Hat die Ärztehaftpflichtversicherung Lücken?
Eine neue Entscheidung des OGH zeigt mögliche Lücken in der Ärztehaftpflichtversicherung auf.

Wenn Eltern klagen, stellt sich für den Arzt die wichtige Frage: Wogegen bin ich tatsächlich versichert?
„Als Fachärztin für Gynäkologie mit eigener Praxis brauche ich einen besonders umfassenden Versicherungsschutz, da gleichzeitig zwei Menschenleben, nämlich nicht nur die Schwangere, sondern auch das Kind betroffen sind“ – erklärte Frau Dr. S* dem Mitarbeiter der M*-Versicherung AG, bei der sie 1996 ihre Betriebshaftpflichtversicherung abschloss. In zwei Verfahren vor dem Landesgericht Innsbruck ist Frau Dr. S* nun mit hohen Schadenersatzforderungen konfrontiert.
Haftung für künftige Schäden
Die beiden parallel gegen die Ärztin geführten Verfahren betreffen den Vorwurf eines Elternpaars, die Gynäkologin habe bei einer Ultraschalluntersuchung übersehen, dass das Kind am „Down-Syndrom“ leide, weshalb dieses nicht abgetrieben worden sei. Die Klagsforderung des Vaters beläuft sich auf einen Betrag von Euro 357.280,48 und setzt sich zusammen aus Euro 14.112,00 an Unterhalt, Euro 162.000,00 an Pflegemehraufwand, Euro 26.168,48 an Therapiekosten und Euro 130.000,00 an psychischem Schmerzensgeld.
Zudem begehrte der Vater die Feststellung der Haftung für sämtliche zukünftige Schäden. Im zweiten Verfahren verlangt die Mutter des Kindes für Geburtsschmerzen Euro 5.000,00, für den Schockschaden wegen der Diagnose „Down-Syndrom“ Euro 10.000,00 sowie psychisches Schmerzensgeld von Euro 125.000,00.
Mit diesen Forderungen konfrontiert, erstattete die Ärztin Schadensmeldung an die M*-Versicherung AG. Dann kam das böse Erwachen. Die Versicherung sagte zwar zu, für die Personenschäden, also das Schmerzensgeld aufzukommen. Für die „reinen Vermögensschäden“ übernahm die Versicherung den Schaden aber nur bis zum Betrag von Euro 7.267,29 (ATS 100.000,00). Eine darüber hinausgehende Deckung lehnte die Versicherung unter Hinweis auf die Versicherungsbedingungen ab.
Grundsatz von Treu und Glauben
In dieser existenzbedrohenden Situation blieb Frau Dr. S* nur mehr der Gang zu Gericht. Sie klagte die Versicherung auf Feststellung, dass sie ihr aus der abgeschlossenen Ärztehaftpflichtversicherung den gesamten drohenden Schaden ersetzen muss. Im Verfahren berief sich die Versicherung auf die allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung. Danach sind Schadenersatzverpflichtungen aus reinen Vermögensschäden nur bis zu einer Versicherungssumme von ATS 100.000,00 gedeckt.
Der Oberste Gerichtshof gab Frau Dr. S* nun prinzipiell Recht: Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben hätte der Mitarbeiter der beklagten Versicherung die Ärztin auf eine bestehende Deckungslücke in der Versicherung aufmerksam machen müssen. Dies umso mehr, als der Versicherung die Rechtsprechung bekannt sein musste, die zu existenzbedrohenden Berufsrisiken von Gynäkologen führt. Die Versicherung darf sich in diesem Fall nicht allein auf die allgemeinen Versicherungsbedingungen zurückziehen.
Aufklärung über Verträge
Allerdings ist das Verfahren noch nicht zu Ende. Die Ärztin wird nun zu beweisen haben, welche Haftpflichtversicherung zu welchen Bedingungen sie im Jahr 1996 abschließen hätte können und auch abgeschlossen hätte, wäre sie über die Deckungslücke rechtzeitig aufgeklärt worden. Erst wenn ihr diese Beweise gelingen, wird die Versicherung zahlen müssen. OGH 31. 8. 2011, 7 Ob 72/11f
Anmerkung
Die Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung gelten nicht nur für die M*-Versicherung AG. Sie werden generell den Betriebshaftpflichtversicherungen zugrunde gelegt. Der Ersatz reiner Vermögensschäden ist nach diesen Bedingungen mit Euro 7.268,00 (ATS 100.000) begrenzt.
Das betrifft solche Schäden, die nicht der Patient erleidet, sondern die bei dritten Personen eintreten, die – ausnahmsweise – in den Schutzbereich des ärztlichen Behandlungsvertrags einbezogen sind, was insbesondere auf die Eltern eines noch ungeborenen Kindes zutrifft. Die Entscheidung sollte daher insbesondere für Gynäkologen Anlass sein, die bestehende Haftpflichtversicherung auf eine Deckungslücke hin zu überprüfen und sich gegebenenfalls höher zu versichern.
mn
Foto: bildagentur waldhäusl
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