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Die Zukunft im Blick

Augenerkrankungen stehen im Visier der forschenden Pharmaindustrie. Neue Behandlungsmethoden werden evaluiert, gilt es doch, dem Trend zur „Volkskrankheit“ Einhalt zu gebieten.


Der häufigste Grund für Neuerblindungen in Österreich ist mit 409 Fällen pro Jahr die Makuladegeneration, dicht gefolgt von der diabetischen Retinopathie mit 158 tragischen Fällen auf Platz zwei. Krank zu sein ist schlimm genug. Wer noch dazu in der bedauernswerten Situation ist, schrittweise das Augenlicht zu verlieren, erlebt in Österreich oft einen persönlichen und zusätzlich einen finanziellen Super-GAU. Zwar hat sich in den letzten zehn Jahren auf dem Gebiet der Augenheilkunde vor allem pharmakologisch viel getan. Die Krankenkassen weigern sich aber standhaft viele der innovativen Medikationen zu bezahlen, da die Kosten pro Behandlung mit mehreren hundert Euro zu Buche schlagen und die Wirkung danach nur einige Wochen anhält.

Prävention gefordert

Eine Studie des Wiener Instituts für pharmaökonomische Forschung (IPF) errechnete am Beispiel des diabetischen Makulaödems lebenslange Folgekosten von bis zu 600.000 Euro pro Patient! Besonders tragisch für die Betroffenen ist eine Erblindung in jungen Jahren, was beim diabetischen Makulaödem (DMÖ) im Gegensatz zur feuchten altersbedingten Makuladegeneration der Fall sein kann: Rund 20 % der DMÖ-Patienten sind jünger als 40. Demgegenüber stehen, laut der pharmazeutischen Industrie, bei einem diabetischen Makulaödem im Schnitt Therapiekosten von 17.400 Euro pro Patient über die Restlebenszeit. Die IPF-Experten rechnen aufgrund des demografischen Wandels in Zukunft mit einer Zunahme schwerer Augenerkrankungen, da eine Vielzahl der Ursachen von Blindheit primär ältere Menschen (AMD, diabetische Retinopathie) trifft. Die demografische Entwicklung wird zu einer steigenden Zahl von blinden Personen führen und damit in absehbarer Zeit ein gewaltiges Problem für unsere ohnehin kränkelnden Sozialversicherungsträger darstellen. Das IPF fordert daher schon jetzt ein rechtzeitiges Gegensteuern mittels geeigneter Präventionsmaßnahmen.

Sehverlust stoppen

Die altersbedingte Makuladegeneration ist die häufigste Ursache für Erblindung im Alter, sie kann in trockener oder feuchter Form auftreten. Bis vor zehn Jahren war diese Erkrankung nicht behandelbar und führte unweigerlich zu einem schwerwiegenden Verlust der Sehkraft. Pro Jahr werden in Österreich etwa 2.000 Patienten in der Altersgruppe über 50 erstmals mit der feuchten Form der AMD diagnostiziert. Der Patient sieht typischerweise nach einer gewissen Zeit einen immer größer werdenden schwarzen Fleck im Zentrum seines Gesichtsfeldes. Ohne Behandlung kommt es durch die Schädigung der Netzhaut innerhalb von ein bis zwei Jahren zu einer wesentlichen Einschränkung der Sehkraft. Ein vergleichbares Krankheitsbild zeigt das diabetische Makulaödem (DMÖ), von dem hierzulande etwa zwei Prozent der Diabetiker (sowohl bei Diabetes mellitus Typ 1 als auch bei Typ 2) betroffen sind. Das sind rund 6.000 behandlungsbedürftige Patienten und etwa 200 bis 300 Neuerkrankungen pro Jahr.
Zur Behandlung dieser degenerativen Sehstörungen hat beispielsweise Novartis das Medikament Lucentis entwickelt. Der darin enthaltene Wirkstoff Ranibizumab ist ein Antikörper gegen den für die Komplikationen hauptverantwortlichen Wachstumsfaktor VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor). Auch Bayer hat mit dem „VEGF-Trap-Eye“ ein derartiges Medikament in der Pipeline. Der VEGF-Hemmer wird mittels einer Injektion direkt ins Auge eingebracht. Konkret verhindert der Wirkstoff das Aussprießen von Blutgefäßen im Bereich der Netzhaut und verhindert so den Flüssigkeitsaustritt aus schwächeren Gefäßen. Denn genau durch das Austreten von Flüssigkeit aus undichten Netzhautgefäßen entstehen die dunklen Flecken in der Mitte des Gesichtsfeldes.
Klinische Studien haben gezeigt, dass bei 95 Prozent aller behandelten Personen die Erkrankung gestoppt oder das Sehvermögen sogar verbessert werden konnte. Je rascher eine Therapie begonnen wird, desto größer ist die Chance, Sehkraft zurückzugewinnen und Lebensqualität zu verbessern. Lange Wartezeiten auf eine Behandlung haben bei dieser Krankheit besonders dramatische Folgen.

Mit Optogenetik zurück ins Licht

Eine andere interessante Innovation auf dem Gebiet der Augenheilkunde kommt von Fovea Pharmaceuticals, einer kleinen, auf Augenkrankheiten spezialisierten Biotechnologiefirma aus Frankreich, die 2009 für 370 Mio. Euro vom Pharmakonzern Sanofi-Aventis aufgekauft wurde. Fovea hat erst letzten Monat mit der deutschen Max-Planck-Gesellschaft eine Lizenzvereinbarung zur Anwendung von sogenannten Channelrhodopsinen unterzeichnet. Dabei handelt es sich um Pigmentproteine, die schon 2002/2003 von Biophysikern am Max-Planck-Institut entdeckt wurden. Damit soll es möglich werden, Nervenzellen über eine Stimulation mit Licht zielgerichtet an- und abzuschalten.
Im Zentrum stehen dabei lichtgesteuerte Ionenkanäle, die in Zukunft so weiterentwickelt werden sollen, dass sich damit Nervenzellen der Netzhaut des Auges in Lichtsinneszellen umwandeln lassen. So könnten Patienten, deren Sehzellen durch Erbkrankheiten wie Retinitis Pigmentosa, Netzhautdystrophien, Glaukome, AMD oder DMÖ zerstört wurden, auf gentherapeutischem Wege das Augenlicht teilweise oder ganz wiedererlangen. Ein spannender Ansatz mehr, der zwar noch in den Kinderschuhen steckt, dafür aber vielen blinden Menschen auf der Welt ein Stück Hoffnung zurückgibt.

ck
Foto: bildagentur waldhäusl

Nachgefragt bei...

... Dr. Egenhart Link (Max-Planck-Innovation) und Dr. Ernst Bamberg (Max-Planck-Institut für Biophysik)

Wie funktionieren Channelrhodopsine?
Bamberg: Channelrhodopsine haben wir erstmals in der Zellmembran einer einzelligen Grünalge namens „Chlamydomonas reinhardtii“ entdeckt. Damit kann die Alge Helligkeit wahrnehmen, was sie dazu nützt, zum Licht oder davon weg zu schwimmen. Das Tolle an diesem Kanalprotein ist, dass es im Licht positiv geladene Ionen durchlässt, die an der Zellmembran elektrische Signale verursachen.

Wie helfen diese Eigenschaften der Wissenschaft?
Bamberg: Unsere Erkenntnisse auf diesem Gebiet werden heute von Neurowissenschaftlern auf der ganzen Welt genutzt. Sie können Channelrhodopsine heute auf molekulargenetischem Weg in Zellen einschleusen und so einzelne elektrisch erregbare Nervenzellen oder Nervennetzwerke in Kultur und im lebenden Tier mit Licht an- und ausschalten. Aus der Entdeckung und Anwendung der Channelrhodopsine ist mit der Optogenetik ein eigener Forschungszweig entstanden.

Ein Triumph der beharrlichen Grund­lagenforschung?
Link: Absolut, die Entdeckung diese Phänomens ist ein Beleg dafür, wie aus theoretischer Forschung ganz konkrete neue Techniken bis hin zu innovativen Therapiemethoden für Menschen entstehen können. Die Ionenkanäle eröffnen eine Fülle von Anwendungsmöglichkeiten.
Bamberg: Die Optogenetik revolutioniert momentan die neuro- und zellbiologische Forschung. Jetzt können wir erstmals ohne Elektroden und ohne chemische Modifizierung die Aktivität von Nervenzellen störungsfrei und mit hoher Auflösung durch Licht steuern.