitzenumsätze, also Peak Sales, und haben nach Ende des Patentschutzes mit einer geringeren Preiserosion zu kämpfen“, konstatiert Lach. Zum Vergleich: Die Preise für herkömmliche Medikamente brechen nach Patentablauf durch nachdrängende Generika schnell mehr als die Hälfte, mitunter bis zu 90 Prozent, ein, weil niedermolekulare Verbindungen ohne großen Forschungsaufwand kostengünstig hergestellt werden können. Bei Biosimilars, also den Generika von Biologika, geht man dagegen davon aus, dass der Preisverfall nicht nur weitaus geringer, sondern auch entscheidend langsamer erfolgen wird, weil die hochmolekularen Substanzen nicht so rasch mit demselben Wirkungs- und Sicherheitsprofil nachgebaut werden können. Dazu kommt: „Es gibt auch noch keine klaren Richtlinien für den Zulassungsprozess in den USA und in Europa“, erklärt Janisch von Raiffeisen Capital Management.
Fazit: Die Aussichten für die Biotechindustrie bleiben vielversprechend. Dividendenausschüttungen werden zwar auch in Zukunft zumeist kein Thema sein. Doch die Bewertung der Aktien ist mit einem durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis von 14 immer noch günstig. Die überdurchschnittliche Outperformance der jüngeren Vergangenheit wird sich vermutlich nicht einfach fortschreiben lassen. Aber ein zweistelliges Wachstum der Gewinne und damit attraktive Kurs-Chancen erscheinen durchaus realistisch.  emb