Gesunde Marktwirtschaft
Der 15. Gesundheitswirtschaftskongress konnte auch in diesem Jahr wieder mit einem neuen Rekord aufwarten: 450 Teilnehmer waren nach Wien gekommen, um über die Bedeutung, Chancen und Risiken ökonomischer Aspekte im Gesundheitswesen zu diskutieren.
Ob allein das stetig wachsende Interesse als Indiz für eine ebenso stetig wachsende Bedeutung der Ökonomie in der Medizin gedeutet werden kann, darüber herrschte unter den Experten allerdings Uneinigkeit. Dr. Martin Gleitsmann, Wirtschaftskammer Österreich und als Geschäftsführer der Plattform Gesundheitswirtschaft einer der Initiatoren der Veranstaltung, hat eher den Eindruck, „dass dieses Thema im Vergleich zu anderen Ländern in Österreich noch immer krass unterschätzt wird“. Dabei könne die Gesundheitswirtschaft gleich in mehrfacher Hinsicht zum Gemeinwohl wesentlich beitragen: Sie kann zum Beispiel helfen, die angespannte Situation am heimischen Arbeitsmarkt nachhaltig zu entschärfen. Bereits jeder siebente Beschäftigte komme nämlich inzwischen aus dem Umfeld der Gesundheitswirtschaft, Tendenz steigend. Das sollte nach Meinung Gleitsmanns für ein Land mit dem gegenwärtig zweitgrößten Wachstum bei den Arbeitslosenzahlen in Europa doch von gesellschaftspolitischer Relevanz sein. Auch als Wachstumsmotor für das Bruttoinlandsprodukt könnte die Gesundheitswirtschaft in einem „Land, das beim Wirtschaftswachstum das vierte Jahr hintereinander eine Null vor dem Komma hat“, eine gewichtigere Rolle spielen. Immerhin wächst derzeit kein anderer Wirtschaftszweig rascher als dieser.
Kleinteiliges Denken statt globaler Lösungsansätze
Prof. Dr. Jörg F. Debatin, Vice President von GE Healthcare, kann zwar gut nachvollziehen, warum die Patienten das heimische Versorgungssystem so positiv bewerten, warnte aber zugleich die politisch Verantwortlichen davor, sich deswegen zurückzulehnen. Es gebe globale Entwicklungen, führt Debatin aus, welche die Rahmenbedingungen massiv verändern würden. Das komme nicht so sehr aus der Gesundheitswirtschaft selbst heraus, sondern „es wird uns von außen aufgedrängt“, vor allem von der Informationstechnologie. Dafür brauche es globale Lösungsansätze, denn technologische Entwicklungen würden nicht vor Landesgrenzen halt machen. Über Europa mache er sich diesbezüglich Sorgen, meint der promovierte Mediziner rund Wirtschaftswissenschaftler, „weil das Denken hier zu kleinteilig ist. Wenn Europa aber keine Antworten anbieten kann, werden andere kommen und das übernehmen.“ Ein aktuelles Beispiel dafür sei IBMs Watson. Erst kürzlich habe IBM Daten um vier Milliarden US-Dollar gekauft, um damit Watson zu füttern und zu trainieren. „Das machen sie bestimmt nicht, weil sie Geld übrig haben.“
Auch für Dominik Bührle, Chief Strategy Officer der deutschen Silpion IT-Solutions GmbH, steht die Digitalisierung in der Medizin erst ganz am Anfang: „Es fängt gerade erst an. Derzeit ist die Gesundheitsbranche noch weit hinter anderen Branchen zurück.“ Viele Verantwortliche hätten das allzu lange für ein „vorübergehendes Phänomen“ gehalten, das sich „aussitzen“ ließe, meint Bührle: „Digitalisierung aber ist chronisch“, darauf werden sich alle Player einstellen müssen. Die Chance aus dem zögerlichen Beginn heraus liegt jedoch darin, dass man Fehler, die in anderen Branchen gemacht wurden, leichter vermeiden könne.
Die Menschen werden jedenfalls die Chancen nutzen, die ihnen neue Technologien bieten, prophezeit auch Debatin: „Sie werden uns vorantreiben, sodass wir gar keine Wahl haben. Die Patienten sind nicht mehr so geduldig wie früher, sie wollen Konsumenten werden.“ Wenn sich ein Trend weltweit beobachten lässt, dann sei es jedenfalls dieser: „Das Gesundheitswesen wird zunehmend
zu einem normalen Markt mitsamt seinen marktwirtschaftlichen Gesetzmäßig-
keiten.“ vw