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Hightech gegen Schmerzen

Chronische Schmerzzustände zählen mittlerweile zu den Volksleiden Nummer 1. Neben neuen, verträglicheren Medikamenten liefert vor allem die Medizintechnik Hoffnung für all jene, die ständig mit Schmerzen im Bewegungsapparat zu kämpfen haben.


Die Schmerztherapie ist ein weites Feld, dem die Patienten nie auszugehen scheinen. Die Internationale Vereinigung für Schmerzstudien definiert Schmerzen als „eine unangenehme Empfindung und emotionale Erfahrung im Zusammenhang mit tatsächlicher oder möglicher Gewebeschädigung” – und davon gibt es eine ganze Palette. Unser Körper ist offensichtlich unserem tendenziell ungesunden Lebensstil nicht gewachsen. Zu viel Sitzen, zu wenig ausgleichende Bewegung lösen bei vielen Menschen chronische Schmerzen aus. Dazu kommen noch die noch nicht ausreichend erforschten, psychischen Faktoren dazu. Wer ständig den sprichwörtlichen „schweren Rucksack“ an mentaler Belastung mit sich herumträgt, zeigt irgendwann auch tatsächlich körperliche Symptome.

Hohe Kosten belasten Volkswirtschaft

Die volkswirtschaftlichen Belastungen, die durch chronische Schmerzen für unsere Gesellschaft entstehen, sind in mannigfaltigen Studien gut dokumentiert. Chronische Schmerzen stellen einen signifikanten und teuren Posten in der Bilanz der Gesundheitssysteme in Europa dar. Etwa jeder fünfte Erwachsene leidet an chronischen Schmerzen, und ein Drittel bewertet diese Schmerzen als „schwer.“ Unangefochten auf Platz eins der „Schmerz-Charts“ liegt der Rücken, gefolgt von den Beinen. Mit dem berühmten „Kreuzweh“ haben wir überhaupt ein richtig schweres Kreuz zu tragen: Rückenschmerzen sind eine der teuersten vorkommenden Erkrankungen. Eine Studie zu den sozioökonomischen Kosten von Schmerzsyndromen in England schätzte die jährlichen direkten Gesundheitskosten von Rückenschmerzen auf 1,75 Milliarden Euro, die Kosten für informelle Versorgung und Produktionsverluste insgesamt auf 11,8 Milliarden Euro.

Werden Schmerzen nicht ernst genommen?

Neben den finanziellen Bürden ist es aber der Patient selbst, der mit seinen Schmerzen ein schweres Los hat. Einerseits ist es oft der lange Weg zu Diagnose und Therapie und parallel dazu die nachhaltigen Folgen für die Lebensqualität: Europäische Daten zeigen, dass 19 Prozent der chronischen Schmerzpatienten ihre Arbeit verlieren und sogar 21 Prozent depressiv werden. Dazu kommen Schlafstörungen und daraus folgende ständige Müdigkeit. Der Teufelskreis hat begonnen und nimmt sein Ende dann rasch in der Invaliditäts- bzw. Frühpensionierung.
Die Palette an Behandlungsmethoden ist ebenso breit gefächert wie die Schmerz­wahrnehmung und das Spektrum der Auswirkungen. Medikamente, Akupunktur, Physiotherapie, Elektrostimulation und, wenn am Ende gar nichts mehr hilft, die chirurgische Intervention. Nicht weniger alarmierend sind die Ergebnisse einer europaweiten Befragung: sie hat gezeigt, dass fast zwei Drittel der chronischen Schmerzpatienten ihre Schmerzkontrolle als nicht ausreichend empfinden. Dazu kommt, dass Klinik­ärzte nicht immer über die Fortschritte bei der Schmerztherapie oder darüber, wie auf die Expertise von Schmerzspezialisten zurückgegriffen werden kann, informiert sind. So erleben rund 50 Prozent der europäischen Schmerzpatienten seit den letzten beiden Jahren keine ausreichende Schmerzlinderung, gar 75 Prozent davon wurden noch nie einem Schmerzspezialisten vorgestellt.

„Schmerzschrittmacher“ mit iPhone-Technik

Wenn sich chronische Schmerzzustände – etwa im Wirbelsäulenbereich – selbst nach einer Operation nicht bessern, gibt es auch noch die Möglichkeit der Rückenmarksstimulationstherapie (SCS) oder Neuromodulation: Dabei wird ein Neurostimulator von der Größe einer Armbanduhr unter der Bauchhaut implantiert, der über einen oder mehrere Elektroden elektrische Impulse an die betroffenen Stellen des Rückenmarks abgibt. Normalerweise werden Schmerzsignale über das Nervensystem geleitet, die elektrischen Impulse des Neurostimulators verändern diese Schmerzsignale aber noch, bevor sie das Gehirn erreichen. Führend in diesem Bereich ist unter anderem die Firma Medtronic: Das System wird normalerweise in zwei Schritten implantiert. Am Anfang steht eine Versuchsperiode mit einem externen Stimulator, um festzustellen, ob die Therapie bei dem Patienten wirksam ist. Wenn der Versuch erfolgreich war, wird das vollständige Neurostimulationssystem implantiert. Die vollständige Implementierung dauert normalerweise weniger als zwei Stunden. Nach der Implantation programmiert der Arzt die Einstellungen des Neurostimulators für eine optimale Schmerzlinderung.
Der Abstand zwischen Rückenmark und Elektroden ist immer entscheidend dafür, ob der Patient zur Schmerzbehandlung das richtige Maß an Stimulation erhält. Dieser „Rückenmarksabstand’“ ändert sich abhängig davon, ob der Patient aufrecht steht, sich in Rücken- oder Bauchlage befindet. Deshalb kann eine Positionsänderung ohne Veränderung der Stimulationseinstellungen dazu führen, dass der Patient eine unangenehme Stimulation oder suboptimale Analgesie verspürt. Um das zu verhindern, hat man jetzt den weltweit ersten Rückenmarksstimulator auf dem Markt eingeführt, der immer und überall eine automatisierte, auf den Patienten zugeschnittene Analgesie liefert. Das Gerät kann über einen kleinen Beschleunigungssensor, wie er auch in Spielkonsolen oder Smartphones eingebaut ist, die Bewegung und Position des Patienten erfassen, um dann automatisch das passende Stimulationslevel zu wählen.

Geringe Nebenwirkungen

Das Gerät hilft bei der Behandlung chronischer, nicht beherrschbarer Schmerzen wie etwa beim Failed-Back-Syndrom (FBS) oder bei degenerativen Bandscheibenerkrankungen, die auch nach Operationen nicht verschwinden, aber auch bei Blasenschwäche konnte der Neurosimulater bereits erfolgreich eingesetzt werden.
Die SCS ist eine erwiesene und kostenwirksame analgetische Therapie. Die zweijährige PROCESS-Studie hat vor Kurzem gezeigt, dass bei Ergänzung der konventionellen medizinischen Behandlung um SCS bei Patienten mit Schmerzen der unteren Extremitäten mit oder ohne Rückenschmerzen signifikante Verbesserungen hinsichtlich der Schmerzlinderung und der Lebensqualität beobachtet werden. Im letzten Jahr hat das britische National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) ihre Anwendung bei Erwachsenen mit bestimmten Formen chronischer neuropathischer Schmerzen zugelassen. Wie alle Behandlungen ist auch die SCS-Therapie nicht völlig risikofrei. Unerwünschte und unangenehme Veränderungen der Stimulation, Hämatome, Liquorleckage oder sekundäre Haut- bzw.  Schleimhautveränderungen können fallweise auftreten, dazu kommen die operativen Risiken.

ck
Foto: bildagentur waldhäusl