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Generation Kopfschmerz?

Nicht nur Erwachsene, sondern auch immer mehr Kinder und Jugendliche leiden unter Kopfschmerzen und Migräne. Untersuchungen haben gezeigt, dass über 80 % der Zwölf- bis 19-Jährigen in den zurückliegenden sechs Monaten unter Kopfschmerzen litten.


Prof. Dr. Dr. Stefan Evers

Autor: Prof. Dr. Dr. Stefan Evers, Generalsekretär der International Headache Society und Chefarzt der Neurologischen Klinik, Krankenhaus Lindenbrunn/Coppenbrügge (D)
www.krankenhaus-lindenbrunn.de

Genau wie Erwachsene können auch Jugendliche häufig unter Kopfschmerzen leiden. So gelten Kopfschmerzen gar als die häufigste Gesundheitsstörung während der Schulzeit. Über 80 Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen klagten in den zurückliegenden sechs Monaten über Kopfschmerzen, wie eine Studie der Ludwig-Maximilians-Universität in München gezeigt hat.1 Bei fast jedem vierten Jugendlichen treten die Schmerzen einmal pro Woche oder sogar öfter auf. Mit zunehmendem Lebensalter steigt die Häufigkeit verschiedener Arten von Kopfschmerzen wie Migräne weiter an, der Charakter der Kopfschmerzen kann sich allerdings ändern.
Kopfschmerzen können in unterschiedlicher Intensität den Alltag beeinträchtigen. Der „normale“ Spannungskopfschmerz ist die häufigste Kopfschmerzart. Ob ein Patient zu Spannungskopfschmerzen oder Migräne neigt, ist eine Frage der Veranlagung. Eine Migräne wird oft begleitet von Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Lärmempfindlichkeit. Bewegung kann den Schmerz verstärken, der Schmerz ist oft einseitig und von stärkerer Intensität. Der Spannungskopfschmerz tritt hingegen meist ohne Begleitsymptome auf und hat eine geringere Intensität. Es gibt aber auch Patienten, die sowohl an Migräne als auch an Spannungskopfschmerzen leiden.

Warnsignale ernst nehmen

Es gibt einige wichtige Warnsignale, wann Kopfschmerzen einer genauen Untersuchung bedürfen: Dazu zählen Störungen, die auf das Nervensystem zurückzuführen sind, wie zum Beispiel Sehstörungen, Doppelbilder, Koordinationsstörungen oder Lähmungserscheinungen. Warnzeichen sind auch gegeben, wenn Kopfschmerzen in bislang unbekannter Art auftreten, so zum Beispiel an einer anderen Stelle, in veränderter Intensität oder wenn Medikamente keine Wirkung zeigen. Eine ärztliche Untersuchung kann möglicherweise ergeben, dass weitere Fachdisziplinen einzubeziehen sind. Wenn eine Medikamenteneinnahme empfohlen wird, sollte das Medikament in einer an das Körpergewicht und das Alter des Kindes angepassten Dosierung verabreicht werden. Nur so sind erfolglose medikamentöse Versuche, die eher zu einer Verfestigung der Kopfschmerzsymptomatik führen, zu verhindern.

Jugendliche besonders gefordert

Generell können Jugendliche unter denselben Arten von Kopfschmerzen leiden wie Erwachsene. Dennoch ist es möglich, dass Kopfschmerzen bei Jugendlichen in einem anderen Zeitmuster auftreten. Die Symptome können durchaus unterschiedlich ausfallen. Wichtig ist, die Symptome jugendlicher Patienten ernst zu nehmen. Auch Jugendliche selbst müssen lernen, eigenverantwortlich auf ihre Kopfschmerzen zu reagieren. Treten die Kopfschmerzen häufiger oder länger anhaltend auf, ist der Bedarf für ein Therapiekonzept gegeben.
Manchmal bedarf es gerade bei Jugendlichen sehr viel Mutes, sich zu seinen Schmerzen zu bekennen. Wichtig ist, dass Jugendliche selbst eine Pause einfordern, wenn Kopfschmerzen zum Beispiel in der Schule auftreten. Dann kann schon eine Auszeit beispielsweise in einem Ruheraum genügen. Auch über den sicheren Einsatz von Medikamenten in der Schule sollten Jugendliche aufgeklärt sein, wenn Kopfschmerzen auftreten. Wichtig ist auch, dass Jugendliche früh reagieren, damit Kopfschmerzen nicht den Alltag beherrschen. Prinzipiell stehen für Jugendliche bei Kopfschmerzen dieselben Behandlungsoptionen zur Verfügung wie für Erwachsene. Je nach Stärke der Beeinträchtigung kann auch der Einsatz eines altersgerechten Schmerzmittels mit genauen Vorgaben hinsichtlich Dosis und Einnahmefrequenz angemessen sein. Jugendliche sollten Schmerzerkrankungen nur dann selbst behandeln, wenn sie die Schmerzen kennen und Erfahrungen mit dem jeweiligen Medikament gemacht haben. Wichtig bei der eigenverantwortlichen Behandlung von Schmerzen ist es, sich an klar definierte Regeln zu halten. Schmerzmittel dürfen nicht häufiger als zehn Tage im Monat und nicht länger als drei Tage hintereinander eingenommen werden.

Altersgerechte Präventions- und Therapieangebote

Gerade Kopfschmerzen haben bei Jugendlichen in den letzten 40 Jahren deutlich zugenommen. Inzwischen ist etwa jedes sechste Schulkind betroffen und als beratungs- bzw. behandlungsbedürftig einzustufen. Daher ist ein Ausbau eines altersgerechten Behandlungsangebots, das den Unsicherheiten und Erwartungen der Jugendlichen und ihrer Eltern Rechnung trägt, dringend erforderlich. Besonders wichtig ist es, Jugendlichen und Eltern angemessene Strategien gegen den Schmerz zu vermitteln.
Basis einer jeden Therapie ist der Einsatz eines sogenannten Schmerztagebuches. Ergänzend kommt die Beratung über medikamentöse Optionen, verhaltenstherapeutische Elemente und eine individualpsychologische Behandlung bis hin zu einer altersentsprechenden stationären psychosomatisch ausgerichteten Schmerztherapie in Frage. Mit effizienten Maßnahmen lässt sich ein nachhaltiges Ergebnis bei drei von vier Jugendlichen erzielen. An Informationen und Angeboten, die speziell auf die Bedürfnisse von Jugendlichen mit Kopfschmerzen eingehen, mangelt es gegenwärtig. Daher hat sich in Deutschland die „Initiative Schmerzlos“ etabliert, die sich zum Ziel gesetzt hat, in Zusammenarbeit mit renommierten Neurologen, Pädiatern und Schmerzexperten Eltern und Erziehungsberechtigte von Kindern im Teenageralter aufzuklären. Ab Sommer startet eine entsprechende Aufklärungsinitiative auch in Österreich.

1) R. von Kries, F. Heinen, A. Straube. MUKIS: Münchner Untersuchung zu Kopfschmerzen bei Gymnasiasten - Interventionsstudie. Erste Ergebnisse der MUKIS-Erstbefragung. LMU Ludwig-Maximilians-Universität München. Stand: Juli 2012.

Mythos oder Wahrheit?

Kopfschmerzen sind nicht gleich Kopfschmerzen. Es gibt viele verschiedene Formen mit unterschiedlichen Ursachen und Symptomen. So verwundert es nicht, dass die Erkrankung wie kaum eine andere von Mythen und Legenden umrankt ist, was ihre Ursachen, Auswirkungen oder auch die Vorbeugung betrifft.

  1. Mythos 1: Haltungsschäden und neue Medien
    Es ist nicht bewiesen, dass ein übermäßiger Gebrauch von Smartphone, Tablet & Co. Kopfschmerzen verursachen kann. Allerdings besteht ein Zusammenhang zwischen Spannungskopfschmerzen und häufigem Einsatz von Smartphones etc. Hintergrund ist hierbei auch, dass sich Kinder und Jugendliche mit häufigem Smartphone-Gebrauch weniger bewegen.
  2. Mythos 2: Wenig Schlaf
    Man hat schlecht geschlafen, fühlt sich schlapp und elend – und dann kommen auch noch Kopfschmerzen. Doch normalerweise führt zu wenig Schlaf nicht direkt zu einem dröhnenden Schädel. Vielmehr können andere Probleme beim Schlafen dahinterstecken: Viele Menschen mit einem Schlafapnoe-Syndrom leiden unter morgendlichen Kopfschmerzen, auch wenn sie genügend geschlafen haben.
    Auch nächtliches Zähneknirschen kann zu Kopfschmerzen am Morgen führen. Ein besonderer Kopfschmerz, der sogenannte „Schildkröten-Kopfschmerz“, tritt auf, wenn man nachts zu viel Kohlendioxid einatmet, zum Beispiel weil man die Decke über dem Kopf hatte.
  3. Mythos 3: Zu viel Kaffee
    Wer an Wochentagen viel Kaffee trinkt und am Wochenende damit eine Pause macht, kann durch den Koffein-Entzug Kopfschmerzen bekommen. Nur selten werden Kopfschmerzen durch den Genuss von Lebensmitteln verursacht.
  4. Mythos 4: Vollmond als Auslöser
    Es gibt mehrere große Studien, die den Einfluss des Vollmonds auf sogenannte subjektive Symptome untersucht haben, wie etwa Schmerzen oder Müdigkeit. Dabei konnte kein Einfluss des Vollmondes auf das Auftreten von Kopfschmerzen gefunden werden.
  5. Mythos 5: Orale Kontrazeptiva
    Jugendliche Frauen werden häufig vor der ersten Einnahme darauf hingewiesen, dass die Pille zu Kopfschmerzen führen kann. Grundsätzlich verursacht die Einnahme der Pille aber keine Kopfschmerzen. Nur wenn Frauen eine Veranlagung zu Migräne haben, kann eine Einnahme die Migräne an Intensität und Häufigkeit verstärken. Außerdem kann es durch die Pille vermehrt zu Sehstörungen, einer sogenannten Migräneaura, kommen. Es gibt aber auch den umgekehrten Fall, dass Frauen mit Migräne von der Pille profitieren.
  6. Mythos 6: Fehlsichtigkeit
    Oft denken Eltern, dass ihre Kinder schlecht sehen, wenn sie über Kopfschmerzen klagen. Dies ist aber nur in Ausnahmefällen so und nur für die Kurzsichtigkeit auch belegt. Nur eine augenärztliche Untersuchung kann klären, ob wirklich Sehstörungen hinter den Kopfschmerzen stecken.
  7. Mythos 7: Hoher Blutdruck
    Ein systolischer Blutdruck (der erste Wert im Zahlenpaar) bis zu 200 mmHg führt nicht zu Kopfschmerzen und wird im Allgemeinen ohne Beschwerden toleriert. Daher ist es wichtig, regelmäßig den Blutdruck zu messen, denn man selbst merkt einen erhöhten Blutdruck häufig nicht. Nur wenn der Blutdruck krisenhaft systolisch auf über 200 mmHg ansteigt, kann er zu Kopfschmerzen führen, dann treten aber häufig neben den Kopfschmerzen auch noch andere Symptome auf.

Quelle: www.initiative-schmerzlos.de