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Fokus Arthrose

Das Forschungsinstitut Gastein ist auf dem Weg in die Ludwig Boltzmann Gesellschaft.


Dr. Markus Ritter, Univ.-Prof. Dr. Günter Steiner

Grafik: FOI

Autoren: Univ.-Prof. Dr. Markus Ritter1,2, Dr. Martin Gaisberger1,2, Julia Landrichinger, MSc1,2, Univ.-Doz. Dr. Werner Kullich2, Dr. Burkhard Klösch2 und Univ.-Prof. Dr. Günter Steiner2,3
1Institut für Physiologie und Pathophysiologie – Forschungsinstitut Gastein
Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Strubergasse 22, A-5020 Salzburg, www.pmu.ac.at
2Ludwig Boltzmann Cluster für Rheuma­tologie, Balneologie und Rehabilitation, www.lbg.ac.at
3Universitätsklinik für Innere Medizin III
Medizinische Universität Wien
Währinger Gürtel 18-20, 1090-Wien
www.meduniwien.ac.at
markus.ritter(at)pmu.ac.at und
guenter.steiner(at)meduniwien.ac.at

Als Folge des in den letzten Jahrzehnten erfolgten rapiden Anstiegs des Durchschnittsalters der Bevölkerung hat sich auch die Anzahl der Patienten mit degenerativen Erkrankungen des Bewegungsapparates drastisch erhöht. So leiden circa 10 bis 20 % der Bevölkerung an degenerativen Gelenkserkrankungen und im höheren Alter sind es Schätzungen zufolge sogar über 50 % der Bevölkerung, die unter dem Verschleiß der Gelenksknorpel, sprich unter Arthrose – in der englisch-sprachigen Literatur als Osteoarthritis bezeichnet –, leiden.
Trotz dieser alarmierenden Zahlen sind die therapeutischen Möglichkeiten zur Behandlung der Arthrose begrenzt und beschränken sich im Wesentlichen auf Schmerztherapie und physikotherapeutische Maßnahmen. Kollagene vom Typ II, IV, X sowie Proteoglyane wie Aggrecan spielen eine zentrale Rolle im Rahmen der Physiologie des Knorpelstoffwechsels. In der Pathologie der Arthrose kommt es zu einem langsamen, aber immer weiter fortschreitenden Abbau dieser „Gelenksschmierstoffe“, sodass langfristig der gesamte Knorpel abgebaut wird und das Gelenk prosthetisch ersetzt werden muss. Da es, wie bereits erwähnt, zurzeit keine effizienten medikamentösen Therapieansätze für diese Erkrankung gibt, kommt angesichts der immer älter werdenden Bevölkerung der Erforschung der Pathophysiologie der Arthrose sowie der Entwicklung von wirksamen und risikoarmen Therapieoptionen eine immer größer werdende Bedeutung zu.
Das Forschungsinstitut Gastein (FOI) beschäftigt sich bereits seit seiner Gründung im Jahr 1935 mit der Erforschung der vielfältigen Wirkungsweise des Heilmittels Radon. Seit dem Jahr 2006 ist das FOI ein eigenständiges Institut der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) Salzburg. Durch die Eingliederung des FOIs in das Institut für Physiologie und Pathophysiologie haben die Wissenschaftler des FOIs Zugang zu modernsten wissenschaftlichen Techniken und die Möglichkeit, Forschung auf hohem Niveau zu betreiben. Dabei stehen besonders die Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparates im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Tätigkeiten.

Kooperation von LBC und FOI

Der Ludwig Boltzmann Cluster (LBC) für Rheumatologie, Balneologie und Rehabilitation setzt seinen Forschungsschwerpunkt ebenso im Feld der entzündlichen und degenerativen rheumatischen Erkrankungen. Aus diesem Grund wurde der Wissenstransfer zwischen LBC und FOI in den vergangenen Jahren vertieft, die Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit gelegt und mit Beginn des aktuellen Jahres wurde das Forschungsinstitut Gastein als neues Mitglied in den LBC für Rheumatologie, Balneologie und Rehabilitation aufgenommen.
Der LBC für Rheumatologie, Balneologie und Rehabilitation ist eine der Forschungseinrichtungen der im Jahr 1960 gegründeten Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG), welche nach dem weltbekannten österreichischen Physiker, Mathematiker und Philosophen Ludwig Boltzmann benannt ist. Die LBG betreibt in 15 Instituten und fünf Clustern Forschung vor allem auf dem Gebiet der Life Sciences, aber auch der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften. Derzeit sind in den Instituten und Clustern zirka 550 Personen beschäftigt. Die LBG setzt einen zentralen Schwerpunkt in der Verbindung der Schnittstelle zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung. Gefördert wird dies durch ein beispielhaftes Partnerschaftsmodell, welches sich durch verschiedenste und konstruktive Kooperationen mit institutionellen Partnerorganisationen wie zum Beispiel der Medizinischen Universität Wien, der PMU Salzburg oder der Pensionsversicherungsanstalt auszeichnet. Die Finanzierung der Forschungsaktivitäten wird somit einerseits durch die LBG und andererseits durch die Partnerorganisationen gedeckt, wodurch außeruniversitäre Forschung auf höchstem Niveau ermöglicht wird.
Der LBC für Rheumatologie, Balneologie und Rehabilitation wurde im Jahr 2006 durch Zusammenschluss mehrerer kleiner Ludwig Boltzmann Institute (LBI) gegründet und umfasste bis dato drei Institute an unterschiedlichen Standorten in Österreich. Dazu gehören das LBI für Rheumatologie und Balneologie in Wien-Oberlaa, das LBI für Rehabilitation Interner Erkrankungen in Saalfelden und die Boltzmann Forschungsstelle für Epidemiologie Rheumatischer Erkrankungen in Baden. Jedes Institut betreibt krankheits- und patientenorientierte Forschung im jeweiligen Sektor und erforscht dabei die Wirksamkeit von verschiedenen Therapien. Da insbesondere die Balneologie und die Rehabilitation in Forschungsfragen leider allzu oft vernachlässigt werden, legt der Cluster das Hauptaugenmerk speziell auf die Forschung in diesen Fachgebieten und die Wirkmechanismen von Heilverfahren bei degenerativen rheumatischen Erkrankungen, insbesondere der Arthrose. Durch translationale und grundlagenwissenschaftliche Forschung sollen primär die molekularen und zellulären Abläufe während oder im Verlauf spezieller Therapien – wie Schwefelbäder, Kernspinresonanztherapie und Radon-Balneotherapie – untersucht werden. Im Zentrum der klinischen Forschung steht die Verbesserung bestehender und Entwicklung neuer Therapiemittel und Rehabilitationsprogramme, ebenso wie die Analyse von Wirksamkeit und Nachhaltigkeit und darüber hinaus die Prüfung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses.

Schwefel in Wien-Oberlaa

Das LBI für Rheumatologie und Balneologie in Wien-Oberlaa setzt seinen Forschungsschwerpunkt in die Aufklärung von zellulären und molekularen Mechanismen der Schwefelbadtherapie. Bereits über Jahrhunderte hinweg hat das Baden in schwefelhaltigem Thermalwasser zur Behandlung von rheumatischen, inflammatorischen und degenerativen Erkrankungen Tradition. Auch heute noch wird diese Therapieform bei den genannten Leiden erfolgreich angewandt. Der Mindestschwefelgehalt in Heilwässern wurde bereits im Jahr 1911 im Zuge des „Bad Nauheimer Beschlusses“ mit >1 mg/kg Wasser titrierbaren, zweiwertigen Schwefels (S–2) festgelegt. Jedoch existieren wenige evidenzbasierte Studien, welche die genaue Wirkungsweise der Schwefeltherapie näher beleuchtet haben.
In grundlagenwissenschaftlichen Studien wird daher unter Einsatz von biochemischen, zell- und molekularbiologischen Methoden die zelluläre und molekulare Wirkung von Schwefelwasserstoff (H2S) in vitro auf verschiedene humane Zelltypen untersucht, welche am rheumatischen Krankheitsgeschehen wie synoviale Fibroblasten, Monozyten, Makrophagen und Chondrozyten beteiligt sind. Diese Zellen weisen im Zuge von entzündlichen sowie degenerativen Prozessen eine veränderte Zytokin-Synthese auf.
Als typisch gilt die vermehrte Produktion des pro-inflammatorischen Zytokins IL-6, welches eine entscheidende Rolle beim Abbau von Knochen und Knorpeln spielt. In Versuchen konnte gezeigt werden, dass H2S eine dosisabhängige Hemmung der IL-6 Produktion in Fibroblasten bewirkt, die aus dem Gelenk von Arthrose-Patienten isoliert wurden und außerdem die Ausschüttung der Matrix-Metalloproteinasen, welche für den Abbau des Knorpels verantwortlich sind, hemmt. Darüber hinaus konnte in Versuchen mit dreidimensionalen Zellmatrixschichten, welche die natürliche Umgebung der Zellen simulieren, eine Hyperplasie der Zellen, ausgelöst durch das pro-inflammatorische Zytokin IL-1β, bei gleichzeitiger Inkubation mit H2S, vollständig unterbunden werden. An den für den Knor-pelaufbau essenziellen Chondrozyten zeigt H2S ebenfalls eine stark anti-inflammatorische Wirkung.
Diese Ergebnisse legen nahe, dass H2S nicht nur in der Balneologie einen positiven hemmenden Effekt auf das inflammatorische Geschehen hat, sondern auch, dass sich die Einnahme von Schwefel-haltigen Präparaten durchaus positiv auf den Gesamtorganismus auswirken könnte. Aus diesem Grund soll der Forschungsschwerpunkt des LBI für Rheumatologie und Balneologie in den nächsten Jahren auf die Wirkung von H2S und Schwefel-haltigen Verbindungen bei degenerativen Erkrankungen der Gelenke (Arthrose) gelegt werden.

Rheumaschwerpunkt in Baden

In Baden bei Wien befindet sich die Forschungsstelle für Epidemiologie Rheumatischer Erkrankungen. Im Zentrum der wissenschaftlichen Aktivitäten stehen Berechnungen von Kosten, die durch rheumatische Erkrankungen verursacht werden. So wurden zum Beispiel Studien zu den Kosten des Weichteilrheumatismus sowie eine Studie zu Kosten des chronischen unspezifischen Kreuzschmerzes durchgeführt, in der die durch diese Leiden hervorgerufenen hohen jährlichen Kosten dargestellt wurden. Eine weitere Studie befasste sich mit der Effizienz von freiwilligen Rückenschulprogrammen bei Personen mit chronischen Rückenschmerzproblemen.

Rund um interne Erkrankungen in Saalfelden

Das LBI für Rehabilitation Interner Erkrankungen in Saalfelden ist im Rehabilitationszentrum der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) eingegliedert und wird durch eine Außenstelle im Rehabilitationszentrum der PVA in Gröbming ergänzt. Dabei bedient die Abteilung in Gröbming in Kooperation mit den Medizinischen Universitäten Wien und Graz den zellulären und grundlagenwissenschaftlichen Part der Forschung, wohingegen klinische Studienansätze in Saalfelden koordiniert und durchgeführt werden.
Das LBI für Rehabilitation Interner Erkrankungen betreibt angewandte Rehabilitationsforschung und beschäftigt sich mit dem Outcome von stationären Rehabilitationsaufenthalten, dabei werden neben den rheumatischen auch interne Erkrankungen sowie Stoffwechselerkrankungen und Risikofaktoren von Herz-Kreislauferkrankungen näher beleuchtet.
Ziel ist es nach mehrwöchigem Kuraufenthalt festzuhalten, was und wieviel die Einzeltherapie im Rahmen des multimodalen Rehabilitationskonzeptes gebracht hat. Es wird überprüft, ob Parameter wie die Verbesserung des Gesundheitszustandes bzw. der Leistungsfähigkeit die Reduktion von Krankenständen, Arztbesuchen und Krankenhausaufenthalten sowie der Erhalt der Arbeitsfähigkeit mittels der durchgeführten Rehabilitationsmaßnahmen positiv beeinflusst werden konnten.
Dabei kommen auch spezielle Therapiemethoden zum Einsatz wie zum Beispiel die therapeutische Anwendung der Kernspinresonanz. So werden derzeit Patienten mit Schulterschmerzen während eines stationären Rehabilitationsaufenthaltes mit neuesten Kernspinbehandlungsgeräten therapiert.
Doppelblinde Studien konnten bereits therapeutische Wirkungen – Schmerzreduktion, Verzögerung von Operationen, Verbesserung der Beweglichkeit/Funktion – bei Arthrose der Hand- und Kniegelenke, aber auch bei Wirbelsäulenbeschwerden nachweisen. Parallel dazu wurde in Zellkulturexperimenten versucht, die Effekte der Kernspinresonanz direkt auf zellulärer Ebene zu messen. Diese In-vitro-Versuche zeigten milde supprimierende Effekte bei den pro-inflammatorischen Zytokinen IL-6 und IL-8 sowie bei Metalloproteinasen, aber auch signifikante Effekte bei der Regulation von intrazellulärem Kalzium.
In einer weiteren klinischen Studie mit einem Gerät zur dynamischen Extensionsbehandlung, dem GammaSwing, konnte ein erfolgreiches Rehabilitationskonzept für chronischen Rückenschmerz etabliert werden. Durch eine Streckung der Wirbelsäule mittels harmonischer Schwingungen konnte im Rahmen einer dreiwöchigen Rehabilitation ein größerer Effekt erzielt werden als in der Vergleichsgruppe, welche Wirbelsäulenmassagen erhielt. Der positive Effekt auf Funktion und Schmerz konnte noch sechs Monate nach der Rehabilitation dokumentiert werden.

Weiteres Clustermitglied Gastein

Mit dem Forschungsinstitut Gastein erweitert sich der LBC für Rheumatologie, Balneologie und Rehabilitation um eine weiteres Clustermitglied, welches die Wirksamkeit einer altbewährten Therapiemethode für rheumatische, inflammatorische und degenerative Erkrankungen erforscht. Gemeinsam mit dem LBI für Rehabilitation Interner Erkrankungen erarbeitet das FOI bereits die Auswirkung von entzündlichen Prozessen und oxidativem Stress in zellulären Systemen. Als Modellsystem dienen antigenpräsentierende Immunzellen, die bei Entzündungen mit der Synthese von pro- und anti-inflammatorischen Zytokinen, antioxidativen Enzymen und Stoffwechselprodukten reagieren. In einer für die kommenden Jahre geplanten Studie soll die Wirksamkeit der Radontherapie an Patienten mit Arthrose im Rahmen eines stationären Kuraufenthaltes untersucht werden.
Es kann also mit gutem Grund erwartet werden, dass die Erweiterung des LBC für Rheumatologie, Balneologie und Rehabilitation eine Bündelung der Kräfte auf dem Gebiet der Arthroseforschung bewirken wird. Somit besteht berechtigte Hoffnung, dass die sich daraus ergebenden Synergien zu einem besseren Verständnis der Pathophysiologie der Arthrose und zur Entwicklung neuer Therapieoptionen beitragen werden.

Literatur beim Verfasser