Im Duett erfolgreich
Kopfschmerzen werden oft bagatellisiert, Patienten fühlen sich missverstanden und alleingelassen. Genau hier setzen die Klinische Psychologin und psychologische Schmerztherapeutin, Dr. Miriam Gharabaghi-Reiter, und die Fachärztin für Neurologie, Dr. Marion Vigl, an und bieten ihren Patienten ein ganzheitliches Konzept.

Neurologin Dr. Marion Vigl (li.) und Dr. Miriam Gharabaghi-Reiter, Klinische Psychologin und psychologische Schmerztherapeutin (re.)
Was genau bieten Sie in Ihrer Rolle als psychologische Schmerztherapeutin an?
Gharabaghi-Reiter: Durch meine langjährige Mitarbeit an der Kopfschmerzambulanz am AKH Wien, bei Prof. Dr. Christian Wöber, habe ich im Bereich Kopfschmerz viel Erfahrung gesammelt und mein Wissen über chronische Schmerzen vertieft. An der Klinik wurde damals auch eine gelungene Zusammenarbeit zwischen Neurologie und Psychologie gelebt. Mittlerweile gibt es für Psychologen eine Zusatzausbildung in psychologischer Schmerztherapie, durch die den Patienten gesichert wird, dass der jeweilige Psychologe ein umfassendes Wissen zum Thema Schmerz und Erfahrung in diesem Bereich mitbringt.
Was macht die Zusammenarbeit zwischen Ihren Fachgebieten aus?
Vigl: Bei der neurologischen Erstvisite erfolgt eine genaue Anamneseerhebung und eine neurologische Untersuchung, die diagnostische Zuordnung des Kopfschmerzsyndroms und eine Therapieempfehlung. Bei den Kontrollen wird der Therapieerfolg gemeinsam evaluiert und gegebenenfalls adaptiert. Die psychologische Schmerztherapie umfasst eine längerfristige und regelmäßigere Betreuung des Patienten.
Gharabaghi-Reiter: Wenn wir gemeinsam Patienten behandeln, holen wir uns anfangs das Einverständnis ein, uns über den Therapieverlauf auszutauschen. Dadurch, dass wir den Patienten unter verschiedenen Aspekten und in unterschiedlichen Situationen erleben und wahrnehmen, erweitert sich unser Einblick in das komplexe Krankheitsbild. So können wir unsere Therapie schnell und effektiv an neue Gegebenheiten anpassen.
Welche Vorteile bietet eine interdisziplinäre Behandlung?
Gharabaghi-Reiter: Mit unserem Therapieansatz können wir chronischen Schmerzpatienten besser helfen. Durch chronische Schmerzen sind nicht nur körperliche, sondern auch psychische und soziale Bereiche beeinträchtigt und in der Zusammenarbeit von Medizin und Psychologie werden diese Bereiche optimal abgedeckt. Ein interdisziplinärer, multimodaler Behandlungsansatz ist nachweislich der erfolgreichste in der Behandlung chronischer Schmerzen und mittlerweile State-of-the-Art.
Kopfschmerz ist nicht gleich Kopfschmerz: Wie kann man in einem ersten Zugang zum Patienten zu einer Klassifikation und damit auch zu einer passenden Therapie kommen?
Vigl: Durch eine gründliche und detaillierte Anamnese ergänzt durch den neurologischen Status kann man einen Großteil aller Kopfschmerzformen bereits bei der ersten Visite nach den Kriterien der IHS-Klassifikation diagnostizieren. In seltenen Fällen kann die differentialdiagnostische Unterscheidung aufgrund der Angaben des Patienten schwierig sein, hier kann meist das Führen eines Kopfschmerzkalenders sowie eine erneute Exploration helfen. In sehr seltenen Fällen ist eine weiterführende Diagnostik notwendig. Bereits bei der ersten Visite können die passenden Akutmedikamente verordnet und falls nötig kann eine medikamentöse Basisprophylaxe eingeleitet werden.
Wie sieht Ihr Patientenklientel aus?
Vigl: Der Großteil unserer Patienten leidet an Migräne oder chronischem Spannungskopfschmerz und ein nicht unbeträchtlicher Teil an medikamenteninduzierten Kopfschmerzen. Aber auch Patienten mit Clusterkopfschmerz und anderen trigemino-autonomen Kopfschmerzen sowie Gesichtsneuralgien und seltenen primären Kopfschmerzen kommen in unsere Praxis.
Ist Kopfweh nicht ein klassisches Gebiet der Selbstmedikation? Wann kommt ein Patient überhaupt zu Ihnen?
Gharabaghi-Reiter: Wir wissen aus Untersuchungen, dass Kopfschmerzen untertherapiert sind. Viele Betroffene halten sich jahrelang mit OTC-Präparaten über Wasser und das mit oft erheblichen negativen Auswirkungen wie etwa medikamenteninduziertem Kopfschmerz. Deswegen kommen auch viele Betroffene mit einer jahrzehntelangen Leidensgeschichte zu uns. Mittlerweile hat sich in Fachkreisen die Erkenntnis durchgesetzt, dass chronische Schmerzen am besten multiprofessionell, dem somato-psychosozialen Schmerzkonzept folgend, behandelt werden. Die meisten Kopfschmerzpatienten kommen durch die Empfehlung von Neurologen und durch Hausärzte zu mir in die Praxis.
Wie steht es um die Compliance, etwa beim Führen des Kopfschmerztagebuchs oder bei Entspannungsübungen?
Gharabaghi-Reiter: Das ist sehr unterschiedlich. Einige Patienten kommen hochmotiviert um eine Entspannungstechnik zu erlernen und bringen dafür die Zeit im Alltag auf, andere müssen erst lernen, sich Zeit für Entspannung zu nehmen, und in einigen wenigen Fällen ist es sinnvoll, die Therapie auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, weil die aktuelle Lebenssituation das Üben verhindert. Mein Motto ist in jedem Fall: Das Erlernen einer Entspannungsmethode soll keinen allzu großen, zusätzlichen Stress verursachen. Das Führen eines Kopfschmerzkalenders funktioniert in der Regel gut. Das Ausfüllen nimmt nur wenig Zeit in Anspruch und ermöglicht das Überprüfen von Therapieeffekten.
Welche psychologisch-schmerztherapeutischen Interventionen setzten Sie ein?
Gharabaghi-Reiter: Nachdem Stress ein nachgewiesener Auslöser für Migräneattacken ist sowie Spannungskopfschmerzen verstärkt und auch Patienten mit dem konkreten Wunsch kommen, eine Entspannungstechnik zu erlernen, beginne ich oft mit der Progressiven Muskelrelaxation oder Atemtechniken zur Stressreduktion. Fast immer geht es aber um mehr als das bloße Erlernen einer Technik. Das Spektrum ist da sehr breit, und reicht von der Behandlung einer Angstörung, über das Erlernen eines Stressmanagements bis hin zur Bearbeitung von Konflikten in der Arbeit. Das, was einer Person Stress, Angst macht oder Kopfschmerzen bereitet ist etwas sehr Persönliches. Deshalb passe ich die psychologische Schmerztherapie individuell an die Bedürfnisse der jeweiligen Patienten an.
Sie bieten ein von Ihnen entwickeltes Patientenprogramm für Migränebetroffene (MIPRO) an. Wie sieht das konkret aus?
Vigl: In unserem Migräneprogramm vermitteln wir den Teilnehmern das aktuelle Wissen zu Diagnosen, Entstehungsmechanismen und Therapiemöglichkeiten. Auf Basis einer Evidence Based Medicine lernen Patienten verschiedene Techniken der Schmerzbewältigung kennen und können diese auch praktisch üben. Wichtig ist uns auch die Möglichkeit zum Austausch in der Kleingruppe, um zu erfahren, dass es anderen ähnlich geht. Wir haben immer wieder Patienten, die aus unterschiedlichen Gründen ihre Kopfschmerzen anderen gegenüber jahrzehntelang verheimlichen. Durch die Diskussion unter professioneller Leitung sollen auch Mythen rund um die Kopfschmerzen und um Migräne geklärt werden, wie etwa dass Schokolade eine Migräneattacke auslöst.
Gharabaghi-Reiter: Das Hauptziel ist die Hilfe zur Selbsthilfe, der Patient wird selbst zum „Manager“ seiner Kopfschmerzen und ist diesen nicht mehr ohnmächtig ausgeliefert. Durch die erlernten Skills kann er eine aktive, selbstbestimmte Position auch bei chronischen Schmerzen einnehmen und seine Lebensqualität trotz Schmerzen deutlich verbessern.
Dr. Miriam Gharabaghi-Reiter, mgrkopfweh.at, Tel.: 0650/470 0067, www.kopfweh.at
Dr. Marion Vigl, mvkopfweh.at, Tel.: 0699/1968 6325, www.marionvigl.at
MIPRO Ordination, Schreyvogelgasse 10, 1010 Wien, www.kopfweh.at