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„Dürfen einer Entprofessionalisierung nicht das Wort reden“

Immer mehr Menschen mit Augenproblemen gehen direkt zum Optiker statt zum Augenarzt. Das sei besorgniserregend, sagt Dr. Helga Azem, Präsidentin der Österreichischen Ophthalmologischen Gesellschaft, im ÄrzteEXKLUSIV-Interview und will die Imagekampagne „Augenblick“ 2013 weiterführen.


„So rosig sehe ich die Zukunft nicht“, sagt OMR Dr. Helga Azem, Präsidentin der Österreichische Ophthalmologische Gesellschaft, Vereinigung der österreichischen Augenärzte und Vorsitzende der Fachgruppe Augenheilkunde und Optometrie der Ärztekammer. Foto: ÖÄK

Rund die Hälfte aller Österreicher hat Probleme mit den Augen. Laut einer vom Marktforschungsinstitut SPECTRA durchgeführten Umfrage brauchen 25 % eine optische Brille, rund zehn Prozent leiden an trockenem Auge oder an Augenentzündungen und rund fünf Prozent haben grauen oder grünen Star. Lange Wartezeiten auf Termine beim Augenarzt oder auf die Behandlung in der Ordination sehen viele der Befragten als gravierenden Mangel und als Hauptursache, warum sie sich lieber gleich an den Optiker wenden, wenn es um ihre Augengesundheit geht.

Frau Präsidentin, wie beurteilen Sie die Ergebnisse der SPECTRA-Umfrage?
Azem: Die Ergebnisse sind eine deutliche Aufforderung, das Bewusstsein in der Bevölkerung zu schärfen, welche Leistungen wo erbracht werden können, dürfen und müssen. Augenärzte sind gefordert, vor allem in Sachen Prävention einen niederschwelligen Zugang zu bieten und ihre Leistungen deutlich besser zu vermarkten. Immerhin zwölf Jahre Ausbildung, entsprechendes Know-how und umfassende Untersuchungsmöglichkeiten führen dazu, dass schwerwiegende Erkrankungen auch bei Routineuntersuchungen rechtzeitig erkannt und therapiert werden können. Dazu gehören auch Systemerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Durchblutungsstörungen.

Die meisten Befragten kritisieren zu lange Wartezeiten auf einen Termin. Ihr Stellvertreter in der Bundesfachgruppe, Dr. Peter Gorka, sagt in einem Kommentar für die Ärzte-Woche wörtlich: „Die Wartezeiten der meisten Augenärzte sind leistungs- und patientenfeindlich, das ist ein Handlungsauftrag.“ Was läuft falsch?

Man muss das Thema Wartezeit differenzierter betrachten. Vor zwei Jahren haben wir dazu eine österreichweite Umfrage durchgeführt. Diese ist nicht so negativ ausgefallen, wie es auch in den Köpfen der Bevölkerung verankert zu sein scheint. Auffällig daran war, dass es in Oberösterreich die längsten Wartezeiten gegeben hat – ausgerechnet in jenem Bundesland, in dem der heutige Gesundheitsminister früher Obmann der Gebietskrankenkasse war, wo ein degressives System etabliert wurde und Augenärzte für medizinische Leistungen, die über einen Standardwert hinaus gehen, weniger Entlohnung bekommen: Je mehr Leistung, desto geringer die finanzielle Abgeltung. Da ist dann nicht verwunderlich, wenn Ärzte irgendwann keine zusätzlichen Patienten mehr annehmen. In Wien gibt es kein degressives System, da sind die Wartezeiten für Routineuntersuchungen durchaus im Rahmen, etwa drei bis sechs Wochen. Und bei akuten Fällen bekommen alle Patienten noch am selben Tag oder zumindest am nächsten einen Termin.

Aber auch überlange Wartezeiten in den Ordinationen werden kritisiert, zu Recht?

Die Klagen mancher Patienten, wonach Ärzte schlecht organisiert wären und sie daher ewig lange warten müssten, mögen in Einzelfällen stimmen. Man muss aber schon berücksichtigen, dass Augenuntersuchungen sehr komplex sind und aus vielen Arbeitsschritten bestehen. Dafür braucht es eine gewisse Zeit und eine entsprechende Organisation, etwa in Form von Untersuchungsstraßen. Meine Patienten verbringen durchschnittlich zwei Stunden in der Ordination, bei medizinisch notwendigen Zusatzuntersuchungen auch drei Stunden. Eine Augenuntersuchung ist nicht in 15 Minuten zu erledigen, das muss man schon ins rechte Licht rücken.

Gibt es nicht vielleicht doch zu wenige Kassenstellen, um dem Bedarf zu entsprechen und Wartezeiten zu verkürzen?
Das ist immer eine Frage der Perspektive. Ärzte brauchen aber schon eine gewisse Patientensicherheit und -frequenz, um sich den immer teureren Betrieb und die notwendige technische Infrastruktur leisten zu können. Eine für alle Seiten positive Entwicklung ist für mich der Trend in Richtung größerer Einheiten und Gruppenpraxen. Damit kann – etwa durch längere Öffnungszeiten und gemeinsame Gerätenutzung – die Infrastruktur effizienter eingesetzt, gleichzeitig können Wartezeiten für die Patienten verringert und das Serviceangebot verbessert werden. Gewisse Wartezeiten werden sich aber trotzdem nicht vermeiden lassen, das halte ich für unrealistisch.
Also dann doch lieber zum Optiker?
Wir dürfen nicht zulassen, dass dieses Argument dazu dient, einer Entprofessionalisierung das Wort zu reden. Wenn Patienten lieber zum Optiker gehen als zum Augenarzt, nur weil sie schneller drankommen und bei Kaffee oder Prosecco in gepflegtem Ambiente vermeintlich umsonst umsorgt werden, dann rächt sich das langfristig gleich in zweifacher Weise. Für den Patienten, denn der zahlt am Ende drauf, weil er sich sicher fühlt und ihm vorgegaukelt wird, er bekommt gratis eine fundierte, medizinische Untersuchung. In Wirklichkeit ist es aber lediglich eine Kontrolle des Sehvermögens, weil für mehr ist der Optiker gar nicht ausgebildet und auch nicht berechtigt. Der Patient zahlt also doppelt: erstens mit seinen Sozialversicherungsbeiträgen für medizinische Leistungen, die er nicht in Anspruch nimmt und zweitens für Leistungen des Optikers, der diese im Verkaufspreis der Brille ohnehin mit kalkuliert. Zweitens entstehen aber auch der Volkswirtschaft erhebliche Mehrkosten, weil viele – altersbedingte Erkrankungen – mit einer fundierten medizinischen Vorsorgeuntersuchung verhindert oder zumindest früher therapiert werden könnten.

Viele Optiker werben als klinische Optometristen aber gerade mit ihrer Zusatzausbildung.

Klinische Optometristen gibt es in Österreich gar nicht. Wer sich so tituliert, arbeitet im rechtsleeren Raum. Die Bezeichnung stammt aus dem angelsächsischen Raum, wo es dafür aber eine vierjährige akademische Ausbildung gibt. Die Ausbildung in Österreich umfasst hingegen ganze sechs Wochen Theorie und sechs Wochen Praxis in Form von Wochenendkursen. Das kann man wohl nicht ernsthaft mit einer mindestens zwölfjährigen Facharztausbildung zum Augenarzt gleichsetzen.

Apropos Ausbildung: Machen Sie sich Sorgen um den medizinischen Nachwuchs?

Also so rosig sehe ich die Zukunft nicht, sollten wir es nicht schaffen zu vermitteln, welch hohe Bedeutung und welches Potenzial das Fach vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung eigentlich hat.

Daher also die Kampagne „Augenblick“?
Ja, die Kampagne soll der Gesellschaft und den Politikern den Stellenwert der modernen Augenheilkunde näherbringen. Heute sind wir in der Lage, medizinisch viel mehr zu tun, als noch vor wenigen Jahren vorstellbar war. Wir haben sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie riesige Sprünge gemacht, vor allem im Vorsorgebereich. Man darf nicht vergessen: Das Auge ist Teil des Gehirns, wenn hier etwas kaputtgeht, lässt es sich nicht mehr wiederherstellen. Also muss man möglichst dort ansetzen, wo noch nichts kaputt ist. Die Frühdiagnostik ist daher das Allerwichtigste. Die Kampagne soll aber auch nach innen wirken, um Kollegen aus anderen Fachgebieten zu zeigen, wozu die moderne Augenheilkunde heute in der Lage ist. Darum hoffe ich sehr, dass die Kampagne nächstes Jahr weitergeführt wird. Das kostet aber Geld und wir brauchen dafür die Zustimmung der Kollegen, die wir hoffentlich mittels Urabstimmung bekommen werden. Wir müssen davor aber auch unseren eigenen Kollegen intensiv erklären, was die Kampagne will: Es geht nicht darum, den Augenärzten kurzfristig mehr Patienten zu bringen, sondern langfristig und nachhaltig die Bedeutung der Augenheilkunde im modernen Gesundheitssystem der Öffentlichkeit bewusst zu machen.