Die Differentialbalneotherapie
Die Beziehung zwischen den chemischen und physikalischen Eigenschaften von Heilwässern und ihren medizinischen Anwendungsbereichen bzw. Effekten macht ihren Wirkungsgrad aus.
Autor: Ao. Univ.-Prof.
Dr. Wolfgang Marktl
Wiener Internationale Akademie für Ganzheitsmedizin
Sanatoriumstraße 2, 1140 Wien
marktlgamed.or.at
Heilwässer und in geringerem Ausmaß auch Peloide werden auf der Basis ihrer chemischen Inhaltsstoffe und physikalischen Eigenschaften klassifiziert. Bei der Klassifikation von Heilwässern stellen einerseits die relativen Konzentrationen der Hauptinhaltsstoffe und andererseits die Anwesenheit von chemischen Elementen, von denen spezifische Wirkungen erwartet werden, die Basis der Klassifikation dar. Darüber hinaus existiert auch die Bezeichnung Thermalwasser als Grundlage der Heilwasseranerkennung. Diese Klassifikationen der natürlichen ortsgebundenen Heilvorkommen beruhen somit auf balneochemischen bzw. balneophysikalischen Grundlagen, sind aber kein Selbstzweck dieser naturwissenschaftlichen Disziplinen.
Die balneomedizinische Beurteilung erfolgt auf der Basis der Balneochemie und -physik und die in der Tabelle 1 dargestellte Vielfalt der Bezeichnungen für verschiedene Heilwässer ist auch die Grundlage für die Erstellung spezifischer und unterschiedlicher Indikationen für die kurmäßige Anwendung der einzelnen Heilwässer. Der Begriff Differentialbalneotherapie bezieht sich dabei darauf, dass den einzelnen Heilwässern jeweils typische Indikationen zugeordnet werden. Es wird somit eine direkte Beziehung zwischen den chemischen und physikalischen Eigenarten des Heilwassers und den medizinischen Anwendungsbereichen bzw. Effekten hergestellt.
Die Frage der Anwendungsarten
Zwischen den in der Tabelle 1 aufgelisteten verschiedenen Heilwässern treten häufig Kombinationen auf, wodurch sich ein noch breiteres Bild von Heilwässern mit unterschiedlicher balneochemischer Charakteristik ergibt. Für die balneomedizinische Beurteilung ergibt sich dabei allerdings die Frage, wie weit den unterschiedlichen Typen von Heilwässern auch dementsprechende spezifische Wirkungen zugeordnet werden können. Dabei ist allerdings auch die Frage der Anwendungsart des Heilwassers zu berücksichtigen, weil für Badeanwendungen, Trinkkuren und Inhalationen unterschiedliche Bedingungen gelten.
Diese Bedingungen hängen mit der Art der Heilwasserapplikation, das heißt über die Haut oder über die Schleimhäute, zusammen. Die in Frage kommenden Schleimhäute des Respirations- und Gastrointestinaltrakts haben resorbierende Eigenschaften, wodurch einerseits die Resorbierbarkeit der Wasserinhaltsstoffe eine Rolle spielt und andererseits im Fall der Resorption die Möglichkeit für direkte Wirkungen innerhalb des Organismus besteht. Die Haut hat hingegen eine vorwiegende Trennfunktion und erlaubt nur bestimmten chemischen Elementen und Verbindungen den Durchtritt.
Eine Penetration durch die Haut ist vor allem für die im Wasser gelösten Gase Radon und Kohlendioxid möglich, womit die Voraussetzungen für direkte Wirkungen innerhalb des Organismus gegeben sind. Für diese Gase sind daher in der balneomedizinischen Fachliteratur bestimmte spezifische Effekte beschrieben, welche als Grundlage einer Differentialbalneotherapie dienen können.
Eine ähnliche Aussage gilt auch für den zweiwertigen titrierbaren Schwefel (Sulfidschwefel), der zwar nicht durch die gesamte Haut, aber zumindest durch bestimmte Hautschichten dringen kann. Die Bemühungen um eine spezifische Indikationsstellung spiegeln auch Konsensuskonferenzen wider, wie sie in den letzten Jahren für Kohlendioxid und Schwefelwässer durchgeführt wurden. Auch die Datenlage hinsichtlich der Wirkungen von Radon kann als gut beurteilt werden, was wohl zum Teil auch damit zusammenhängt, dass die balneomedizinische Anwendung dieses radioaktiven Edelgases vonseiten der Strahlenschutzorganisationen kritisch beurteilt wird.
Bei jenen Heilwässern, die auf der Basis einer höheren Mineralisation zum Heilwasser erklärt werden, die aber keine der vorhin genannten Inhaltsstoffe enthalten, ist die Datenlage hinsichtlich einer fundierten Differentialbalneotherapie im Fall von Badeanwendungen nicht so klar. Es handelt sich dabei um die in der Tabelle 1 aufscheinenden Natrium-Chlorid-Wässer, die Hydrogencarbonat-Wässer und die Sulfatwässer. Damit soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass solche Wässer keine Effekte über das Hautorgan ausüben können. Eine differenzierte Zuordnung zu bestimmten spezifischen Indikationen auf der Basis der Inhaltsstoffe beruht aber eher auf der kurärztlichen Empirie als auf den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien.
Peloide
Bei den Peloiden steht die Frage der Differentialbalneotherapie zwar nicht so im Vordergrund wie bei den Heilwässern, dies gilt jedoch nur unter der Voraussetzung einer vorwiegend oder ausschließlich thermophysikalischen Wirkung dieser Heilvorkommen. Besonders im Zusammenhang mit den Peloiden organischer Herkunft wird in der Peloidforschung die Frage möglicher Inhaltsstoffe der Hochmoortorfe diskutiert. Ob sich daraus allerdings für die Peloide in der Zukunft Grundlagen für eine Differentialbalneotherapie ergeben werden, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantwortet werden.
Tabelle 1
- Akratothermalwässer
- Natrium-Chloridwässer und Sole
- Hydrogencarbonatwässer: Natrium-Hydrogencarbonatwässer
Calcium-Magnesium-Hydrogen-carbonatwässer - Sulfatwässer
- Kohlensäurewässer (Säuerlinge)
- Eisenhältige Wässer
- Schwefelwässer
- Jodwässer
- Radonhältige Wässer