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Eine Frage der Ethik

Univ.-Prof. Dr. DDr. h.c. Ulrich H. J. Körtner, Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien und Instituts für Systematische Theologie und Religionswissenschaft der Evangelisch-Theologischen Fakultät, im Wordrap


Zu einem Theologiestudium habe ich mich entschlossen, weil ... ich Pfarrer werden wollte, was ich auch geworden bin. Das Theologiestudium hat mir die Möglichkeit geboten, nach dem zu fragen, was uns im Leben und Sterben trägt, nach dem Sinn des Lebens und nach Wahrheit. Das fasziniert mich an der Theologie bis heute. 

Die Medizinethik fasziniert mich, weil ... sie sich mit grundlegenden Fragen unseres Menschseins auseinandersetzt. Das Verständnis von Krankheit und Gesundheit, Behinderung und Nichtbehinderung, Leben und Tod lässt sich nicht allein naturwissenschaftlich begründen. Recht verstanden ist die Ethik im umfassenden Sinne Lebenswissenschaft. Außerdem habe ich auf diesem Gebiet das Gefühl, manchmal etwas für andere Menschen und vielleicht auch für die Gesellschaft Hilfreiches und Nützliches zu tun.

Die Grenzen des ethisch Vertretbaren in der Medizin sind für mich ... dort erreicht, wo die Würde des Menschen missachtet und die Endlichkeit und Sterblichkeit des Menschen verleugnet wird. Für unethisch halte ich den Wunsch, den Menschen medizinisch-technisch zu perfektionieren.

Die medizinethischen Aspekte, die mich derzeit besonders beschäftigen, sind ... die Ethik des Alter(n)s, besonders die Herausforderung der Demenz für das Menschenbild unserer Leistungsgesellschaft, Gerechtigkeit im Gesundheitswesen.

Therapeutisches Klonen ist ... für mich unter bestimmten Voraussetzungen ethisch akzeptabel, wenn damit das Klonen zu Forschungszwecken gemeint ist. Für unethisch halte ich das reproduktive Klonen, auch wenn es mit therapeutischen Zielen verbunden ist, weil es sich dabei um Experimente am (werdenden) Menschen handelt, mit unabsehbaren Folgen nicht nur für den unmittelbar Betroffenen, sondern auch für seine möglichen Nachkommen und damit überhaupt für künftige Generationen.

Für die nächsten zehn, fünfzehn Jahre erwarte ich in der medizinischen Forschung ... weitere Fortschritte auf dem Gebiet der Genomik und Pharmakogenomik und neue Entwicklungen im Bereich der individualisierten Medizin, aber auch der Telemedizin. Zunehmend problematisch wird der Wandel der Medizin von der Therapie zum Enhancement.

In der österreichischen Medizinerausbildung vermisse ich ... eine stärkere, durchgängige Verankerung der Ethik im Curriculum. Verbesserungsbedarf sehe ich auch in der postgradualen Fort- und Weiterbildung. Dabei brauchen wir nicht so sehr Ethikvorlesungen im Frontalunterricht, sondern mehr Kurse und Rounds, in denen ethische Kommunikation und Entscheidungsfindung an Fallbeispielen gelernt werden kann.

Ethik in der Medizin sehe ich in 20 Jahren ... im Vergleich zu anderen Ländern in Österreich immer noch unterentwickelt. Es gibt noch immer keine Lehrstühle für Medizinethik und auch das von mir geleitete Institut für Ethik und Recht in der Medizin ist in seiner derzeitigen Konstruktion mit einem Ablaufdatum versehen.

Was ich mir für die heimische Medizin wünschen würde, ist ... eine offenere Debatte über die Fragen der Ressourcenverteilung (Allokation) im Gesundheitswesen.

Den Ausgleich zu meinem Beruf finde ich in ... in meiner Familie, in der Musik, gelegentlich (zu selten) auch beim Wandern oder Tauchen.

 

Ulrich Körtner wurde 1957 geboren. Nach dem Studium der Evangelischen Theologie in Bethel, Münster und Göttingen absolvierte er seine Assistentenzeit und das Vikariat an der Kirchlichen Hochschule Bethel und in Bielefeld. 1982 promovierte Körtner, 1987 habilitierte er an der Kirchlichen Hochschule Bethel. 1986 bis 1990 war er als Gemeindepfarrer in Bielefeld tätig, 1990-1992 als Studienleiter an der Evangelischen Akademie Iserlohn. Seit 1992 ist Körtner Ordinarius für Systematische Theologie (Reformierte Theologie) an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und Institutsvorstand. Zudem ist er Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin an der Universität Wien.

Körtner wurde 2002 vom Club der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten zum Wissenschaftler des Jahres 2001 ernannt. 2010 wurde ihm die Ehrendoktorwürde des Institut Protestant de Théologie/Faculté libre de Théologie Protestante de Paris verliehen, 2013 die Ehrendoktorwürde der Reformierten Theologischen Universität Debrecen. Körtner forscht im Bereich medizinischer Ethik, aber auch in Fundamentaltheologie, Hermeneutik, Diakonie oder auch ökumenischer Theologie.
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