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Externer Nachschub

Nach den Mega-Mergers der Pharmaindustrie im vorigen Jahrzehnt geht es jetzt meist um kleinere Deals – vorzugsweise um Kandidaten mit innovativen Produkten für die Medikamenten-Pipeline. Davon können auch Privatanleger profitieren, die rechtzeitig auf das richtige Pferd gesetzt haben.


Samuel Stursberg, Adamant Biomedical Investment;Harald Kober, Erste Sparinvest; Harald Schwarz, Medical Strategy

Nach zweimonatigem Verhandlungspoker war die Entscheidung am 26. August schließlich fix: Der US-Biotech-Riese Amgen schluckt für 10,4 Milliarden US-Dollar den kleineren US-Rivalen Onyx Pharmaceuticals und stärkt damit seine Position auf dem Hoffnungsmarkt der Krebsmedizin. Für die Aktionäre beider Unternehmen war der Deal ein gutes Geschäft: Wer Aktien von Onyx bereits vor der Ankündigung Ende Juni im Portfolio hielt, durfte sich über einen satten Kurssprung von zwischenzeitlich bis zu 60 Prozent und per saldo mehr als 40 Prozent freuen. Amgen-Aktionäre verbuchten ein Kursplus von mehr als zehn Prozent. Übernahmen im Gesundheitssektor sind nicht nur aus medizinischer Sicht ein absolut spannendendes Thema. Bisweilen kann man – so wie im Fall Amgen/Onyx – auch als Investor davon profitieren – vorausgesetzt freilich, durch die Übernahme entsteht ein echter Mehrwert, wie zum Beispiel eine größere Pipeline mit viel versprechenden innovativen Produkten.

Pharma Mega-Mergers

Das Thema Übernahmen und Fusionen ist im Gesundheitssektor seit Jahren ein Dauerbrenner. Allein im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts gab es rekordhohe Deals in zweistelliger Milliardenhöhe – allen voran 2004 der Kauf von Aventis durch Sanofi-Synthelabo um 73,5 Milliarden US-Dollar oder 2000 die Übernahme von Smithkline Beecham durch Glaxo Wellcome in nahezu gleicher Größenordnung oder 2009 die Akquisition von Wyeth durch Pfizer. Der Hintergrund für die Mega-Mergers war
evident: Big Pharma, eine wachstumsverwöhnte Branche, musste konsolidieren, um sich für den bevorstehenden Patentablauf zahlreicher Medikamente und vor allem Blockbusters zu rüsten. Es ging dabei vor allem um Größe, Marktanteile und Kosteneinsparungen. Manche Konzerne wollten sich lieber auf das reine Pharmageschäft konzentrieren wie Ely Lilly, Bristol-Myers Squibb, Roche, AstraZeneca, andere lieber breit aufstellen wie Novartis, Sanofi, Bayer oder Johnson & Johnson.
„Die Mega-Mergers zwischen jeweils zwei Pharmafirmen sind allerdings etwas aus der Mode gekommen“, meint Samuel Stursberg, Head Research der Schweizer Adamant Biomedical Investment. In den letzten Jahren blieb zwar die Anzahl der Deals im Gesundheitssektor mit rund 150 bis 200 pro Jahr in etwa gleich. Das durchschnittliche Transaktionsvolumen ging aber deutlich zurück. 2012 gab es laut Wirtschaftsprüfer Ernst & Young Fusionen und Übernahmen von gut 60 Milliarden US-Dollar verglichen mit mehr als 90 Milliarden 2011. 2009 waren es sogar mehr als 140 Milliarden US-Dollar gewesen.

Unterschiedliche Motivationen

Stursberg beobachtet, dass die Beweggründe für Übernahmen sehr unterschiedlich und oft auch überlappend sein können: „Ein Grund ist der Zugang zu einer Technologieplattform und dazugehörendem Intellectual Property, ein anderer die Erweiterung der eigenen Produktpalette mit Produkten, die entweder schon auf dem Markt sind oder sich noch in der Entwicklung befinden.“ Manche Unternehmen würden sich wiederum vor allem Kosteneinsparungen durch Synergien in Produktion, Marketing und Verkauf, Forschung & Entwicklung oder Administration erhoffen. Harald Kober, Manager des ESPA Stock Biotec und ESPA Stock Pharma der Erste Sparinvest, präzisiert: „Gerade bei kleinen und mittelgroßen Biotech-Unternehmen, die bereits über ein Produkt verfügen, geht es oft um Vertrieb und Marketing, weil die Sales Force ein Asset der Großen ist.“ Bisweilen hat es auch bloß finanztechnische Gründe wie etwa eine verbesserte Steuersituation – wie im Fall Watson-Actavis. Denn: „Letztere hatte ihren Sitz in Zug in der Schweiz“, so Stursberg. „Im Grunde geht es immer um künftiges Wachstumspotenzial“, bringt Harald Schwarz, geschäftsführender Gesellschafter des deutschen unabhängigen Healthcare Investment-Beraters Medical Strategy, die Übernahme-Motivationen auf den Punkt. „Denn nur wachsende Unternehmen können ihren Wert steigern“.

Spannende Transaktionen

Eine der genialsten Übernahmen war zweifellos Roche/Genentech, erinnert sich Werner Lanthaler, CEO der auf Wirkstoffforschung spezialisierten deutschen Evotec: „Bei dieser  Transaktion wurde aus eins plus eins nicht zwei, sondern vier bis fünf.“ Als Roche 1990 einen kontrollierenden Anteil an der kleinen Biotechschmiede Genentech erwarb, wurde sie in der Branche belächelt. Viele bezweifelten damals, dass die Biotechnologie verwertbare Ergebnisse liefern würde. 2009 übernahm Roche auch die Minderheitsanteile. Der Preis von 44 Milliarden US-Dollar galt als viel zu teuer. In Wahrheit hatte sie sich von Anfang an gerechnet. Denn: „Die Übernahme wurde nicht von den Wissenschaftlern, sondern vom Finanzmanagement getrieben“, so Lanthaler. Fazit: Roche avancierte durch Genentech zu einem der führenden Biotech-Unternehmen.
Auch bei der Transaktion von Sanofi/Genzyme um rund 20 Milliarden US-Dollar 2010 ging es um den Einkauf einer Pharmafirma in ein Biotechunternehmen: Genzyme hatte sich auf den lukrativen Markt der seltenen Krankheiten spezialisiert.
Stursberg von Adamant hält die Übernahme von Pharmasset durch Gilead Sciences 2011 um rund elf Milliarden US-Dollar für einen der interessantesten Deals, „weil Gilead mit einem Schlag die Führerschaft für Hepatitis C sicherte und ihr die Pharmasset-Technologie im bereits etablierten HIV-Geschäft helfen könnte“. Schwarz von Medical Strategy führt überhaupt die Outperformance von Biotech-Aktien auf diese Transaktion zurück, „weil damit evident wurde, dass Innovation der klare Wachstumstreiber der Gesundheitsbranche ist“. Gilead-Aktionäre durften jubeln: Die Aktie verdreifachte ihren Kurs und überholte Amgen als wertvollstes Biotech-Unternehmen. Mindestens genauso spannend war freilich die kürzliche Übernahme von Onyx durch Amgen. Der Biotech-Riese blätterte mehr als zehn Milliarden US-Dollar für ein Unternehmen auf den Tisch, das 2013 nicht einmal ein Zehntel davon an Umsatz erwirtschaften dürfte (2012: 362 Millionen US-Dollar Umsatz und 163 Millionen Dollar Verlust). Onyx verfügt jedoch über eine prall gefüllte Onkologie-Pipeline – konkret: Das Nieren- und Leberkrebsmedikament Nexavar und das Darmkrebsmittel Stivarga, die beide mit dem deutschen Pharmakonzern Bayer entwickelt wurden, sowie der im Vorjahr von der US-Gesundheitsbehörde FDA zugelassene Wirkstoff gegen Knochenmarkkrebs (Multiples Myelom) mit dem Markennamen Kyprolis. Kurioses Detail am Rande: Onyx-CEO Tony Coles hatte 2009 mit der Übernahme von Proteolix um rund 850 Millionen Euro Kyprolis als fortgeschrittenen klinischen Kandidaten erworben. Inzwischen trauen Experten dem Medikament, das 2014 auch in Europa zugelassen werden soll, einen Spitzenumsatz von bis zu drei Milliarden US-Dollar zu.

Übernahmezuschläge

Je attraktiver ein potenzieller Übernahmekandidat ist, umso eher sind die Interessenten bereit, tiefer in die Tasche zu greifen. „Die durchschnittlichen Übernahmeprämien im Healthcare-Sektor lagen in den letzten zehn Jahren bei 73,5 Prozent“, präzisiert Kober von Erste Sparinvest. Die Bandbreite ist jedoch riesig: „Der Aufschlag kann bloß fünf Prozent betragen, wenn es sich um einen Verkauf unter Druck handelt, oder auch 100 Prozent und mehr, wenn das Unternehmen begehrt ist“, erklärt Stursberg. Vor allem wenn es mehrere Interessenten gibt, wird der Preis oft hochgetrieben. Ein besonders teurer Deal war etwa der Kauf von Inhibitex durch Bristol-Meyers Squibb mit 163 Prozent Aufschlag oder die Übernahme von Anadys durch Roche mit 256 Prozent. Gilead musste für Pharmasset dagegen nur 89 Prozent Aufpreis bezahlen. „Für so einen großen Deal ist das aber sehr viel, vor allem weil Pharmasset-Aktien zuvor schon stark gestiegen waren“, erklärt Stursberg. Und Schwarz von Medical Strategy berichtet: „Sanofi zahlte für Genzyme 48 Prozent Prämie.“ Die Transaktion war fast doppelt so groß wie Gilead/Pharmasset. Der Gewinn für Sanofi: Sie avancierte zum Weltmarktführer für seltene Krankheiten.
Christian Lach, Senior Portfolio Manager von Adamant und Biotech-Spezialist, beobachtet generell: „Je besser eine Firma aufgestellt ist, umso höher ist der Preis bereits und umso weniger spekulativ fällt die Prämie aus. Umgekehrt gilt: Je tiefer ein Unternehmen bewertet ist, desto unattraktiver und damit weniger wahrscheinlich ist in der Regel eine Offerte. Falls es dennoch Interesse gibt und die Firma tatsächlich eine gute Substanz besitzt, ist die Chance für eine hohe Übernahmeprämie umso größer.“
Der Kaufpreis der Amgen von 125 US-Dollar je Onyx-Aktie sei jedenfalls angemessen gewesen, meint Kober von Erste Sparinvest, „weil Onyx schon 2014 einen positiven Betrag bringen wird“. Überhaupt sei der adäquate Preis laut Kober besser abschätzbar, „wenn es um das Vertriebsrisiko geht und nicht um Entwicklungs- oder Produktrisiko“. Lanthaler von Evotec rechnet damit, dass künftig eher wieder höhere Übernahmeprämien geboten werden müssen. Denn: „Erstens bekommt man derzeit für Cash keine Zinsen und zweitens können sich die Unternehmen heute wieder alternativ über den Kapitalmarkt finanzieren.“

Schlechte Erfolgsquote

Wie die Realität allerdings gezeigt hat, geht die Mehrzahl der Akquisitionen letztlich daneben. „80 Prozent scheitern, nur 20 Prozent sind erfolgreich“, beobachtet Lanthaler. Meist liegt es an der Post-Merger-Integration, oft auch am überschätzten Produktkandidaten. Ein typisches Beispiel: Die Übernahme der Schweizer Serono durch die deutsche Merck KGaA 2006 um mehr als 13 Milliarden US-Dollar wurde zum Restrukturierungsfall und Serono, einst der größte Biotechnologiekonzern Europas, zugesperrt. Auch die Übernahme der US-Firma Iomai durch die österreichische Intercell (nunmehr Valneva) war schließlich ein Flop: Sowohl der erworbene Impfstoffkandidat gegen Reisedurchfall als auch die Iomai-Impfpflastertechnologie scheiterten. Oder: Der Kauf des US-Biotech-Unternehmens MedImmune durch den britisch-schwedischen Pharmakonzern AstraZeneca 2007 für 15 Milliarden US-Dollar war letztlich stark überteuert, nachdem MedImmunes Pipeline die Erwartungen nicht erfüllen konnte.

Übernahmespekulationen

Nachdem viele Pharma-, aber auch manche Biotech-Unternehmen ihre Umsatzeinbrüche wegen Patentabläufen kompensieren müssen, wird die Übernahmewelle anhalten, zumal Biotech-Unternehmen „trotz gestiegener Aktienkurse mit einem durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 20 nicht überteuert sind“, erklärt Lach von Adamant. Gefragt sind vor allem innovative Pipelines in den Bereichen Onkologie, seltene Krankheiten (Orphan Drugs) sowie Antikörper-Technologie. Für Letztere erwartet Lach, dass „vor allem die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren, die in der Mikroumgebung des Tumors wirken, in den Mittelpunkt des Interesses rücken werden“.
Als Übernahmekandidaten gelten gerüchteweise die auf seltene Krankheiten spezialisierten Biotech-Unternehmen Biomarin, Isis Pharma oder Incyte, die auf Blutkrebs spezialisierte Pharmacyclics oder der dänische Antikörperspezialist Genmab. Roche wird ein Interesse an dem Orphan-Drug-Hersteller Alexion Pharma nachgesagt.
Nachdem man als Anleger am meisten von einem möglichen Kurssprung profitiert, wenn man schon vor dem Gerücht investiert ist, und andererseits die Gefahr besteht, dass an dem Gerücht gar nichts dran ist, sollte man nicht unter dem Blickwinkel Übernahme auf das eine oder andere Unternehmen schielen, sondern in erster Linie auf Firmen mit einer erfolgversprechenden Pipeline. Die Titelauswahl überlässt man am besten einem professionellen Fondsmanager.       emb