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Evidenzbasierte Kurmedizin

Die Kur ist kein Relikt aus vergangener Zeit, sondern leistet besonders in der heutigen Zeit einen wertvollen Beitrag zur Krankheitsprävention.


Foto: istockphoto

Autoren: Univ.-Prof. Dr. Markus Ritter, Dr. Martin Gaisberger, Julia Landrichinger, MSc, Dr. Martina Winklmayr
Institut für Physiologie und Pathophysiologie & Forschungsinstitut Gastein, Paracelsus Medizinische Privat.universität – Ludwig Boltzmann Cluster Arthritis und Rehabilitation,
www.pmu.ac.at, www.lbg.ac.at
markus.ritter@pmu.ac.at,
martin.gaisberger(at)pmu.ac.at

Bereits seit Jahrhunderten dienen Kur- und Rehabilitationsaufenthalte der Erhaltung und der Wiederherstellung der Gesundheit. Besonders zu Zeiten der Monarchie wurde in Österreich viel gekurt und es etablierten sich viele der weit über die Landesgrenzen hinaus bekannten, heute noch bestehenden Kurorte. Ebenso hat die empirische Kurforschung eine weit zurückreichende Tradition. So wurde das Forschungsinstitut Gastein bereits im Jahre 1936 gegründet und beschäftigt sich seither mit der Erforschung des natürlichen Heilmittels Radon und dessen Wirkung auf Körper und Gesundheit.

Abgrenzung zwischen Kur und Reha

Die Kur ist jedoch kein Relikt aus vergangener Zeit, sondern leistet besonders in der heutigen Zeit einen wertvollen Beitrag zur Krankheitsprävention. Die Begriffe Kur und Rehabilitation trifft man dabei oft gemeinsam an, obwohl sich doch entscheidende Unterschiede in den Anwendungen finden. Die Rehabilitation gilt als Maßnahme zur Wiederherstellung der Gesundheit und der Arbeitsfähigkeit, insbesondere nach Unfallgeschehen oder schwerer Krankheit. Die Kur wird als eine vorbeugende medizinisch-therapeutische Maßnahme beschrieben und soll auch Patienten mit chronischen Leiden Linderung verschaffen. Es ist jedoch nicht immer ganz einfach, eine genaue Trennlinie zwischen Kur und Reha zu ziehen, da diese oft ineinander übergreifen und sich an vielen Stellen sehr gut ergänzen.
Was die Kur jedoch von der Reha abgrenzt, ist ihre Bindung an ein natürliches Heilmittel und somit ihre Ortsgebundenheit. Man unterteilt dabei Heilklima-, Luft-, Trink-, Peloid (Schlamm)-, Bade- und Heilstollenkuren anhand der Verabreichungsart des Heilmittels. Das wohl am häufigsten eingesetzte Kurmittel ist das Thermalwasser, das mit vielen gelösten Stoffen wie Schwefel oder Eisen bis hin zu Gasen bzw. Edelgasen wie Kohlendioxid oder Radon angereichert sein kann und dadurch seine positive Wirkung auf den Körper entfaltet. Radon nimmt hier einen besonderen Stellenwert ein, da es sich um ein Kurmittel handelt, das aufgrund seiner kurzen Halbwertszeit absolut ortsgebunden ist.

Methoden der Kurforschung

Dass sowohl die Kur als auch die Reha einen für den Patienten sehr wertvollen Beitrag leisten, lässt sich empirisch anhand von klinischen Studien überprüfen. Das optimale Studiendesign zur Überprüfung der klinischen Wirksamkeit einer Kuranwendung birgt jedoch einige Herausforderungen. In der Kur- und Rehaforschung muss sowohl auf medizinische, psychische als auch auf soziale Gesichtspunkte eingegangen werden. Die reine Dokumentation des Therapieerfolges bezogen auf eine spezielle Behandlung reicht nicht aus, denn der Erholungseffekt wird maßgeblich durch die neue Situation beeinflusst.
Die ideale klinische Studie ist durch verschiedene Gütekriterien gekennzeichnet. Es wird dabei die randomisierte kontrollierte Studie als sogenannter „Goldstandard“ angesehen. In der kontrollierten bzw. Placebo-kontrollierten Studie werden parallel zur Interventionsgruppe, welche die zu überprüfende Therapie erhält, noch eine oder zwei Kontrollgruppen, die keine Behandlung bzw. eine Placebobehandlung erhalten, geführt. Dies lässt sich besonders gut bei balneotherapeutischen Studien durchführen, indem man den Patienten entweder in Thermalwasser oder in Leitungswasser baden und eine weitere Kontrollgruppe den Kuraufenthalt ohne balneologische Maßnahme durchlaufen lässt.

Aussagekraft von Studien

Eine klinische Studie kann einerseits nur einfach verblindet sein, sprich der Patient hat keine Kenntnis darüber, ob er die Therapie oder die Placebobehandlung erhält, oder auch doppelblind, in diesem Fall weiß weder der behandelnde Studienarzt, der Therapeut noch der Patient darüber Bescheid, welcher Gruppe der Patient angehört. Wissen alle in die Studie involvierten Personen über die Therapie Bescheid, so spricht man von einer offenen Studie. Verblindung und Kontrollbehandlungen sind sehr entscheidend für die Aussagekraft der Studie, da so psychologische Aspekte und subjektive Empfindungen ausgeblendet werden können.
Im Weiteren sollte eine randomisierte Zuordnung der Studienteilnehmer zu den jeweiligen Gruppen erfolgen. Diese Zuordnung nach Zufallsprinzip verhindert eine unbewusste Einflussnahme auf den Therapieerfolg. Anders als bei reinen Medikamentenstudien, die nur ein Präparat untersuchen, entstehen in der Kur- und Rehastudie bedingt durch die Unterbringung der Studienteilnehmer enorme Kosten.
Klinische Studien sind, um die entscheidende Aussagekraft zu erhalten, meistens so ausgelegt, dass sie ein mehr oder weniger großes Patientenkollektiv umfassen. Um eine Hypothese zu überprüfen oder eine neue Hypothese zu generieren und trotzdem den Kostenrahmen nicht zu sprengen, eignen sich Pilotstudien besonders gut. Sie untersuchen an einem weniger umfangreichen Patientenkollektiv, wie dieses auf eine Therapie anspricht, und dienen als „Vorstudie“ für eine größer angelegte empirische Untersuchung.
Ein annähernd kostenneutrales, jedoch auch subjektiv beeinflussbares Studienmodell bietet die nicht-interventionelle Studie, dabei ist besonders die Registerstudie hervorzuheben. Bei dieser Form des Studiendesigns handelt es sich um eine Beobachtungsstudie. Es kommt zu keiner Abänderung der Therapie, sondern lediglich die Auswirkung auf den Patienten wird dokumentiert und gegebenenfalls durch Befragungen ergänzt.
Durch die Erstellung und Führung eines Registers lässt sich der Behandlungserfolg über verschiedene Indikationen und auch lange Nachverfolgungszeiträume dokumentieren. Dadurch können Informationen über den langfristigen Therapieerfolg, Dosis-Wirkungsbeziehungen und Indikationsanpassungen generiert werden.
Bedauerlicherweise wird die Kurforschung in Bezug auf klinische Studien fallweise vernachlässigt – nicht zuletzt deshalb, weil anfallende Kosten für gut durchgeführte Studien sehr schnell die finanziellen Mittel der einzelnen Institutionen ausschöpfen. Das Forschungsinstitut Gastein bietet in der Kurforschung eine gute Basis für die Durchführung von hochqualitativen klinischen Studien. Das radioaktive Edelgas Radon und dessen Wirkung auf chronisch inflammatorische und degenerative Erkrankungen steht dabei im Fokus der Untersuchungen. Gemeinsam mit den Kurbetrieben des Gasteinertals und dem Ludwig Boltzmann Cluster für Arthritis und Rehabilitation ist für das kommende Jahr der Start mehrerer klinischer Studien geplant.

Radon-Stollenkur bei Osteoarthrose des Kniegelenks

In einer Pilotstudie mit Osteoarthrose-Patienten soll durch die Entwicklung von Knorpel-Marker-Plots und die Erstellung von Patientenprofilen während und nach einer Niedrigdosis-Radontherapie das Ansprechen der Patienten auf die Kur gezeigt werden. Osteoarthrose (OA) ist für den Patienten mit Schmerz und Einschränkung körperlicher Funktionalität verbunden und die häufigste chronische muskuloskelettale Erkrankung. Für die Behandlung von OA sind keine krankheitsverändernden Arzneimittel verfügbar, deshalb sind die Schmerzreduktion, die Verbesserung der Mobilität und die Verzögerung des Fortschreitens der Erkrankung das Ziel der OA-Therapie.
Ein fortschreitender Abbau des Gelenkknorpels, aber auch eine Entzündung des Synovialraumes und eine Veränderung des subchondralen Knochens charakterisieren dieses Krankheitsbild. Die Chondrozyten sind für die Aufrechterhaltung eines ausbalancierten Knorpelstoffwechsels verantwortlich und regeln diesen, indem sie durch Stimulierung von Zytokinen und Wachstumsfaktoren den Aufbau und Abbau der Knorpelmatrix beeinflussen. Während der Entstehung von OA ist dieses Gleichgewicht zwischen Aufbau und Abbau gestört und matrixabbauende Enzyme werden verstärkt exprimiert.
Im Rahmen dieser zweiarmigen, longitudinalen und offenen Pilotstudie sollen Patienten mit diagnostizierter Osteoarthrose des Kniegelenks im Vergleich mit einer Kontrollgruppe eine Radon-Stollenkur erhalten. Mittels Knorpel-Biomarkern aus Blut oder Urin soll der Knorpelstatus vor, während und nach der Radonkur überprüft werden und Vergleiche zu röntgenologischen Befunden sowie zu Fragebögen sollen gezogen werden. Klinische Biomarker sind ein hilfreiches Instrument für die Diagnose und Klassifikation von Krankheiten. Aber auch das Voranschreiten einer Erkrankung oder der Erfolg bzw. Nichterfolg einer Behandlungsmethode können damit verfolgt werden. Im Vergleich zu bildgebenden Verfahren kann der aktuelle Status der Erkrankung durch Biomarker relativ schnell gemessen werden. Durch die Entwicklung von speziell auf OA-Patienten zugeschnittenen Knorpel-Marker-Plots soll die Veränderung des Gelenkknorpels durch die Radon-Hyperthermie-Behandlung erfasst und quantifiziert werden.

Patienten, die auf die Kur besser oder schlechter ansprechen, könnten noch während des Aufenthaltes identifiziert und die Therapie könnte dementsprechend angepasst werden. Auch die Langzeit-Nachverfolgung des Therapieeffektes soll dadurch erleichtert werden. In der Folge sollen auch Korrelationsanalysen der Markerkonzentrationen mit dem indikationsspezifischen Fragebogen und der visuellen Analogskala Aufschluss über den möglichen prognostischen Wert diverser Marker für den Therapieverlauf geben.

Einfluss von Niedrigdosis-Radontherapie

Der Einfluss von Niedrigdosis-Radontherapie (LDRnT) bei Patienten mit Osteoarthrose der Knie- und/oder Hüftgelenke soll in einer dreiarmigen, longitudinalen, offenen klinischen Untersuchung überprüft werden. Weltweit sind circa 15 % der Bevölkerung von der chronisch degenerativen Gelenkserkrankung Osteoarthrose betroffen. Besonders ältere Menschen leiden häufig unter dem Verschleiß der Gelenksknorpel, welcher besonders durch Übergewicht und Fettleibigkeit, aber auch durch Fehlstellung und Fehlbelastung begünstigt wird.
Die Therapiemöglichkeiten bei OA sind rein auf eine Reduktion der Symptome sowie der Schmerzen und eine Mobilitätsverbesserung beschränkt. Zum aktuellen Zeitpunkt gibt es keine sogenannten krankheitsverändernden Arzneimittel (disease modifying OA drugs = DMOAD) für die Behandlung von OA. Als Alternative bleibt in vielen Fällen oft nur der operative Gelenksersatz.
Durch OA entstehen nicht nur individuelle Einschränkungen für die betroffenen Patienten, sondern auch enorme sozioökonomische Belastungen durch hohe Ausgaben im Gesundheitswesen und verminderte Arbeitsproduktivität, die durch eine immer älter werdende Bevölkerung weiter ansteigen. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes beliefen sich im Jahr 2008 die direkten Kosten für OA-Behandlungen in Deutschland auf 7,62 Milliarden Euro. Dabei stiegen die anfallenden Kosten in den Jahren 2002 bis 2008 um etwa 7 %.
Die Niedrigdosis-Radontherapie ist eine traditionelle Form der Behandlung muskuloskelettaler Erkrankungen in Mittel- und Südeuropa und in asiatischen Ländern. Sie wird in Gastein seit vielen Jahrzehnten als ergänzende Behandlungsmaßnahme hauptsächlich bei entzündlich-rheumatischen, aber auch bei degenerativen, nicht-entzündlichen Erkrankungen eingesetzt. Die genauen biologischen Mechanismen dieser Therapie sind bis dato noch nicht geklärt. Mehrere randomisierte, kontrollierte klinische Studien konnten jedoch eine signifikante Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung durch Radonbäder oder Radon-Speläotherapie (Heilstollentherapie) bei Patienten mit degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen, Osteoarthrose, rheumatoider Arthritis und Morbus Bechterew aufzeigen. Im Zuge dieser dreiarmigen, longitudinalen, offenen Studie sollen Patienten mit diagnostizierter Osteoarthrose des Knie- und/oder Hüftgelenks im Vergleich mit einer Kontrollgruppe eine Radon-Stollenkur oder eine Radon-Thermalwasser-Kur erhalten. Eingeschlossen werden Patienten mit einer radiologisch diagnostizierten OA eines oder beider Knie- und/oder Hüftgelenke. Die Probanden werden nach Beendigung der Intervention über einen Zeitraum von sechs Monaten nachbeobachtet, um längerfristige Therapieeffekte zu evaluieren. Zu Beginn und nach der Intervention sowie nach drei und sechs Monaten werden Serum-, Plasma- und Urinproben der Patienten für die Bestimmung des allgemeinen entzündlichen Zustandes (C reactive protein (CRP), TGF-ß und für die Analyse für die Analyse knorpelstoffwechsel-spezifischer Parameter) entnommen.
An diesen Zeitpunkten wird ebenfalls der Status der Patienten in Bezug auf Schmerz, Krankheitsaktivität und Lebensqualität mittels Fragebögen erfasst. Durch das dreiarmige Design der Studie wird es möglich, die spezifischen Effekte der Therapiebausteine multimodaler Ansatz plus Radon-Wannenbad, multimodaler Ansatz plus Heilstollen mit einer Kontrollgruppe mit konventioneller Behandlung – also medikamentös, Physiotherapie etc. – zu vergleichen.

Radon-Indikationsregister

Durch die Generierung eines Indikationsregisters sollen der Kurerfolg und die Qualität der Gasteiner Kur in den jeweiligen Kurzentren fortlaufend überprüft und dokumentiert werden. Dabei werden die folgenden Indikationen eingeschlossen: Rheumatoide Arthritis, Morbus Bechterew, Osteoarthrose und Rückenschmerz. Die Studienteilnehmer erhalten vor, während und nach der Radonkur verschiedene Fragebögen, die Krankheitsaktivität, Schmerz und Lebensqualität ermitteln. Zusätzlich werden die jeweiligen erhaltenen Therapien erfasst. Dadurch soll es langfristig möglich sein, die Therapieanwendungen in Häufigkeit, Dauer und Intensität an die jeweiligen Erkrankungen anzupassen und somit den optimalen Kurerfolg zu erzielen.
In den meisten Studien zeigt sich ein signifikantes Ansprechen auf die Radonbehandlungen, verglichen mit Kontrollgruppen oft erst zwei bis drei Monate nach der eigentlichen Intervention. Aus diesem Grund scheint eine Langzeitnachverfolgung des Therapieerfolges, wenn möglich auch über mehrere Kuraufenthalte hinweg, besonders interessant und vielversprechend, um bessere Aussagen über den Effekt der Therapie für die jeweilige Indikation treffen zu können. Die Erstellung eines Radon-Registers ist insofern von großer Bedeutung, da die Kur bereits vielen Patienten in den vergangenen Jahrzehnten große Erleichterung in ihrem Krankheitsverlauf gebracht hat.
Es soll ermöglicht werden, die immer wieder von Kurärzten geschilderten Erfahrungsberichte systematisch zu erfassen, sinnvoll in die bestehende Kurpraxis einfließen zu lassen, evidenzbasiertes Wissen zu generieren und dies für Medizin und Wissenschaft zugänglich zu machen. Mögliche Rückschlüsse zwischen dem Erfolg der Kur und der idealen Behandlungsstrategie in Hinsicht auf die optimale therapeutische Applikation von Radon können identifiziert und umgesetzt werden.

Ausblick

Leider sind gut ausgeführte klinische Studien in der Kurforschung noch wenig etabliert und die Vernetzung der verschiedenen Kurorte untereinander, welche eine Basis für Erfahrungs- und Datenaustausch bildet, ist noch nicht optimal ausgebaut. Speziell auf dem Gebiet der Radontherapie leistet das Forschungsinstitut Gastein hier gemeinsam mit dem Ludwig Boltzmann Cluster für Arthritis und Rehabilitation bereits einen wertvollen Beitrag, der in den nächsten Jahren noch weiter ausgebaut werden soll und diesem ganz speziellen Forschungsgebiet höchste Priorität einräumt.