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Im Moor zum inneren Gleichgewicht

Ein wesentliches Kennzeichen der komplexen balneomedizinischen Kur ist die iterative Anwendung des natürlichen ortsgebundenen Heilvorkommens. Eine besondere Stellung nehmen dabei die Anwendungen von Peloiden ein, die dem Bereich der Thermotherapie zugeordnet werden können.


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Autor: Ao. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Marktl
GAMED, Wiener Internationale Akademie für Ganzheitsmedizin
Sanatoriumstr. 2, 1140 Wien
marktl(at)gamed.or.at

Für die Lebensqualität des Menschen spielt das Befinden eine wesentliche Rolle. Lebensqualität und Befinden können mithilfe strukturierter Fragebögen evaluiert werden, entziehen sich jedoch der Bewertung durch Untersuchungsverfahren auf physikalischer oder chemischer Basis, wie sie in der Funktions- und Labordiagnostik eine tragende Rolle spielen. Wie in verschiedenen Studien gezeigt werden konnte, kann während einer komplexen Kur eine statistisch signifikant nachweisbare Besserung verschiedener Parameter des Befindens und der Lebensqualität wissenschaftlich gesichert werden, wobei diese positiven Effekte nachhaltig sind und auch noch bis zu einem Jahr nach Ende der Kur festgestellt werden können.

Kennzeichen einer komplexen Kur

Wie aus dem Begriff einer komplexen Kur hervorgeht und wohl auch allgemein bekannt ist, beruhen die positiven Effekte einer Kur grundsätzlich auf Kombinationen der verschiedenen kurtherapeutischen Maßnahmen, die gemeinsam mit Milieufaktoren etc. den nachhaltigen Kurerfolg hervorrufen. Ein wesentliches Kennzeichen der komplexen balneomedizinischen Kur ist die iterative Anwendung des natürlichen ortsgebundenen Heilvorkommens. Wie aus eigenen Untersuchungen im ehemaligen Forschungsinstitut in Bad Tatzmannsdorf hervorgeht, werden diese Heilvorkommen bzw. deren Anwendungen von den Kurgästen sehr geschätzt. Eine besondere Stellung nehmen dabei die Anwendungen von Peloiden ein, die dem Bereich der Thermotherapie zugeordnet werden können.

Grundlegende Bemerkungen zur Thermotherapie und Thermoregulation

Anwendungen von Kalt-, besonders aber von Warmreizen gehören zu den ältesten Verfahren der Naturheilkunde. Die wohltuende Wirkung von Wärme kann mit der Physiologie der Thermoregulation des menschlichen Organismus in Verbindung gebracht werden.
Im Zusammenhang damit kann darauf hingewiesen werden, dass der Mensch als tropisches Lebewesen betrachtet werden kann, weil Leben im Tropenklima aus der Sicht des Wärmehaushalts als thermo-energetisch günstig zu betrachten ist und vom Organismus keinen großen thermoregulatorischen Aufwand zur Aufrechterhaltung der Körperkerntemperatur im Bereich von 35 bis 37 °C fordert. Dies kann als eine mögliche Erklärung dafür herangezogen werden, warum Menschen im Allgemeinen Wärmereize als angenehmer empfinden als Kältereize. Dies manifestiert sich unter anderem in der Bevorzugung warmer Gegenden für Urlaubs- und damit auch für Erholungszwecke. Therapeutisch erwünschte Wirkungen exogener Wärmezufuhr wurden wiederholt und ausführlich beschrieben, befassen sich allerdings vorwiegend mit somatischen Funktionen bzw. deren Störungen. Im Vergleich dazu wird den psychischen Effekten der Wärmeapplikation keine vergleichbare Aufmerksamkeit gezollt. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Informationen von den Thermosensoren nicht nur zwecks vegetativer Thermoregulation zum Hypothalamus, sondern auch zum limbischen System und zur sensiblen Großhirnrinde geleitet werden, wodurch eine bewusste Wahrnehmung und eine emotionale Bewertung thermischer Reize erfolgt. Damit ist auch eine sinnesphysiologische Basis für psychische Effekte thermischer Reize gegeben. Die Bedeutung der subjektiven thermischen Empfindung kommt auch im Begriff des thermischen Komforts zum Ausdruck, wie er in der Bioklimatologie verwendet wird.

Definitionen im Zusammenhang mit dem Peloidbegriff

Bei den Peloiden handelt es sich um Sedimente organischer und anorganischer Herkunft, die durch geologische und geologisch-biologische Vorgänge entstanden sind. Diese Sedimente sind entweder bereits in ihrer natürlichen Form feinkörnig oder sie werden durch bestimmte Verfahren in einen feinkörnigen Zustand gebracht. In dieser Form gelangen sie dann zur Anwendung am Menschen.
In Abhängigkeit von der Herkunft und der Zusammensetzung werden grundsätzlich folgende Arten der Peloide unterschieden:

  • Torfe (Hochmoortorf, Niedermoortorf, Moorerde)
  • Schlamme (Schlick, Mineralschlamm)
  • Heilerden

Bei den Torfen überwiegen die organischen Inhaltsstoffe, bei den Heilerden und Schlammarten die anorganischen Bestandteile. Das Lager, in dem sich der Torf befindet, ist das Moor, in dem sich der Torf aus abgestorbenen Pflanzen und Kleinlebewesen entwickelt. Schlamme setzen sich aus Gewässern ab, die üblicherweise in geringen Mengen enthaltenen organischen Verbindungen stammen aus den Lebewesen dieser Gewässer. Heilerden entstehen bei der Verwitterung fester Gesteine. Der Hauptvertreter dieser Peloidart ist der Ton.
Der Begriff Peloid für diese bezüglich ihrer Herkunft unterschiedlichen Materialien bringt zum Ausdruck, dass es sich dabei um Materialien handelt, die therapeutisch eingesetzt werden. Eine Besonderheit der Peloide stellen die im Vergleich zu Wasser unterschiedlichen thermophysikalischen Eigenschaften dar. Es geht im Wesentlichen dabei um eine langsamere Wärmeleitung im Peloidbrei und eine damit zusammenhängende höhere Wärmehaltung. Diese Eigenschaften ermöglichen es, Peloide mit höheren Temperaturen an der Körperoberfläche einwirken zu lassen, ohne dass dabei eine unangenehme Wärmebelastung erfolgt. Im Peloidbrei verändert sich die Temperatur während der balneotherapeutisch relevanten Zeit von 20 Minuten nur sehr geringfügig. Peloide können daher sehr gut für die Zwecke der Thermotherapie verwendet werden. Die günstigen thermophysikalischen Eigenschaften der Peloide kommen in erster Linie den organischen Peloiden, das heißt den Torfen zu, wie sie im Moorlager gefunden werden, und sind für anorganische Heilerden nicht so ausgeprägt.

Im Moor zum inneren Gleichgewicht

In einer umfangreichen Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München(1) wurde die Wirksamkeit von Moorbädern auf physiologische und psychologische Stressparameter untersucht. Diese Untersuchungen wurden während der ersten und dritten Kurwoche durchgeführt. Bei allen untersuchten Variablen – Cortisol im Speichel, systolischer und diastolischer Blutdruck, Herzfrequenz und Befindlichkeitsparameter – konnten Unterschiede dieser Parameter im Vergleich zwischen dem Beginn und dem Ende des Moorbades statistisch gesichert werden. Im Einzelnen kam es bei den Parametern Speichel-Cortisol und bei den Blutdruckwerten zu statistisch signifikanten Abnahmen sowie zu Verbesserungen bei den psychischen Parametern Stimmung, Müdigkeit und Ruhe/Gelassenheit. Die Herzfrequenz stieg während der Mooranwendung an, dieser Anstieg war allerdings statistisch nicht signifikant. Bei der Untersuchung in der dritten Kurwoche zeigten sich tendenziell gleichartige Veränderungen, die aber zum Teil deshalb keine statistische Signifikanz erreichten, weil die Ausgangwerte zu Beginn des Moorbades in der dritten Kurwoche ein niedrigeres Ausgangsniveau aufwiesen als in der ersten Kurwoche. Diese Ergebnisse können im Sinne einer Stressentlastung durch die Mooranwendung interpretiert werden.

In einer Untersuchung, die im ehemaligen Forschungsinstitut in Bad Tatzmannsdorf unter der Leitung des Verfassers des vorliegenden Beitrags durchgeführt wurde, wurden verschiedene Therapieanwendungen durch die Kurpatienten subjektiv bewertet. Das Resultat dieser Untersuchung war, dass Mooranwendungen im Hinblick auf die positiven Auswirkungen auf Parameter wie Sympathie, Entspannung und Ermüdung nur von Massageanwendungen übertroffen wurden. Kohlensäurebäder wurden nicht ganz so positiv bewertet wie Mooranwendungen, die Applikation der natürlichen ortsgebundenen Kurmittel schneiden aber bezüglich aller Parameter deutlich positiver ab als Begleittherapien wie Gymnastik, Entspannung oder Elektrotherapie.

Schlussfolgerung

Die Ergebnisse der Peloidforschung erlauben die Aussage, dass es möglich ist, die Effekte der Anwendung eines natürlichen ortsgebundenen Heilvorkommens wissenschaftlich nachzuweisen, wie dies in diesem Beitrag am Beispiel von Peloidanwendungen gezeigt werden konnte.

(1) Im Moor zum Inneren Gleichgewicht. Abschlussbericht für das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. Projektleitung A. Schuh. Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung, Institut für medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie, Medizinische Klimatologie/Versorgungsforschung Kurortemedizin, Ludwig Maximilians Universität, München. 2013 – 2015.