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Die bunte Welt der Versicherungen

Niemand sollte davon ausgehen, dass „es ihn nie erwischen“ wird. Die Verlässlichkeit stabiler Gesundheit ist – insbesondere als Langzeitversicherung gedacht – eine Illusion. (bitte mit deutschen Anführungsstrichen, erst oben und unten + Gedanken- statt Bindestriche)


foto: fotolia

„24. August 2001: Hermann Maier bricht in Radstadt zu einer abendlichen Ausfahrt mit seinem Motorrad auf. Er ahnt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass diese Entscheidung seine weitere Karriere maßgeblich beeinflussen wird. Als er kurz darauf zu einem Überholmanöver ansetzt, übersieht ihn der Lenker eines regelwidrig abbiegenden Wagens und es kommt zu einem folgenschweren Zusammenstoß. Der junge Sportler zieht sich bei dem Unfall einen offenen Unterschenkelbruch am rechten Bein sowie weitere schwerwiegende Verletzungen zu. Nach einer siebenstündigen Operation im Unfallkrankenhaus Salzburg ist zunächst unklar, ob er jemals wieder Ski fahren wird. Letztendlich hat der Skiprofi Glück im Unglück. Die gesamte Saison 2001/02 sowie die Olympischen Winterspiele 2002 in Salt Lake City muss er zwar pausieren, im Winter 2002/03 ist er aber wieder am Start und liefert im Jänner 2003 ein fulminantes Comeback. Maier erhielt 1,45 Millionen Euro Versicherungssumme, auf dem Vergleichsweg wurde ihm zusätzlich eine nicht veröffentlichte Summe des Unfallgegners zugesprochen.

Es sind prominente Fälle wie dieser, die besonders Angehörige freier Berufe zu erhöhter Vorsicht veranlassen. Der Ausfall der Erwerbsfähigkeit, wenn auch nur für vorübergehende Zeit, kann in vielen Fällen ausgesprochen unangenehm sein. Bei Sportlern liegt die Problematik auf der Hand, das Gros der Menschen geht aber davon aus, dass es selbst kaum jemals in eine solche Lage kommen wird. Dennoch betreffen derartige Berufsrisiken mehr Erwerbstätige als man hinlänglich annimmt. Welche Gedanken bestimmen unsere diesbezüglichen Entscheidungen? Und welche außergewöhnlichen Versicherungsfälle widerfahren Herrn und Frau Österreicher? Diesen Fragen gingen wir nach und stießen auf gefährliche Hausziegen, Hunde mit hoher kulinarischer Affinität zu Teppichen und Pferde mit sattelsicherer Treffgenauigkeit. Aber auch der Blick über Österreichs Landesgrenzen ergab Illustres und Skurriles.

Mir passiert das sicherlich nie!

Statistiken aus Deutschland zufolge wird jeder fünfte Angestellte irgendwann in seinem Leben berufsunfähig. Bei Arbeitern ist sogar jeder Dritte betroffen. Dennoch sind die wenigsten Erwerbstätigen gegen dieses Risiko versichert, die Polizzen werden oft als teuer empfunden und insgeheim hofft jeder, dass es nicht gerade ihn „erwischen“ wird. Dabei genügt oft schon ein falscher Schritt für einen folgenschweren Sturz und wer jetzt denkt, dass Büroangestellte ein sicheres Leben hätten, übersieht, dass Bandscheibenvorfälle heute beinahe schon zu den  Volkskrankheiten zählen. Operationen sind oft der einzige Ausweg, um wieder Bewegungsfähigkeit zu erlangen. Langwierige Genesungsprozesse und Aufenthalte in Reha-Kliniken zählen zum diesbezüglichen Standardprogramm. Wer danach wieder in vollem Ausmaß arbeitsfähig ist, kann sich glücklich schätzen. Vielfach ist auch nach erfolgreicher Behandlung die volle Berufsfähigkeit nicht mehr herzustellen und finanzielle Einbußen die häufige Folge. Dennoch ergab eine Umfrage des Marktforschungsunternehmens Forsa im Auftrag eines Versicherungsunternehmens, dass unter 1.000 befragten Deutschen 56 Prozent nicht gegen eine Berufsunfähigkeit abgesichert waren. Fast 70 Prozent war diese Absicherung schlicht zu teuer, insbesondere da sich jeder dritte Nicht-Versicherte als kerngesund empfand. Dem muss man entgegen halten, dass laut Angaben des Deutschen Rentenversicherungs Bund (DRV) jeder dritte Arbeiter und jeder fünfte Angestellte berufsunfähig ist, bevor er das Pensionsalter überhaupt erreicht. In der überwiegenden Zahl wird die Berufsunfähigkeit nicht einmal durch Unfälle verursacht, sondern vielmehr durch psychischen Druck wie beispielsweise Stress oder aufgrund von Krebsleiden bzw. Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Verlässlichkeit stabiler Gesundheit ist also, insbesondere als Langzeitversicherung gedacht, eine Illusion.

Die Prominenz sichert sich ab

Christian Strobl, selbst viele Jahre erfolgreich als Sänger aktiv, ist heute in Deutschland und Österreich als Stimmbildner und Gesangslehrer tätig. Bereits mit 14 Jahren stand er auf der Bühne, sein Vater hatte bereits damals den Weitblick, die nötigen Versicherungen abzuschließen. Dennoch ist dies auch in Künstlerkreisen der Ausnahmefall, erzählt Strobl. „Vor allem junge Künstler denken selten in Kategorien, in denen Sicherheit eine Rolle spielt“, so der Gesangsprofi. „Musiker sind Idealisten. Sie nehmen immer nur das Beste an und denken kaum an die Schattenseiten.“
Dabei belegen prominente Beispiele, unter welchem Druck Sänger gerade heute stehen. In seinem Bericht für das Feuilleton der Frankfurther Allgemeinen Zeitung berichtet Jürgen Kesting in eindringlichen Worten über das Schicksal Rolando Villazóns. Der franko-mexikanische Opernsänger mit österreichischen Wurzeln musste seine künstlerische Tätigkeit unter anderem im Jahr 2007 aufgrund einer akuten Stimmkrise unterbrechen. Kesting findet diesbezüglich deutliche Worte: „Solche Krisen gehören in einem Opernbetrieb, der mit seinen Talenten nicht weniger ausbeuterisch vorgeht als Fußballvereine mit ihren Stars, zum Alltag.“ Er attestiert damit heutigen Kunstbetrieben eine gewisse Rücksichtslosigkeit, die auch in anderen Bereichen des wirtschaftlichen Lebens um sich greift. „Talente kommen, werden ,ausgepresst wie eine Zitrone‘ und weggeworfen. Fünfjahreskarrieren sind seit Langem keine Seltenheit mehr“, so Kesting weiters. Der mexikanische Tenor musste 2007 mehr als ein halbes Jahr pausieren  – glücklich, wer da finanziell abgesichert ist.
Christian Strobl, von Jugend an im Musikgeschäft, kennt derlei Probleme sowohl aus dem Freundes- als auch Klientenkreis. „Junge Künstler leben für die Musik. Sie fühlen sich schwerelos“, die Realität des Kunstbetriebes unterliegt jedoch auch wirtschaftlichen Aspekten. Wer allzu oft ausfällt, ist rasch umbesetzt. Der Druck ist den Stimmen natürlich nicht zuträglich und wer seine Stimme überfordert, riskiert sein größtes Kapital. „Eine Stimme zu reparieren ist ein mühevoller Weg“, beschreibt Strobl. „Immerhin ist es möglich, wer sich dabei aber unter Druck setzt, steht sich selbst im Weg. Denn Angst erzeugt Enge und diese ist stimmlich sofort wahrnehmbar.“ Glücklich also, wer sich der eigenen Rekonvaleszenz in Ruhe widmen kann und damit keine Existenzängste verbinden muss.
Helmut Fiala, Versicherungsmakler in Wien, zählt selbst zahlreiche Künstler zu seinem Klientel. Vor allem im Rahmen der sogenannten Gliedertaxe bieten einige Unfallversicherungen bestimmten Berufsgruppen höhere Deckungsansprüche. Besonders Musiker nehmen diese des öfteren in Anspruch, aber auch für Chirurgen ist derlei durchaus sinnvoll. Hierbei werden allerdings lediglich Folgen von Unfallgeschehen abgesichert und diese definieren sich als „... von außen auf den Körper einwirkendes, mechanisches Ereignis“, so Fiala. Was geschieht aber mit einem Blasmusiker, der durch den Ausfall eines Zahnes nun nicht mehr in der Lage ist, die Töne seines Instruments auf gewohnte Weise zu formen? In der Praxis des Versicherungsmaklers kam dieses heikle Problem bereits vor. In derlei Fällen stellt sich immer die Frage nach der Ursache: Handelt es sich beim Zahnverlust um Unfall oder Krankheitsbild? Und auch eine andere Frage interessiert Betroffene, nämlich jene nach dem Ersatz ausgefallener Honorare, bis zu dem Zeitpunkt, da eine entsprechende Zahnkrone angepasst und auch im Musikbetrieb erprobt ist.

Der „ganz normale“ Alltag

Fernab der großen Stars und Bühnenprominenz wird in Österreich allerhand versichert, was auch ohne Präsenz in den Schlagzeilen ungewöhnlich ist. So wurde Helmut Fiala eines Tages zu einem Kunden gerufen, dem seine Ziegenherde regelmäßig Hörner aufsetzte. Sobald sich die Gelegenheit bot, brachen die umtriebigen Haustiere aus dem eingezäunten Gatter aus und statteten den Nachbarn höchst unliebsame Besuche ab. Schäden an Blumen und Gartenmöbeln waren keine Seltenheit, was den Besitzer aber weit mehr beschäftigte, war die zunehmende Wehrhaftigkeit des Ziegenbockes, wenn es darum ging, die Ausreißer wieder nach Hause zu befördern. Das Tier war immer wieder auch gegen ihn selbst aggressiv geworden und so befürchtete der leidgeplagte Tierfreund, dass Personenschaden auch bei anderen nicht auszuschließen sei. Wenngleich einige Anrainer ideenreich zur Seite standen, stellte eine kulinarische Nutzung des vierbeinigen Rowdys keine ernsthafte Handlungsalternative dar und so wurde das haarige Problem einfach versichert.
Dass auch Pferde manchmal gereizt sind, zeigt ein anderer Fall aus Fialas Versicherungspraxis. Der Fall liegt bereits länger zurück und betrifft die Schlagkraft eines Reitpferdes. In der Stallgasse angebunden wartete es auf den Besitzer, der es gleich putzen und danach reiten wollte. Aus ungeklärter Ursache wurde das Tier plötzlich missmutig und trat aus. Der außerordentlich kräftige Schlag traf den in der Nähe hängenden Western-Turniersattel eines anderen Reiters, die Versicherung musste für die „harte Handschrift“ des übellaunigen Tieres einen Betrag von 12.000 Österreichischen Schilling bezahlen.
Auf ähnlich unkonstruktive Weise brachte der Hund eines anderen Kunden Helmut Fialas seinen Unmut auf den Punkt. Während seine Besitzer ihren Urlaub im Restaurant des Hotels mit einem abendlichen Mahl perfektionierten, musste der vierbeinige Liebling auf dem Zimmer bleiben. Seinen diesbezüglichen Ärger brachte dieser in einer kleinen Umgestaltung des Hotelzimmers zum Ausdruck. Besonderes Objekt des Missfallens war dabei ein nicht ganz billiger Teppich, der seitens des Hundes kräftig umgearbeitet wurde, eine weitere Nutzung desselben war danach auszuschließen. Wenngleich die Überraschung bei den Besitzern nicht die gleiche Begeisterung hervorgerufen haben dürfte wie bei ihrem Hund, bezahlte die Versicherung einen entsprechenden Preis für das „redesignte“ Stück.
Der Wiener Rechtsanwalt Mag. Helwig Schuster ist seit seiner Kindheit passionierter Reiter. Durch die jahrelange erfolgreiche Teilnahme an Reitturnieren bildet er auch selbst Turnierpferde aus und weiß um die finanziellen Risiken, die sich daraus ergeben können. „Pferde benötigen viele Jahre, um für hohe Leistungsklassen ausgebildet zu sein. Im Falle von Verletzungen kann es hier rasch auch um sehr viel Geld gehen“, erklärt Schuster. Neben dem ideellen Wert des Tieres spielt im Turniersport auch die finanzielle Investition eine große Rolle. Und diese kann beträchtlich sein. Erfolgreiche Turnierpferde erzielen nicht selten Werte jenseits der 100.000 Euro-Grenze. Bei Unfall oder Erkrankung muss ein Ersatzpferd gefunden werden und das ist mit erheblichem Aufwand sowie den entsprechend hohen Kosten verbunden.
„Im Fall von Fremdverschulden beginnt dann unter den Beteiligten oft der Streit um die Schuldfrage“, so der Rechtsanwalt. Bei hohen Beträgen kann das Fehlen einer Versicherung prekäre Folgen haben. „Wird das Pferd beispielsweise von einem Mitreiter betreut, so ist es wichtig, auch das Tier selbst in den Versicherungsschutz mit einzubeziehen“, rät Schuster. Denn in Fällen, da ein Tier in Verwahrung übernommen wurde, ist üblicherweise zwar der Schaden an Dritten versichert, nicht aber das Pferd selbst. Der Anwalt hat einen derartigen Fall erst kürzlich erlebt und rät daher, sich von fachkundigen Spezialisten eingehend beraten zu lassen. „Insbesondere rechtliche Auseinandersetzungen mit hohem Streitwert werden oft mit großem Engagement der gegenerischen Parteien betrieben. Der finanzielle Ausgleich, der im Raum steht, wird naturgemäß von keinem der Kontrahenten auf die leichte Schulter genommen.“

Nebenan und anderswo

Begibt man sich auf der Recherche ungewöhnlicher Schadensfälle ins WorldWideWeb, so findet sich bereits bei unseren direkten Nachbarn Skurriles und Erstaunliches. So beispielsweise ein Fall aus Deutschland, in dem die Feuerwehr gemeinsam mit dem technischen Hilfswerk auf dem Gelände einer Abfallverwertungsanlage die Bekämpfung möglicher Großbrände übte. Man ging dabei mit großem Engagement zur Sache und zündete zur Untermalung eine Rauchbombe. Das Ergebnis war eine mehr als realitätsnahe Löschsituation, da bereits nach kurzer Zeit eine benachbarte Halle mit insgesamt rund 380 Tonnen Kunststoff-, Aluminium- und Papiermüll lichterloh brannte. Zusätzlich angeforderte Feuerwehrkräfte konnten auch nicht mehr helfen, den Brand unter Kontrolle zu bringen und so belief sich der kolportierte Sachschaden auf rund eine Million DM.
Zu den wohl ungewöhnlichsten Versicherungsfällen zählen die Ereignisse um einen gestohlenen Opel-Kadett Ende der 1990er-Jahre. Nach dem Auto-Diebstahl nutzten zwei besonders engagierte Diebe den Wagen, um bei einem Juwelier buchstäblich ins Haus zu fallen und rammten das mit schweren Scherengittern gesicherte Entré des Verkaufslokals. Leider hatten sie sich bei der Wagenbreite verschätzt, sodass das Auto in der Eingangstüre stecken blieb. Aufgrund der solcherhand blockierten Türen saßen die Ganoven in der Falle und konnten lediglich durch das Einschlagen der Heckscheibe entfliehen. Das riskante Fluchtmanöver blieb nicht ohne Folgen, die dabei verursachten Verletztungen ermöglichten die rasche Ausforschung eines der Täter. Bei dem Vorfall wurde nichts entwendet, die Schäden an Gebäude und Einrichtung übernahm die Versicherungsgesellschaft. Besonders bekannt für die Absicherung außergewöhnlicher Risiken ist das Londoner Versicherungshaus Lloyd’s. Einer oftmals geäußerten Vermutung zufolge lassen Superstars wie Jennifer Lopez hier ihre attraktiven Rundungen versichern. In einem Interview mit Spiegel Online äußerte Lloyd’s-Chef Peter Levene vor Jahren, dass er über laufende Verträge keine Auskunft geben könne, das verbiete ihm die Diskretion. Dennoch räumte er ein: „ ... dieses Geschäft hat bei uns eine lange Tradition. Marlene Dietrich hatte zum Beispiel ihre Beine bei uns versichert, ebenso wie viele andere Hollywood-Größen.“ Auf die Frage des interviewenden Michael Kröger: „Versichern Sie eigentlich auch Manager gegen Fehler, die sie bei der Führung ihres Unternehmens machen?“ antwortete Levene: „Managementfehler: unter Umständen ja, kriminelle Machenschaften: nein.“  Dazu sagen wir: Schade eigentlich, das würde vielen eine Menge Ärger
ersparen!   ch