Die Kraft des Schwefelwassers
Die Aussage „Was das Kalzium für den Knochen bedeutet, ist der Schwefel für den Knorpel“ hat sich aufgrund nachprüfbarer Erfahrungswerte über Jahrhunderte als richtig erwiesen.
Bei Störungen des Knorpelstoffwechsels geht die Gleitschicht der Gelenke verloren, degenerative Veränderungen und Entzündungsvorgänge sind die Folge. Die Schwefeltherapie fördert die Knorpelregeneration in den Gelenken und den Bandscheiben. Die Wirkung der Heilquelle beruht auf dem Kurmittel selbst sowie auf physikalischen Wirkungsmechanismen wie Wärme, Gewichts- und Belastungsverminderung infolge des Auftriebs. Die Therapie verstärkt die Entzündungsabwehr und erhöht die Schmerzschwelle.
Wirksamkeit und neue Erkenntnisse
„Schwefelquellen werden bereits seit Jahrhunderten bei Schmerzen oder Rheuma als Kurmittel eingesetzt. Dennoch waren wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit bislang rar, es gab zu wenig Grundlagenforschung“, erklärt Prim. Univ.-Prof. Dr. Hans Bröll. Abhilfe schafft das Konsensus-Statement „Balneologische Therapien mit Schwefelwässern“, das unter der Leitung von Bröll mit namhaften Experten entstanden ist und sich mit den Wirkmechanismen des titrierbaren, zweiwertigen Schwefels (H2S) beschäftigt. „Die balneologische Schwefeltherapie ist nunmehr bei degenerativen Gelenkserkrankungen, bei extraartikulärem Rheumatismus, posttraumatischen Schäden, bei postoperativen Therapien, aber auch bei Hauterkrankungen wie zum Beispiel bei Psoriasis vulgaris empfohlen“, so Studienleiter Bröll, der zentrale Fragen beantwortet:
Schwefel ist nicht gleich Schwefel. Wann ist Schwefel als „Kurmittel“ zu klassifizieren?
Der Mindestschwefelgehalt balneotherapeutisch verwendeter Thermalwässer wurde bereits 1911 in den sogenannten „Bad Nauheimer Beschlüssen“ mit >1 mg/kg Wasser titrierbaren, zweiwertigen Schwefels (S-2) festgelegt. In Österreich existierte dazu bis zum Jahr 2003 ein einheitliches Bundesgesetz; seither ist die gesetzliche Kompetenz bezüglich des Kurorte- und Heilquellenwesens an die Bundesländer übergegangen, die jedoch die oben genannte Definition unverändert in ihre entsprechenden Gesetze übernommen haben.
Wie wirken Schwefelwässer?
Der wesentliche Wirkmechanismus bei der Therapie mit Schwefelwässern ist die Resorption des Sulfidschwefels durch die Haut. Wie viel resorbiert wird, hängt von der S-2-Konzentration des Wassers, der exponierten Hautoberfläche, der Durchblutung und dem pH-Wert sowohl von der Hautoberfläche als auch des Bademediums an.
Wo im Körper entfalten Schwefelwässer ihre Wirkung?
Im Wasser gelöstes S-2 wirkt im Wesentlichen auf der Haut, im Bindegewebs- und Gelenksystem sowie im Immunsystem.
Ist die Dosierung entscheidend?
Dosierung und Applikationsdauer sind wesentliche Faktoren für den Erfolg balneologischer Schwefelanwendung. Die Entscheidung, wie lange und mit welcher Dosierung therapiert wird, muss derzeit überwiegend auf Basis von Erfahrungswerten getroffen werden. Grundsätzlich können Schwefelwässer als Ruhebad, als Bewegungstherapie, als Unterwasser-Druckstrahlmassage oder in Form von Fotobalneotherapie zum Einsatz kommen.
Wie sieht es mit der Evidenz für die Anwendung von Schwefelwässern aus?
Allgemein gilt, dass für die Anwendung von Kurmitteln, wie beispielsweise Schwefelwässern, wenig wissenschaftliche Daten im Sinne der „evidence-based medicine“ vorliegen, obwohl – oder gerade weil – die Schwefeltherapie seit Jahrtausenden bei Erkrankungen des Bewegungsapparats Anwendung findet. Dies ist auch bei anderen seit langer Zeit verwendeten Behandlungskonzepten der Fall. Schwierig macht es auch der Umstand, dass die Durchführung kontrollierter Studien nach den geltenden Kriterien in der Balneologie nicht so einfach ist.
Wo können Zuweiser oder niedergelassene Praktiker nachlesen, wenn es um die Konkretisierung dieser Erfahrungswerte geht?
Es gibt ein Konsensus-Statement, das die zurzeit auf diesem Gebiet vorliegenden Evidenzen, Ergebnisse der Grundlagenforschung, Wirkungsmechanismen oder Dosierung und Applikationsdauer sehr gut zusammenfasst.
Woher bezieht die Kurmedizin dann aktuelles Wissen zu diesem Thema?
Neue Erkenntnisse zur Wirkung des zweiwertigen Schwefels liegen aus der Grundlagenforschung vor. Aus der – wie schon erwähnten – jahrtausendelangen Erfahrung haben wir zudem das Wissen über eine günstige Wirkung zweiwertigen Schwefels auf degenerative Gelenkserkrankungen, extraartikulären Rheumatismus, rheumatoide Arthritis, posttraumatische Schäden, postoperative Zustände und Hauterkrankungen.
Was wünschen Sie sich für die weitere Entwicklung auf dem Gebiet der medizinischen Kur mit Schwefelwässern?
Mehr randomisierte, kontrollierte Studien für klar definierte Indikationen auf diesem Gebiet wären wichtig. Das Konsensus-Statement ist ein guter erster Schritt und fasst das vorliegende Wissen kompakt zusammen. rh
Forschung für Medizin & Gesundheit
Der Ludwig Boltzmann Cluster für Rheumatologie, Balneologie und Rehabilitation führt ein umfangreiches Forschungsprogramm durch, das sowohl basiswissenschaftliche Projekte als auch klinische Studien umfasst. Unter dem Clusterkoordinator Prof. Dr. Günter Steiner werden mehrere Programmlinien bearbeitet: Pathogenese und Therapie der rheumatoiden Arthritis, die Wirksamkeit balneologischer Therapien sowie die Wirksamkeit von Rehabilitationskonzepten und Kuraufenthalten und epidemiologische Aspekte rheumatischer Erkrankungen. Zum Cluster zählen das Ludwig Boltzmann Institut für Rheumatologie und Balneologie unter der Leitung von Prim. Prof. Dr. Hans Bröll, das Ludwig Boltzmann Institut für Rehabilitation Interner Erkrankungen mit Außenstelle Gröbming und die Ludwig Boltzmann Forschungsstelle für Epidemiologie rheumatischer Erkrankungen.