Gesundes Portfolio
Patentklippe, leere Staatskassen und der Preisdruck durch Generika bringen klassische Pharmakonzerne in Bedrängnis. Healthcare bleibt dennoch ein spannendes, globales Investmentthema. Der neue Trend heißt: Biotech, Generika und Emerging Markets.
Am 30. November 2011 wurde es für den weltweit größten Pharmakonzern Pfizer schließlich bittere Realität: Der Cholesterinsenker Lipitor hatte seinen exklusiven Patentschutz in den USA verloren. Mit einst bis zu knapp 13 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz war Lipitor das erfolgreichste Medikament der globalen Pharmaindustrie, mit rund 15 Prozent Umsatzanteil für den US-Konzern die wichtigste Einnahmequelle. Mit dem Patentablauf sind Preis und Marktanteil für das Erfolgsprodukt durch nachdrängende Generika erodiert.
Pfizers Lipitor ist kein Einzelfall, sondern nur prominentes Opfer der gefürchteten Patentklippe. Der Ablauf von Patenten für Blockbuster bedeutet für viele Pharmakonzerne den Verlust von Milliardenumsätzen. Damit nicht genug: Leere Pipelines, Preisdruck angesichts staatlicher Sparmaßnahmen in den Industrieländern und wachsende Konkurrenz durch kostengünstigere Nachahmerprodukte bringen die Arzneimittelhersteller gehörig unter Druck. So manche Pharmaaktie ist damit als Geldanlage ungeeignet geworden. Ärzte, die bei ihren Anlageentscheidungen weiterhin vom Megatrend Gesundheit profitieren wollen, müssen sich neu orientieren. Die chancenreichen Investments sind künftig vor allem in den Bereichen Biotech und Generika sowie in den Emerging Markets zu finden.
Demografie und Emerging Markets
Der Gesundheitsmarkt zählt aufgrund der demografischen Entwicklung eindeutig zu den globalen Wachstumssektoren: „Bis 2050 wird die Bevölkerung um ein Drittel auf mehr als neun Milliarden Menschen ansteigen und die Zahl der über 60-Jährigen wird sich auf zwei Milliarden Menschen verdreifachen“, erklärt Cyrill Zimmermann, CEO der Schweizer Adamant Biomedical Investments. Mehr Menschen leben also länger, sind aber nicht in gleichem Maß in hohem Alter gesünder. Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Alzheimer sind daher stark im Vormarsch. Damit nimmt der Bedarf an Medikamenten zwangsläufig zu.
Mit dem steigenden Lebensstandard in den Emerging Markets wird sich auch die geografische Verteilung der Ausgaben für Medikamente verändern. In China und Indien wachsen die Gesundheitsausgaben im Schnitt um 15 Prozent pro Jahr – und damit etwa fünfmal so stark wie in den Industrieländern. Der Aufholbedarf ist entsprechend groß. Denn in China betragen die jährlichen Gesundheitsausgaben pro Kopf erst 177 US-Dollar verglichen mit knapp 4.000 Dollar in den OECD-Staaten. Das amerikanische Marktforschungsinstitut IMS Health geht davon aus, dass die Medikamentenumsätze bis 2015 mit zirka 300 Milliarden Dollar fast gleich hoch sein werden wie im größten Gesundheitsmarkt USA, der auf dem aktuellen Niveau von 335 Milliarden mehr oder weniger stagnieren wird.
Patentklippe
Von diesen Trends können die klassischen Arzneimittelhersteller aber nur eingeschränkt profitieren, wenn ablaufende Patente nicht durch neue patentgeschützte Produkte ersetzt werden. In den USA haben 2011 Medikamente mit einem Umsatzvolumen von 20 Milliarden US-Dollar ihren Schutz verloren. 2012 wird mit 35 Milliarden Dollar der Höhepunkt der Patentabläufe erreicht, bis 2016 sind es weitere jeweils rund 15 Milliarden Dollar pro Jahr. Zu den betroffenen Blockbustern zählen neben Pfizers Lipitor das Blutverdünnungsmittel Plavix von Bristol-Myers Squibb/Sanofi mit 6 Milliarden Dollar Umsatz, das Schizophreniepräparat Seroquel von AstraZeneca mit 4,3 Milliarden Dollar oder das Bluthochdruckmittel Diovan von Novartis mit 1,9 Milliarden Dollar in diesem Jahr. 2013 verliert das Depressionsmedikament Cymbalta von Ely Lilly mit 3,1 Milliarden Dollar den Patentschutz, 2014 der Protonenpumpenhemmer Nexium von AstraZeneca mit 6,3 Milliarden Dollar.
Die Preise von Medikamenten, deren Patentschutz abgelaufen ist, kommen wegen der nachdrängenden Generika rasch unter Druck. Denn die Nachahmerprodukte sind im Schnitt um 50 bis 80 Prozent, mitunter auch bis zu 90 Prozent billiger, weil die Hersteller sich die langwierige und teure Forschung und Entwicklung ersparen. Mindestens ebenso problematisch ist für die Branche, dass ihre Pipeline sehr ausgedünnt ist. „Der klassische Pharmamarkt von rund 650 Milliarden Dollar wird wegen der Patentabläufe und fehlenden Innovation wertmäßig nur noch zwischen zwei und fünf Prozent steigen“, glaubt Zimmermann. „Generika und Biotech, die aktuell auf ein Umsatzvolumen von rund 120 Milliarden respektive 100 Milliarden Dollar kommen, werden dagegen um zehn beziehungsweise 15 Prozent pro Jahr wachsen.” Das heißt: Der Umsatzanteil von Generika und Biotech dürfte bis 2020 von 25 auf 40 Prozent des Gesundheitsmarktes zunehmen. Während es bei Generika vor allem um das Massengeschäft mit großem Potenzial in Europa und in den Emerging Markets geht, steht bei Biotech die Innovation im Vordergrund. „Schon heute sind fünf der zehn umsatzstärksten Medikamente biotechnologischen Ursprungs“, betont Zimmermann.
Kosten senken
Die großen klassischen Pharmakonzerne haben deshalb umfassende Restrukturierungsprogramme lanciert, um ihre hohen Gewinnmargen möglichst aufrechtzuerhalten. Zum einen werden die Kosten drastisch gesenkt – schon allein deshalb, „weil die staatlichen Krankenversicherer die Preise Jahr für Jahr zwischen drei und fünf Prozent drücken“, erklärt Norbert Janisch, Fondsmanager des Raiffeisen-Healthcare-Aktien Fonds. Zum anderen haben Pharmaunternehmen ihre Aktivitäten entweder auf bestimmte Gebiete stark konzentriert oder ihren Aktionsradius auf vielversprechende Sektoren ausgeweitet. Typische Beispiele dafür sind die Schweizer Pharmariesen: Roche ist mit der Komplettübernahme von Genentech auf Onkologie fokussiert. Die geplante Übernahme des Gensequenzierungsspezialisten Illumina sollte ihre Diagnostiksparte stärken, um ihre führende Stellung in der personalisierten Medizin auszubauen. Dieser Übernahmeversuch ist jedoch gescheitert. Novartis, neben innovativen Arzneimitteln in den Bereichen Impfstoffe und Diagnostika tätig, expandierte mit der Übernahme von Alcon in den Bereich Augenheilprodukte. Die französische Sanofi umschifft ihre Patentklippe für Plavix (Blutverdünnung), Aprovel (Bluthochdruck), Lantus (Insulin) und Taxotere (Krebs) durch verstärkten Verkauf in Schwellenländern, den Ausbau der Tiermedizin sowie die Übernahme des auf seltene Erbkrankheiten spezialisierten US-Nischenmedikamentenherstellers Genzyme.
Firmen übernehmen
Nachdem die Entwicklung eines neuen Medikaments bis zur Marktreife meist zehn Jahre dauert und rund eine Milliarde US-Dollar verschlingt, „ist es für klassische Pharmakonzerne kostengünstiger und effizienter, kleinere Unternehmen mit guter Pipeline zuzukaufen als große Summen in Grundlagenforschung zu investieren“, erklärt Harald Kober, Fondsmanager des ESPA Stock Pharma und ESPA Stock Biotec. Dieser Trend lässt sich an der Zahl der Übernahmen leicht ablesen: 2009 wurden fünf Biotechfirmen übernommen, 2010 waren es acht und 2011 elf. Nachdem Innovation die große Herausforderung für die Pharmaindustrie ist, bleibt das Übernahme-Thema nicht nur für Pharma-, sondern auch für Biotech-Unternehmen topaktuell: Zu den jüngsten Übernahmekandidaten zählen der Hepatitis C-Spezialist Inhibitex durch Bristol-Myers Squibb sowie der Hepatitis C-Spezialist Pharmasset durch Gilead Sciences oder der Krebsspezialist Micromed durch Biotech-Branchenführer Amgen. Innovation wird neuerdings auch von der US-Gesundheitsbehörde FDA gefördert, berichtet Zimmermann. „Durch ihr aktives Coaching sollte die Zulassungswahrscheinlichkeit deutlich steigen.” Im Vorjahr wurden 37 neue Medikamente zugelassen, einer der höchsten Werte seit den 1990er-Jahren. Außerdem ist der Zulassungsprozess der FDA schneller geworden. Medikamente mit besonders innovativen oder lebensrettenden Substanzen werden – wie im Fall von Roche für Zelboraf (schwarzer Hautkrebs) und Erivedge (weißer Hautkrebs) – von der FDA sogar beschleunigt zugelassen.
Spannende Investments
Als Geldanlage sind die Aktien insbesondere von jenen Unternehmen interessant, die eine führende Marktstellung einnehmen, global aufgestellt sind und mit Innovation, hohem Cashflow und attraktiver Dividendenrendite punkten wie Novartis, Roche oder Sanofi. Der Gesundheitskonzern Johnson & Johnson ist durch seine unterschiedlichen Standbeine (Pharma, medizinische Geräte und Konsumgüter/Hygieneprodukte), die weltweite Verankerung, steigende Gewinne und Dividenden eine attraktive Value-Perle. Die dänische Novo Nordisk überzeugt als Innovations- und Weltmarktführer in der Diabetesbehandlung mit der breitesten Produktpalette der gesamten Industrie und der stärksten Verankerung in China und Indien, wo die Krankheit am raschesten zunimmt. Die deutsche Fresenius SE beziehungsweise ihre Tochter Fresenius Medical Care (siehe Story Seite 12) ist als Weltmarktführer für Dialyse ebenfalls in Asien fest verankert. Kräftige Gewinnsteigerungen verbucht auch die israelische Teva Pharmaceuticals, der weltweit größte Generikahersteller, der durch Zukäufe wie die deutsche Ratiopharm oder die US-Biotechfirma Cephalon seine Abhängigkeit von einzelnen Märkten oder Produkten wie dem Originalpräparat Copaxone gegen Multiple Sklerose verringern will. Zu den aufstrebenden Generikafirmen zählt auch etwa die indische Lupin, die bereits ein Drittel ihres Umsatzes in den USA erwirtschaftet. Die britische GlaxoSmithKline (GSK) setzt mit Konsumgütern, rezeptfreien Medikamenten und Impfstoffen auf Diversifikation, allesamt Produktkategorien, die weniger unter politischem Preisdruck stehen und bei der Eroberung der Emerging Markets hilfreich sein dürften. GSK hat zudem kurzfristig wenig Konkurrenz durch Generika zu erwarten. Das auf Krebsmittel spezialisierte US-Biotechunternehmen Celgene liefert verlässlich steigende Gewinne und hat eine gut gefüllte Pipeline. Sein Blutkrebsmittel Revlimid ist bereits ein Blockbuster. Dem US-Biotechunternehmen Vertex Pharmaceutical gelang im Vorjahr mit Telaprevir gegen Hepatitis C der Durchbruch in einen Milliardenmarkt, dessen Potenzial neuerdings auf bis zu 20 Milliarden US-Dollar geschätzt wird. Ende Jänner erhielt Vertex die FDA-Zulassung für Kalydeco zur Behandlung einer durch Gendefekt verursachten seltenen Form der Lungenkrankheit zystische Fibrose. Die südkoreanische Celltrion ist die spannendste Biosimilars Firma, die von zunehmenden Patentabläufen bei Biotechprodukten profitieren wird und für die Emerging Markets bestens positioniert ist.
Zu den Favoriten darf nach der erfolgreichen Restrukturierung auch das österreichische Impfstoffunternehmen Intercell wieder zählen, ebenso die deutsche Biotechfirma Evotec, die über eine umfangreiche Expertise in der Wirkstoffforschung und eine industrialisierte Technologieplattform verfügt. Evotec hat darüber hinaus zahlreiche Forschungsallianzen und Entwicklungspartnerschaften mit den Größen der Branche, darunter Roche, Novartis, Teva, Genentech oder Boehringer Ingelheim. Im Sektor Medizinaltechnik sind vor allem der Marktführer Medtronic interessant sowie Biosensors, ein Stentspezialist aus Singapur, oder der amerikanische minimalinvasive Herzklappenspezialist Edwards Lifesciences.
Kurzum: Das Thema Gesundheit bleibt für Ärzte nicht nur medizinisch, sondern auch auf den Aktienmärkten topaktuell.
emb
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